Erziehung zur Mannhaftigkeit. Gurlitt Ludwig

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Erziehung zur Mannhaftigkeit - Gurlitt Ludwig


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sind ja Lehrer, also auch die Erziehungsgeschichte! Alles, alles! Es interessiert mich wirklich über die Maßen.«

      »Herzlich gerne, aber Sie verzeihen; eigentlich war es meine Absicht mir bei Ihnen, Herr Professor, Rat zu holen.«

      »Bei mir?«

      »Ja, eine Belehrung darüber, wie wir die deutsche Jugend erziehen sollen, besonders in Rücksicht auf die Mannhaftigkeit. Ich hoffte, daß Sie –«

      »Ach, Unsinn, Sie oller Schulmeister! Von mir können Sie da nichts lernen. Jedes Volk, jede Zeit muß eigne Erzieher haben. Oder haben die Athener jemals danach gefragt, wie man in Sparta die Kinder erzog, wie bei den Persern? Oder umgekehrt? Haben sich jene Völker, die Sie immer noch mit Eifer studieren, jemals um fremde oder alte Schulrezepte gekümmert? Nein? Na, sehen Sie!

      Erziehen Sie die deutsche Jugend nach den Bedürfnissen und sittlichen Anschauungen Ihrer Tage, sonst wird nichts Vernünftiges daraus. So gut wie jeder einzelne Mensch hat jede Zeitepoche ihr Eigen- und Einzelleben« –

      »Gewiß, mein Herr, das verstehe ich wohl, aber wir müssen doch immer die historische Entwicklung berücksichtigen.« –

      »Historische Entwicklung? Das ist wohl wieder eine von euren neuen Entdeckungen? Ja, entsprach es denn der historischen Entwicklung, daß Karl der Große den Sachsen eine Religion mit Glaubenssätzen aufzwang, die ihnen so fremd waren, wie die Feigen und Datteln, die aus gleicher Gegend stammen? Entspricht es der historischen Entwicklung, daß ihr eure Jungen immer mit der Kultur von Palästina, Hellas und Rom abspeist und dabei sorglos über Jahrhunderte der Geschichte hinwegspringt? Hat sich mein Freund Napoleon um die historische Entwicklung gekümmert, als er die deutschen Staaten zertrümmerte? Ist nicht fast alles wahrhaft Große, ist nicht Luther, ist nicht Christus selbst eben deshalb zunächst verfolgt worden, weil ihr Streben gegen die vermeintliche historische Entwicklung verstieß?«

      »Ich wage nicht zu widersprechen, mein sehr verehrter Herr Professor. Es ist in der Tat wohl so, daß alle Neuerungen den bewußten, tatkräftigen Willen eines Reformators voraussetzen und die Außenstehenden meist als Gewaltsamkeiten anmuten. Ich las in diesen Tagen einen pädagogischen Aufsatz über das Thema »Gefahren der Staatsschule für die Pädagogik«[2]. Da fragt grade auch ein neugieriger Schulmann höchst respektlos: »Ist denn die heutige deutsche Volksschule wirklich das Produkt einer Entwicklung, die nie gestört worden ist und nie gestört werden darf?« Und antwortet sich selbst darauf: »Ich glaube vielmehr, alle Fortschritte sind mehr oder minder gewaltsam in sie hineingedrungen. Gerade das letzte Produkt dieser sogenannten Entwicklung, die Verstaatlichung der Schule und der Schulzwang, sind Gewaltstreiche, vielleicht notgedrungene Zugeständnisse der Regierungen gewesen.« Auch haben wir jetzt ein neues Volksschulgesetz erhalten, das gegen den Willen der Lehrerschaft die Volksschule konfessionalisieren soll. Mir will das auch nicht wie eine historisch notwendige Entwicklung vorkommen.«

      »Gewiß nicht! Sie sehen, darauf ist nichts zu geben. Historische Entwicklung! Mit dieser Phrase scheint man den Fortschritt der Menschheit hemmen zu wollen. Handelt nur, mein Verehrtester, nach eurer ehrlichen Überzeugung, wie es alle tüchtigen Männer zu allen Zeiten getan haben! Kein Gedanke, kein Wunsch, keine Handlung fällt nur so vom Himmel nieder. Es gibt nichts auf Erden, was nicht diese eure berühmte historische Entwicklung hätte. Alles braucht Zeit zum Keimen, Wachsen und Reifen, auch die Gedanken und Handlungen der Menschen. Wir kennen aber oft diese verborgenen Keime nicht, brauchen uns um sie auch nicht zu kümmern. Beschwert euch doch nicht mit historischen Erwägungen! Für die Einordnung eurer Taten in den geschichtlichen Zusammenhang laßt getrost die Historiker der nächsten Generation sorgen! Die werden euch schon beweisen, daß alles so kommen mußte, werden Ihnen sogar das bißchen Ehre und Stolz rauben, das Sie wirklich mit eigenem Kopfe gedacht, mit eigenem Herzen gestrebt hätten. Während Sie sich jetzt vielleicht einbilden, daß Ihre Taten einmal wie eine stolze Säule hervorragen werden, wird man sie später als ein notwendiges schlichtes Glied in einer langen Kette der Entwicklung betrachten lernen.

      Ja, ja! daran aber erkenne ich meine lieben Landsleute wieder. Bleiben sich doch immer gleich! Wenn eine Sache nicht theoretisch entwickelt, nicht ins System gebracht und gelehrt begründet ist, dann ist sie für meine Deutschen überhaupt nicht da. Bei ihnen soll alles mit Gelehrsamkeit geschafft werden. Sind also bei euch die Federfuchser noch immer so in Flor? Armes Vaterland! Ich habe diese Kerle mein Lebtag gehaßt. Sie verdarben uns mit ihrer giftigen schwarzen Galläpfeltinte jedesmal was wir mit frischem roten Blute angeregt und erstritten hatten.

      Aber genug! Ich verfalle in greisenhaftes Gerede und komme vom Thema ab. – Also: »Erziehung zur Mannhaftigkeit?« Da kann ich leider nur wiederholen, was ich schon gesagt habe: Das müssen Sie besser wissen als ich, denn Sie leben – ich leider nicht mehr – der Lebende aber hat recht. Meine Pädagogik lehrte mich die auf uns lastende Fremdherrschaft: Napoleon war unser Zuchtmeister, unser Erzieher. Wäre er nicht gewesen, hätte er uns nicht mißhandelt, so wäre ich nicht zum Volkserzieher geworden, ebensowenig wie Freiherr vom Stein, wie Scharnhorst, Fichte und die anderen; jedenfalls wäre auf unsere Worte nicht gehört worden. Was nur damals passend war, werden Sie wohl nicht brauchen können. Ich meine: Jede Zeit hat eben ihre besonderen Aufgaben, ihre eigenen politischen und sozialen Bedürfnisse. Danach wird sich auch ihre Pädagogik richten. Es gibt ebensowenig eine allgemein giltige praktische Erziehungslehre, als es eine für alle Zeiten gesetzmäßig festgelegte Wirtschaftslehre, Staatslehre, Politik oder Kunstlehre gäbe. Das wechselnde Leben schafft sich seine wechselnden Bedürfnisse und diesen angepaßt seine stets veränderlichen Kulturformen. Nur die Orthodoxen meinen, eine endgiltig für alle Christen aller Zeiten und Völker festgesetzte religiöse Erziehungsweisheit ererbt zu haben. Diesem Wahne opfern sie ihren Einfluß und ihren wahren Beruf, Dolmetscher, Führer und Erzieher der tiefsten, ehrlichsten und strebsamsten Geister zu sein und zu bleiben, wie es seiner Zeit die jüdischen Propheten waren, und leben heute von dem Weihrauch, den ihnen die Gedankenlosen, Müden, Bequemen und Feigen spenden. Der Lebende soll nicht immer von dem Toten lernen wollen; denn – wie gesagt – der Lebende hat recht!

      Ewige Wahrheiten! Ob es solche wohl überhaupt gibt? Ich bezweifle es. Nur eine Wahrheit möchte ich für ewig halten, nämlich die, daß alles im ewigen Wechsel ist. Alles fließt! Selbst die Wahrheiten, die für alle Ewigkeit begründet schienen. Sie wissen jetzt, weshalb ich Ihrem Wunsch nicht nachkommen kann. Ich habe viel Dringlicheres zu tun, nämlich Sie auszufragen.

      Doch vorher nur noch ein letztes Wort! Bei Lehrern werden Sie über Erziehung zur Mannhaftigkeit wenig finden. Denen ist's immer ums Wissen. Fragen Sie doch lieber bei so alten Haudegen, wie dem Blücher, an, oder, wenn's schon ein Mann von der Feder sein soll, bei dem alten Fichte.

      Oder zeigen Sie Ihrer Jugend das Lebensbild unseres Freiherrn vom und zum Stein. Sehen Sie, das war ein ganzer Mann, ein Mann nach meinem Herzen: In seinen Gesinnungen und Grundsätzen immer der Zuverlässige und Unwandelbare; was gut, tapfer, frei, menschlich und christlich deutsch war, hat in Rat und Tat in ihm immer den wärmsten Freund, Verteidiger, Lobredner gefunden; und wenn die Spur seiner äußeren Wirksamkeit, seiner äußeren Werke und Taten vielleicht schon verwischt sein wird, so wird und muß doch sein innerer Schatz, die Liebe, Treue, Hingebung für sein Volk und sein Vaterland, wird das Unsichtbare und Unbewußte, das unsterbliche, unvergängliche Abbild des geistigen Wirkens eines edlen und biedern Mannes noch in dem Enkel und Urenkel des deutschen Volkes fortleben und fortwirken. Oder ist es nicht so?

      Gott hatte ein feuriges, gewaltiges, mutiges Herz in seine Brust gelegt, ihn mit einer raschen, blitzschnellen Auffassung, einem kühnen, geschwinden Verstande gerüstet: Geschwindigkeit, Kühnheit, Hastigkeit – das war er selbst. An Wahrhaftigkeit, Redlichkeit, Offenheit hat kein Mensch ihn übertroffen, er sah und wandelte stracks und gerade vor sich hin. Das war sein Glaube, daß durch Wahrheit, Einfalt und Redlichkeit alle Dinge allein gewonnen werden sollen und erhalten werden können und daß kein Weg, der irgend krumm sein muß, Segen bringe. Das war sein Spruch: Es darf nichts getan werden, was nicht gerade und offen getan werden kann. Also: offener Weg, hohe Zwecke und reine Mittel zu den Zwecken.

      Da haben Sie das lebendige Beispiel, wonach der Erzieher sich richten soll, wenn er Männer erziehen will. Ewig dauere das Gedächtnis


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