Römische Geschichte. Cassius Dio
Читать онлайн книгу.Niederschlagung der Feinde, sondern den Verlust der eigenen Leute hoch veranschlagte. Jene, meinte er, würden, auch geschlagen, bei ihrer Überzahl wieder den Kampf bestehen. Er aber hielt auch den geringsten Verlust nicht wegen der Zahl der Gefallenen, sondern wegen der Größe der früheren Verluste für höchst bedenklich. Wenn alles in unverletztem Zustand sei, meinte er, verschmerze man oft die größten Unfälle mit Leichtigkeit, nach Verlusten aber werde auch der kleinste Nachteil verderblich. Als ihm daher sein Sohn zu einer gefährlichen Unternehmung riet und sagte, es könnten nicht über 100 Mann draufgehen, blieb er unbewegt und fragte ihn, ob er selbst unter diesen 100 sein wollte.
Fabius Sohn sprach zu seinem Vater: »Schlagen wir uns mit Hannibal, wir verlieren keine 100 Mann.« Da erwiderte ihm dieser: »Und wolltest Du unter den 100 sein?«
Die Karthager schickten Hannibal aus freien Stücken nicht nur keine Unterstützung, sondern fanden es sogar lächerlich, dass er trotz der glücklichen Erfolge, von denen er schreibe, noch Geld und Soldaten verlangte, und meinten, seine Forderungen stünden mit seinen Siegen im Widerspruch. Denn die Sieger mussten mit dem gegenwärtigen Heer auskommen und Geld nach Hause schicken, nicht beides aus der Heimat haben wollen.
Die Menge ist gewohnt, Anfänger zu begünstigen, besonders wenn sie die bereits im Ruhme Stehenden herabzusetzen suchen. Denn sie ist geneigt, dem kaum sich Erhebenden beizustehen, das hoch Erhabene niederzudrücken. Denn das hohe Verdienst erreicht einer nicht so leicht, unverdiente Erhöhung aber gibt auch anderen Hoffnung, zu gleichem Glück zu gelangen.
Rufus, zu gleicher Gewalt mit dem Diktator erhoben und von den Karthagern geschlagen, wurde anderen Sinnes; denn das Unglück bringt einen, der nicht völlig töricht ist, zur Besinnung. Er legte freiwillig den Oberbefehl nieder und wurde dafür sehr gerühmt. Dass er nicht anfangs gleich vernünftig war, brachte ihm nicht Schande, Ruhm aber, dass er nicht zögerte, sein Unrecht einzugestehen. Wäre er von Anbeginn an seiner Pflicht nachgekommen, so hätten sie es für ein Werk des Glücks gehalten; dass er aber, durch die Erfahrung eines Besseren belehrt, sich nicht schämte, seinen Sinn zu ändern, lobten sie sehr: Hierin zeige sich, wie viel ein Mann von dem anderen, wahre Tugend von Dünkel sich unterscheide. Was Missgunst und Verleumdung bei den Bürgern dem Fabius entrissen hatten, das erhielt er wieder aus freien Stücken und selbst auf die Bitte des Amtsgenossen.
Als er seinen Oberbefehl niederlegen wollte, berief er die Konsuln und übergab ihn denselben, indem er ihnen alles darlegte, was sie ohne Gefährdung vornehmen dürften. Ihm stehe, sagte er, das Wohl des Staates höher als der Ruhm des alleinigen Oberbefehls; von ihnen hoffe er, dass sie, ihren Vorgang wahrnehmend, nicht durch Eigensinn zu Fall kommen, sondern auf gleichem Wege mit ihnen zu Glück und Ruhm gelangen würden. Die Konsuln, dem Rat des Fabius gehorchend, unternahmen nichts Gewagtes und blieben, für besser erachtend, keine Kriegstat zu verrichten als sich Verlusten auszusetzen, die ganze Zeit ihres Konsulats in ihren Standorten.
Über Wahrsagerei und Sterndeutung sagt Dio Folgendes: Ich erlaube mir weder über diese noch über andere Vorhersagen ein Urteil. Denn was braucht es eines Vorzeichens, wenn etwas auf jeden Fall geschieht? Keine menschliche Kunst, keine göttliche kann es abwehren. Jeder mag darüber denken, wie er will.
159. Im Jahr der Stadt 538 (216 v.Chr.)
Konsuln waren Paulus und Terentius, Männer, durch Geschlecht und Charakter gleich verschieden; der eine, Patrizier und hochgebildet, zog das Sichere vorschnellen Entschlüssen vor und ließ sich, zumal durch die Beschuldigung niedergebeugt, die ihm in seinem früheren Konsulat gemacht worden war, auf nichts Gewagtes ein und wollte lieber nicht durch kühne Tat siegen, als sich einem zweiten Unfall aussetzen. Terentius, unter dem Volk erzogen und in gemeiner Vermessenheit geübt, war auch sonst wohl übermütig, jetzt aber versprach er, allem den Ausschlag im Krieg zu geben, schmähte die Patrizier und glaubte wegen der Milde seines Amtsgenossen, allein den Oberbefehl zu führen. Daher kamen beide zu guter Zeit im Lager an; dem Hannibal fehlte es an Lebensmitteln, in Hispanien stand es schlimm, und die Bundesgenossen fielen von ihm ab, sodass sie ihn, hätten sie nur noch ein wenig gewartet, ohne Mühe besiegt hätten. So aber besiegte sie die Unbesonnenheit des Terentius und die Nachgiebigkeit des Paulus, der zwar immer das Rechte wollte, aber meist seinen Amtsgenossen gewähren ließ; denn Milde pflegt gegen Anmaßung immer benachteiligt zu werden.
Im Kampf hatten selbst die Mutigsten wegen des ungewissen Ausgangs weniger Hoffnung als Furcht; je mehr sie auch zu siegen glaubten, desto mehr fürchteten sie, es möchte nicht gelingen. Den Unwissenden erscheint in ihrer Betörung nichts furchtbar, der überlegte Mut dagegen […].
Um den Bürgern Karthagos die Niederlage der Römer anschaulich zu machen, ließ Hannibal drei Attische Scheffel voll goldener Ringe den Rittern und Senatoren, welche sie nach herkömmlicher Sitte zu tragen pflegten, bei der Plünderung der Leichen der Gefallenen abziehen und in den Hafen senden.
160. Als Scipio42 erfuhr, dass einige Römer damit umgingen, Rom und Italien, weil es nun bald den Karthagern gehören müsste, zu verlassen, stürzte er plötzlich mit gezücktem Schwert in das Haus, worin sie sich berieten, schwor, mit Wort und Tat seine Pflicht zu tun, und zwang jene zu demselben Schwur unter Androhung augenblicklichen Todes, wenn sie sich weigern würden. […]
Sie schrieben jetzt einstimmig an den Konsul, dass sie sich gerettet hätten. Dieser aber schrieb nicht sogleich nach Rom noch sandte er einen Boten ab, sondern begab sich nach Canusium, verfügte daselbst das Nötige, legte in die benachbarten Städte Besatzungen, so viel er konnte, und trieb die Reiterei, welche einen Angriff auf die Stadt machte, zurück. Überhaupt war er weder entmutigt noch bestürzt, sondern riet und tat, als ob ihnen kein Unglück begegnet wäre, mit reifer Überlegung das, was er im Augenblick für das Beste hielt.
161. Die Nuceriner hatten sich unter der Bedingung dem Hannibal ergeben, dass jeder mit einem Kleid aus der Stadt ziehen dürfte. Als er sie aber in seiner Gewalt hatte, ließ er die Senatoren in Badehäuser einschließen und ersticken, den anderen erlaubte er zwar zu gehen, wohin sie wollten, allein auch von ihnen tötete er viele auf dem Weg. Dies kam ihm jedoch nicht zustatten; denn die anderen ergaben sich aus Furcht vor ähnlichem Schicksal nicht mehr, sondern leisteten, solange sie konnten, Widerstand.
162. Marcellus, ein Mann von großer Tapferkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit, war gegen seine Untergebenen nicht immer streng und hart noch sah er besonders genau darauf, auf welche Art sie ihre Pflicht taten. Wenn einer sich etwas zuschulden kommen ließ, so verzieh er es der menschlichen Schwachheit und zürnte ihnen nicht, dass sie es ihm nicht gleichtaten.
163. Da viele in Nola die bei Cannae Gefangenen und von Hannibal Freigelassenen als seiner Seite zugetan fürchteten und umbringen wollten, widersetzte er sich und gewann sie dadurch, dass er den gegen sie allgemein gehegten Verdacht nicht zu teilen vorgab, derart, dass sie zu ihm hielten und ihrem Vaterland wie den Römern äußerst nützlich wurden.
164. Eben dieser Marcellus hörte von einem lukanischen Ritter, dass er in ein Mädchen verliebt sei, und erlaubte ihm, seiner Tapferkeit wegen, dieselbe im Lager bei sich zu haben, obgleich er verboten hatte, dass eine Frau die Verschanzungen betrete.
165. Hannibal verfuhr gegen die Acerraner auf gleiche Weise wie gegen die Nuceriner, nur dass er ihre Senatoren in Brunnen, nicht in Bäder warf.
166. Fabius wechselte die in den früheren Schlachten Gefangenen teils Mann gegen Mann aus, teils verglich er sich mit Hannibal, sie mit Geld einzulösen. Als aber der Senat die Kosten nicht übernehmen wollte, weil er überhaupt deren Auslösung nicht billigte, ließ er, wie schon erwähnt, seine eigenen Güter versteigern und kaufte sie mit dem Erlös frei.
167. Die Römer ließen Hannibal durch Abgesandte einen Gefangenenaustausch anbieten. Dieser kam jedoch nicht zustande, obgleich auch jener zu diesem Zweck den Carthalo abgeschickt hatte; denn da sie ihn, als Feind, nicht in die Mauern lassen wollten, verschmähte er eine Unterhandlung mit ihnen und kehrte sogleich voller Wut wieder um.
168. Ptolemaios,43 König von Ägypten, wäre beinahe durch einen Aufstand aus dem Land vertrieben worden; als er aber wieder zu Kräften kam, rächte er sich durch abscheuliche Strafen am Volk, indem er die Körper der Besiegten sieden und braten ließ. Bald darauf aber büßte er für seine Grausamkeit, indem er durch eine schreckliche