Erziehung zur Mannhaftigkeit. Gurlitt Ludwig

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Erziehung zur Mannhaftigkeit - Gurlitt Ludwig


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Gelehrtensprache unentbehrlich war.

      Ich berufe mich auch hier auf einen als Gelehrten wie als Erzieher und kerndeutschen Mann allseits Anerkannten, den verstorbenen Dr. Rudolf Hildebrand, Professor für Germanistik an der Universität zu Leipzig, den ich schon oben nannte. Dieser drückte vor 20 Jahren schon sein Bedenken gegen das herrschende deutsche Schulwesen in den Worten aus: »Was gerade jetzt zu bessern ist, das ist wohl auch im allgemeinen klar genug, wenn man nur auf die Stimmen hört, die immer lauter ertönen auch aus den Kreisen unbefangenster und wohlwollendster Beobachter, von Leuten, die froh und frei genug stehen im Geiste, um den rechten Weg und das rechte Ziel finden zu helfen. Fast macht das Ganze den Eindruck, daß man beim höheren Unterricht, auf Gymnasien wie Realgymnasien und selbst auf höheren Töchterschulen, bewußt oder unbewußt, gewollt oder ungewollt, und nur vom Zuge der Zeit mitgetrieben, das als Ziel annimmt, daß es da gelte, kleine Gelehrte zu bilden, nicht – Menschen, was noch in meiner Schulzeit auch für das Gymnasium eigentlich das Ziel war aus der Überlieferung des vorigen Jahrhunderts, ja aus dem 16. Jahrhundert her, wie schon in dem alten Stichwort humaniora trefflich und kräftig ausgesprochen ist: ›mehr Mensch‹ zu werden war das Ziel. Das schöne Wort wird ruhig noch mit fortgeführt im Hausrat der gelehrten Schulen, gleicht aber nun wirklich mehr einer alten Kiste, die im Winkel steht mit Sachen aus dem Haushalt der Großeltern. Die Zeit ist da, eigentlich nicht lange erst, auf einen verhängnisvollen Irrweg geraten, von dem man wird umkehren müssen, es fragt sich nur, wieviel Schaden der Gesundheit der Nation, der äußeren und der innern, noch geschehen soll bis zur entschlossenen Umkehr. Lasse man die Gelehrsamkeit der Universität, die wahrlich für ihre schwere Arbeit nichts nötiger braucht, als gesunde ganze Menschen, wie unsere Zeit überhaupt, und diese müssen ihr die Gymnasien liefern.«[4]

      Freilich, wenn man so früh sein Vaterhaus verläßt, sich in der Fremde herumtreibt und dort sein Herz vertändelt, dann wird man mit der Zeit heimatlos, fremd im eigenen Vaterhause und muß sich nachher bei alten Leuten erkundigen, wie es in älteren Zeiten eigentlich darin gehalten wurde.

      Aus diesem Grunde wird es auch hier ohne historische Rückblicke leider nicht ganz abgehen. Es fehlt uns eben eine stetige, ununterbrochene Tradition im Schul- und Erziehungswesen, wie sie meines Wissens die glücklicheren Engländer seit den Zeiten Humes haben.

      Den wahren, letzten Grund aber, weshalb ich so scheu an die historischen Vorbilder herangehe, habe ich noch immer nicht verraten. Nun muß er endlich doch ans Licht: »Die Menschen lernen nichts aus der Geschichte – nichts, rein gar nichts!«

      So wenig ein junger Mann seine Lebenserfahrung vom Vater und Großvater ererbt, ebensowenig wollen sich ganze Völker von früheren Geschlechtern das Leben vorleben lassen. Jeder Mensch, jedes Volk will seine eigenen Dummheiten machen und am eigenen Schaden klug werden.

      (Zwischenruf: »Na, erlauben Sie mal!«)

      Was ich hier gesagt habe, habe ich im vollen Ernste gesagt und kann es beweisen:

      Vor mehr als 100 Jahren entdeckten Winckelmann, Lessing und Goethe den harmonischen Menschen, den Normal- und Idealmenschen in den altklassischen Hellenen. Hier sahen sie alle menschlichen körperlichen und geistigen Anlagen durch eine gleichmäßige Ausbildung zu herrlicher Entfaltung gebracht. Nun meinst du, liebwerter Mitbürger, natürlich, daß diese schöne Erkenntnis zu einer entsprechenden Tat geführt habe.

      Ja, das meinst du in deinem törichten Laienverstande. Da kennst du aber die Menschen schlecht, kennst vor allem die geistigen Oberpriester nicht, die bei uns Kultur machen!

      »Aber, mein Gott! Sie sagten doch eben selbst, daß man die rechten Vorbilder der Menschheit gefunden habe? Fehlte es vielleicht an einer Anleitung, wie man eine solche menschliche Vollkommenheit erreichen könne?«

      »I, Jott bewahre! Man hatte ja die Bücher, in denen genau berichtet wird, wie die Athener, wie die Spartaner ihre Kinder zu schönen, gesunden, heiteren, kunstsinnigen, glücklichen, tapferen, vaterlandsliebenden Männern und Frauen heranbildeten.«

      »Hatte man diese Bücher? So richtete man sich also nach ihnen? Erzog die Kinder nach diesen Anweisungen?«

      »I, Jott bewahre! Das muß man ganz anders machen. Sehen Sie, mein Lieber: die Griechen sprachen und schrieben doch Griechisch, nicht wahr? Also muß man doch vorerst ihre Sprache, Griechisch, lernen, um diese Anweisungen lesen zu können, nicht wahr? Aber damit nicht genug. Es muß doch auch aus der alten Geschichte erst der Nachweis erbracht werden, daß, wo, wann, wie, warum, wie oft, wo nicht, wann nicht, wie nicht, warum nicht, wie oft nicht diese Tüchtigkeit der altgriechischen Erziehung sich bewährte – nicht wahr? Man mußte doch alle die Männer auf – ides, – iades, – on und – kles gleichsam von Angesicht zu Angesicht kennen lernen, mußte ebenso die Orte, Städte und Felder bei Namen kennen lernen, wo sich ihre Tüchtigkeit bewährte, nicht wahr? Wir können doch nicht weiter kommen, wenn unsere Knaben von Plataeae, Aegospotamoi, Kunaxa, von den Arginusen, vom Eurymedon, von Tanagra, Sphakteria und Kynoskephalae nichts wissen?«

      »Ja, aber –«

      »Bitte, kein ›ja aber‹! Die Sache ist völlig klar. Es gehört die ganze Zeit, Kraft und Energie einer Jugend dazu, um die alten Sprachen nach jeder Richtung hin und ebenso die alte Geschichte so beherrschen zu lernen, daß man in ihr seine geistige Heimat findet.

      Deshalb richtete man ja doch nach griechischem Vorbilde Gymnasien ein. Sie wissen, γυμνὸς heißt nackt, γυμνάσιον heißt ein Ring- oder Turnplatz für nackte Knaben; deshalb nannte man diese Schulen humanistische Gymnasien, weil eben in ihnen diese altgriechische allseitige menschliche Ausbildung, diese Harmonie des Lebens erreicht werden sollte.«

      »Ja, turnen denn da die Kinder wirklich nackt? Ringen, springen, singen sie darin frisch umher?«

      »Nein, das nun eben nicht. Aber die beschäftigen sich doch mit dem Studium jener alten vorbildlichen Welt und das gibt ihnen eine geistige Gymnastik von unschätzbarem – – –«

      »Geistige Gymnastik? Also eine Art geistigen Nacktturnens? – – – Gestatten Sie mir gütigst, das für einen kleinen Blödsinn zu erklären.«

      »Eine Stählung des Willens, gleichsam ein geistiges Jungbad, ein Sichemporrecken nach idealen Vorbildern« – –

      »Bei uns hatte sich mal ein Primaner in der Klasse, wohl nach idealem Vorbilde oder weil's sehr heiß war, Schuh und Strümpfe ausgezogen. Himmel, gab das eine Berammelung! Den ›respektlosen, unsittlichen, verkommenen Burschen‹ hätten sie beinahe ins Zuchthaus gebracht. Und dabei war's doch in der Homerstunde geschehen! Hihihi!« – –

      »– Ein unausgesetzter Kampf mit den Schwierigkeiten der Sprachen, in denen die Weisheit und Schönheit jener alten Welt verschlossen liegt – –«

      »Und wenn einer heute seine nackte Schönheit zeigen wollte, dann steckt ihr ihn in Arrest? Müßten mal bei so einem echten Sophokles-Direktor die Primaner völlig nackicht antreten! Na, Badehose möchte noch gestattet sein. Hihihi!«

      »Bitte, so lassen Sie doch endlich Ihre faden Bierzeitungswitze und ihr läppisches Gelache! – – Die Weisheit, sagte ich, und Schönheit verschlossen liegt – – Und eben durch diesen Kampf endlich ein siegreiches Gelingen, über das dann in den Abschlußprüfungen, dieser unersetzlichen Kraftprobe, Zeugnis abgelegt wird.«

      »Ja, sind denn die Geprüften dann, die armen Hasen, die aus den alljährlichen Herbstbürgerjagden zwar noch mit dem Leben davonkommen, aber mit zahlreichen Schroten im Pelze, mit unvergeßlicher Angst im Herzen, sind das dann wirklich nun die glücklichen, gesunden Normalgeschöpfe? Das wäre doch das Entscheidende. Wird man denn wirklich stark, froh, schön, gesund und mannhaft, wenn man in Büchern jahrelang nachliest, wie andere dazu gekommen sind? Ich sollte meinen – verzeihen Sie einem Laien eine solche, wohl etwas dreiste Bemerkung – ich sollte meinen, man müßte lieber die Bücher zuschlagen und die Kinder einfach auch nackt umherspringen, sich tummeln und in jedem Wettkampfe üben lassen.«

      »Ich bitte Sie, mein Freund, lassen Sie solche törichte und rein barbarische


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