Erziehung zur Mannhaftigkeit. Gurlitt Ludwig

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Erziehung zur Mannhaftigkeit - Gurlitt Ludwig


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daß es »lauter Unsinn« sein wird, was nun folgt.

      Nur eine Beschränkung schließt das Thema leider schon in sich ein: den Ausschluß der Mädchenerziehung. Mir wäre es leid, wenn man daraus falsche Schlüsse zöge, als ob ich diese für minder wichtig als die Knabenerziehung hielte. Es ist auch kein gewollter, kein absichtlicher Ausschluß. Auch Mädchen sollen zu Persönlichkeiten herangezogen werden, am besten gemeinsam mit den Knaben. Zu Männern aber und »mannhaft« wünscht man sie doch nicht.

      Mir fällt dabei der Pastor ein, der seiner eben ihm angetrauten Gattin, als sie sich trotz dreimaligen Signales der Bahnglocke den Armen ihrer Mutter nicht entwinden konnte, das stolze Wort zurief: »Luise, sei ein Mann!«

      Wer, wie ich, Pestalozzi verehrt, der weiß, daß alle Erziehung in der Kinderstube wurzelt und daß die Mutter die erste und die wirksamste Erzieherin der Kinder ist.

      Haben wir tüchtige Mütter, so wächst auch eine tüchtige Jugend heran. Das ist eine alte Weisheit und allen Völkern bekannt. Die Mütter bedürfen keines neuen Ruhmes, sie dürfen stolz sein auf die Ehrennamen, die ihnen die Sprichwörter aller Völker geben. »Muttertreu', sagt der Deutsche, wird täglich neu. – Ist die Mutter noch so arm, gibt sie doch dem Kinde warm. – Wer der Mutter nicht folgen will, muß zuletzt dem Gerichtsdiener folgen. – Besser einen reichen Vater verlieren, als eine arme Mutter. – Was der Mutter ans Herz geht, geht dem Vater nur ans Knie. – Im Hindostanschen heißt es: Mutter mein, immer mein, möge reich oder arm ich sein. – Der Venetianer sagt: Mutter, Mutter! Wer sie hat, ruft sie, wer sie nicht hat, vermißt sie. – Der Russe sagt: Das Gebet der Mutter holt vom Meeresgrund herauf. – Tscheche und Lette sagen: Mutterhand ist weich, auch wenn sie schlägt. – Fast alle Völker haben das Sprichwort: Eine Mutter kann eher sieben Kinder ernähren, als sieben Kinder eine Mutter. – Über den Verlust der Mutter sagt ein russisches Sprichwort: Ohne die Mutter sind die Kinder verloren wie die Bienen ohne Stachel.«

      (Ich fand diese schöne Zusammenstellung in irgendeiner Tageszeitung, kann leider nicht mehr sagen, in welcher.)

      Ich maße mir nicht an, einen Prälaten, Generalsuperintendenten oder Geheimrat irgendeines Kultusministeriums davon zu überzeugen, daß ihre Tätigkeit die Mannestugenden des deutschen Volkes schädige. Ich erwarte und finde es selbstverständlich, daß sie sich darob entrüsten oder wohl lieber mit spöttischem Lächeln daran vorübergehen. Das ist ihr gutes Recht, ebenso wie es mein gutes, mir verfassungsmäßig zustehendes Recht ist, solche Behauptungen nach meiner ehrlichen Überzeugung auszusprechen und zu verfechten.

      Als ich mit meinen ersten pädagogischen Schriften hervortrat, hatte ich noch den naiven Wunsch, anders Gesinnte zu überzeugen, und den noch naiveren Glauben, von ihnen gerecht beurteilt zu werden. Beides habe ich seitdem gründlich aufgegeben.

      Wenn jetzt einer kommt und sagt mir: »Sie hätten das und das nicht schreiben dürfen; Sie hätten die Sache so und so darstellen müssen,« dann habe ich für solchen Fall eine prächtige »Abfuhr« erfunden. Meine Antwort lautet:

      »Mein Herr, Sie befinden sich in einem fundamentalen Irrtum!«

      »Na, erlauben Sie mal! Wieso denn?«

      »Ja, mein Herr, Sie meinen, daß ich Ihre Ansichten vortragen wollte. Das lag mir völlig fern. Ich wollte nur sagen, was mir richtig scheint. Das haben Sie offenbar nicht beachtet.

      Auf recht baldiges Wiedersehen! Meine besten Empfehlungen an Ihre verehrte Frau Gemahlin!«

       Pädagogische Vorbilder.

       Inhaltsverzeichnis

      Am liebsten freilich würde ich persönlich auf die Erziehungsweisheit der Vergangenheit an dieser Stelle verzichten. An lehrreichen Abhandlungen, an Doktorarbeiten über die Erzieher aller Völker und Zeiten ist kein Mangel. An historischem Wissen fehlt es uns wahrhaftig nicht. Daß auch ich die Pädagogik früherer Jahrhunderte, auch die anderer Völker, einigermaßen kenne, wird man mir glauben. Wenn nicht, so schadet es auch nichts. Man hat jetzt so vortreffliche Handbücher über die Geschichte der Pädagogik, daß einer ja mühelos in einem Monate darin zu einem Kenner werden kann. Verzichten möchte ich, weil wir an sich schon in Überlieferung und in historischer Bildung ersticken. Was wir brauchen, ist die Tat.

      Was würde wohl Jesus Sirach dafür gegeben haben, wenn er einen flüchtigen Blick in unsere heutige Erziehungspraxis hätte tun können? Was Habakuk – der einzige von allen kleinen Propheten, zu dem ich von Kindheit an in einem herzlichen Verhältnis stehe; ich sprach freilich seinen Namen früher etwas unkorrekt als Haferkuck aus und stellte ihn mir als einen kleinen neckischen Kobold vor, der sich auf der Tenne und beim Futterkasten im Pferdestall durch Neugier bemerklich machte, daher das frühe Interesse und Verständnis für ihn –. Was würden dessen Kollegen von der »kleinen Prophetie«, deren Namen, aber auch rein nichts als eben diese Namen, seit Luthers Tagen Millionen, nein, ich glaube Milliarden von blonden Bauernkindern kennen und hersagen lernten – Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi – ein Lautgeklingel, den Kindern weniger wertvoll als der Spielreim:

      Ene mene mink mank

       Pinkpank

       Use buse packe dich

       Eier beier weg! –

      Was würden also wohl diese schwarzgelockten Hebräer, was die ernsten Griechen, etwa ein Sokrates, ein Plato, Aristoteles, was Cicero, Seneca, der heilige Augustin, was Luther, Goethe, Fichte und andere große Erzieher der Vorzeit darum gegeben haben, wenn sie einen flüchtigen Blick in die heutige Erziehungspraxis hätten tun können?

      Wenn man einen dieser Männer gefragt hätte: »Wie sollen die Deutschen im 20. Jahrhundert ihre Kinder erziehen?« so würden sie gewiß – da sie ja eben gescheite Leute waren – wie aus einem Munde jeder in seiner Sprache gerufen haben: »Ja, was woas denn i? Des müssen doch de alloanig wissen!«

      Man lege sich einmal selbst die Frage vor: »Wie soll im Jahre 3000 die deutsche Jugend erzogen werden?« Getraut sich irgend jemand dazu nur ein einziges Wort von Bedeutung zu sagen?

      Wenn ich heute die Ehre hätte, mit Ernst Moritz Arndt zu sprechen, so würde er fragen, ich antworten, nicht umgekehrt.

      »So, ihr habt also endlich ein einiges Deutsches Reich? Famos! Sagen Sie mir: Besteht denn det olle Gymnasium noch immer? Sollt's nicht glauben! Ja, ja, so alte Einrichtungen haben ein zähes Leben. Also geturnt darf jetzt in den deutschen Schulen wieder werden? Na, gottlob! Das muß ich doch meinem Freunde Jahn erzählen. In unserer Zeit galt es einmal für staatsgefährlich. Wird das euren Kindern auch in der Schule erzählt? Denkt man noch an mich, an den großen Befreiungskrieg, an unser herrliches Leipzig? Gelten unsere Namen der deutschen Jugend noch etwas? Oder leben da in höherem Ansehen noch der alte Aristides, der so gerecht war, daß er nicht einmal Staatsgelder defraudierte, Hippias, der sich bestechen ließ, vom Erbfeinde – oder der Erzschelm, der Aristomenes – nee, nee, wie hieß doch der Athener, der sein Vaterland mit Hilfe der Spartaner bekämpfte?«

      »Herr Professor, Sie meinen den Alcibiades?«

      »Ja ja, ganz recht, Alcibiades. An den liederlichen Burschen habe ich freilich lange nicht mehr gedacht.

      Na, und dann die scharmanten Römer? Fabricius, der nicht einmal vor einem Elefanten ausriß, Horatius Cordes, der allein mit einem ganzen Etruskerheere fertig wurde – Herrgott, was konnten die alten Römer schön lügen! Und der eisigkalte Sulla, Marius, der Bluthund, mein alter Schulfreund Cicero, ›Quosque tandem, Catilina‹! (Sie sehen, es sitzt noch immer), der lustige und verliebte Ovidius Naso, – der dann im südlichen Rußland so elend einging – seine Amores lasen wir heimlich deutsch – auch der Virgilius, der mit so vollen Backen sang, der alte gemütliche Horatius mit seiner netten Lalage? – alle noch auf dem Posten? Ja? Und trotzdem habt ihr also ein großes Deutsches Reich? Sehen Sie mal an!

      Na,


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