Erziehung zur Mannhaftigkeit. Gurlitt Ludwig

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Erziehung zur Mannhaftigkeit - Gurlitt Ludwig


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sind – mit der Tatsache, daß hier eine Rechtsbeugung vorliegt, und wenn man die Sache einmal ernstlich zur Sprache bringt, dann fehlt es nie an irgendeiner gesetzwidrigen und unhaltbaren Ausrede. Dazu gehört in unserem Falle die, daß der Volksschullehrer keine »gute Kinderstube« hinter sich habe – und doch läßt man ihn Kinder erziehen? – daß er mithin noch nicht ganz – na sagen wir mal – noch nicht ganz »stubenrein« sei. Der wahre Grund liegt aber wo anders.

      Die Lehrer, niedere und selbst höhere, sind eben bei uns noch die Parias der gebildeten Gesellschaft. Wenn wir für unsere Schulen in einer sittlich erregten Sprache reden, dann erheitert man sich über uns. Einen Oberlehrer nimmt man ja schon ernster. Wie aber kann ein Mensch, der ein kleiner Beamter ist, jährlich kaum mehr als 1000 Mark zu verzehren hat, wie kann ein solcher Mensch sich erlauben, über allgemeine Kulturfragen, über Politik, Regierungsgeschäfte, Nationalökonomie, soziale Fragen, über Volksleben und nun vollends über Kirchenfragen mitreden zu wollen?

      Auch den »höheren« Lehrer möchte man ja am liebsten auf seine Klasse und sein Studierzimmer beschränkt haben. Nur daraus ist die oben schon erwähnte Zurückhaltung dieses Standes in allen großen öffentlichen Kulturfragen zu erklären. Beamtengehorsam macht Schweigen erwünscht. Wer davon abweicht, erregt unangenehmes Aufsehen. Solche Herren kommen mit ihren sehr unerwünschten, sogenannten »ethischen« Fragen, stören mit ihrem unfruchtbaren Gerede den ruhigen Geschäftsgang. (In Deutschland ist jetzt nämlich alles zur bloßen Verwaltungssache heruntergekommen. Ethische Fragen gibt es nicht mehr!) Dazu sind die Lehrer anmaßend, nie zufrieden, für sich selbst maßlos begehrlich, drängen sich in die höheren Stände hinein und wollen vor allem eben immer über Dinge mitreden, von denen sie nichts verstehen. Da gilt der Satz: »Schuster, bleib bei deinem Leisten!« Der Lehrer soll den Kindern nach Anweisung seiner Behörden und unter Aufsicht eines Geistlichen den rechten Glauben, Gottesfurcht, Liebe zum Herrscherhause und dann die verschiedenen Lehrgegenstände beibringen: Schreiben, Lesen, Rechnen, Deutsch, auch Latein, Griechisch, Französisch, Englisch, Geschichte, Erdkunde, Mathematik usw. Hat er damit nicht genug zu tun? Da redet ihm auch niemand hinein. Niemand macht ihm seine Lehren von den lateinischen und griechischen hypothetischen Sätzen streitig. Weshalb also bleibt nicht auch er auf seinem eignen Boden, bei seinen dienstlichen Pflichten?

      Nun eben aus dem Grunde, weil es unmöglich ist, über Erziehungsfragen zu sprechen, ohne zugleich Staat und Gesellschaft auf ihren Zustand zu prüfen. Wer Rousseau und Pestalozzi nur ein wenig kennt, weiß das selbst schon.

      Ich will aber diese Behauptung doch durch zwei Beispiele noch begründen:

      Wir nehmen an, die Lehrer haben sich dahin geeinigt, daß ihre Schüler allwöchentlich ihren arbeitsfreien Nachmittag haben und unter der Leitung eines Herrn bei Jugendspielen oder Jugendwandern in der Natur verbringen sollen. Die Eltern gestatten aber ihren Kindern nicht, daran teilzunehmen, weil sie ihre Hilfe im Hause brauchen und weil die Wege aus der Großstadt aufs Land zu weit, zu zeitraubend, zu kostspielig sind. Da werden sich also die Lehrer mit den Problemen der städtischen sozialen Not zu beschäftigen haben.

      Das zweite Beispiel: Die Schule ordnet bei einem patriotischen Feste öffentlichen Umzug der Schüler an. Mehrere Eltern reichen ein Gesuch ein, ihre Kinder davon zu dispensieren, da dieses Fest gegen ihre politische Überzeugung verstoße. Gleich steckt man mitten drin in den politischen Streitfragen und in der Untersuchung, wie die Befugnisse der Schule und die des Hauses gegeneinander abzugrenzen seien.

      Die Antwort auf diese Beispiele wird lauten: Darüber hat die vorgesetzte Behörde zu entscheiden. Gesetzlich – ja! Aber ist deshalb der Lehrer die Probleme los? Wird er nicht den Beruf in sich fühlen, Konflikte, die entstehen, selbst eingehend bis in die Quellen zu prüfen und sich ein selbständiges Urteil darüber zu bilden? Unterläßt er das, so wird er bald mit seinem Gewissen in Konflikte kommen oder mehr und mehr zur willenlosen Staatsmaschine werden. Wer ihm das zumutet, der entwertet den Lehrerstand und vergeht sich damit am öffentlichen Wohle. Am deutlichsten tritt das in die Erscheinung auf dem religiösen Gebiet. Auch da wollen Kirche und Staat dem Lehrer die Gesinnung vorschreiben, ihm schweigenden Gehorsam zur Pflicht machen. Ein unmögliches Ansinnen. Daran muß der Lehrerstand innerlich zugrunde gehen. Er wird daher aus dem Triebe der Selbstachtung, der Selbsterhaltung, auch aus pflichtgemäßer Fürsorge für die ihm anvertraute Jugend und damit aus patriotisch-nationalem Gewissen in die kirchenpolitische Agitation und Schriftstellerei mit eintreten, in der wir jetzt unseren Volksschullehrerstand tatsächlich finden. Das sind wahrhaftig keine Übertritte in fremdes Gebiet. Da streitet der Lehrer für sein eigenstes Feld und auf diesem. Anders denkt freilich die Geistlichkeit, die stets sehr erregt wird, wenn die Lehrerschaft sich ihrer Gängelung entziehen will. Aus Pastorenfeder stammt jedenfalls auch der köstliche Ausfall, den ich hier als Gesinnungs- und Stilprobe wiedergeben muß:

      »Schulmeisterei und Schulmeister. Auf die preußische Kultur, die so zart zu sein scheint wie die Blaublümelein, droht wieder einmal ein tötlicher Reif zu fallen. Angst und bange muß es einem werden, wenn man die Klagetöne über die drohende Konfessionalisierung der Volksschulen anhört. Wir entdecken jählings die ungeheuren Segnungen der Simultanschule, deren Licht hell durch das konfessionelle Duster leuchtet, und ziehen den Kriegsmokassin an, um mannhaft für Freiheit des Geistes und Fortschritt einzutreten. Eine würdige Sache ist gefunden, in deren Dienst der mannhafte Hase seine radikalen Raubtierinstinkte austoben kann. Allen voran aber zieht, als Rufer im Streit, der freiheitsdurstige »Schulmann«. Seit die Schulmeister die Schlacht bei Sadowa gewonnen haben, ist ihnen ein gewaltiger Stolz in die Krone gefahren. Es ist mit der Würde des Volkserziehers unvereinbar, die Bälge zu treten oder dem Pastor in den Talar zu helfen. Beim Schweineschlachten vermag auch die größte Wurst den Pädagogen nicht mehr zu locken, der sich sehnt, die Bank des Kollegs zu drücken und Reserveoffizier zu sein. Statt den Bakel zu schwingen, erregt er die Aufmerksamkeit des Schülers und vertieft dessen Interesse; statt der Fibel, deren Titelblatt der stolze Hahn ziert, wälzt er dicke Schmöker, in denen die unverdaulichen und zähen Brocken aus philosophischen Schüsseln zu einem breiten, leicht eingehenden Brei verkocht sind. Er interessiert sich für alles, namentlich wenn es aus zweiter Hand kommt. Er betrachtet die Welt und ihre Probleme mit arrogant-bescheidenem Verständnis. Er begeistert sich für das Wahre, Gute und Schöne und streut mit verschwenderischer Hand Keime des Edlen aus. Und er handhabt den Idealismus wie ein geschickter Wilddieb die Flinte, um jedem individualistischen Bock das Leben auszupusten. Kurz, er wird seinem Kollegen der höheren Observanz, dem Gymnasialobermeier, immer ähnlicher. Den aber packt der bleiche Schreck, er könne mit dem Volksschulmeister verwechselt werden, und darum trachtet er nach faustdicken Titeln: Gymnasialreferendar, Gymnasialassessor, Professor – und begehrt Einlaß in die erhabene vierte Ratsklasse. So flüchtet er auf der Leiter der Würden immer vor dem Rivalen aus der unteren Schicht her – aufwärts; aber schließlich werden beide auf dem höchsten Gipfel der Wertschätzung ankommen, und wenn der Obermeier an die Stelle des Erzengels Gabriel einrückt, wird der Meister der Schule nicht säumen, die Erbschaft Rafaels anzutreten. Heilig sind die Seelen der zu erziehenden Kinder. Heilig, heilig ist die Schule. Heilig, heilig, heilig ist der Pauker. Die Welt ist ein Institut, in der einer immer den andern erzieht, und der liebe Gott ist der Oberschulmeister, obwohl er noch nach veralteten Methoden arbeitet und bei Gelegenheit feste zuhaut.« (Die Funken.)

      Man sieht, dem Pfäfflein ist es betrübend, daß ihm der Lehrer über den Kopf zu wachsen droht und sich nicht mehr mit der Ehre begnügt, für ihn den Balg der Orgel zu treten und ihm mit devotem Eifer in den schwarzen Talar zu helfen. Daher die Erregung! Nichts erheiternder als so ein polternder Kapuziner! Ich sehe voraus und hoffe, daß die Geistlichkeit und die ihr allzu willfährigen Regierungen an den Lehrern, die jetzt erwacht, organisiert, zum Bewußtsein ihres nationalen und sittlichen Berufes, zugleich auch zum Bewußtsein ihrer Macht gekommen sind, noch ihr blaues Wunder erleben werden. Wir stehen im Anfange einer Entwicklung, die nicht mehr einzuhalten ist. Der Lehrer steigt in dem Maße, wie der Geistliche sinkt. Dies – in Parenthese – meine Überzeugung!

      Welches also wird, um die Frage zu wiederholen und endlich auch zu beantworten, welches wird die Begrenzung dieses Themas sein? Nun, am liebsten gar keine. Schulmeisterarroganz weicht, wie wir lasen, vor keiner Schwierigkeit zurück. Es soll also nichts abgewiesen werden, was mit unserem Thema in einem inneren lebendigen Zusammenhang steht. Erschöpfen


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