Die Zeit mit Anaïs. Georges Simenon
Читать онлайн книгу.Stück auftreten ließ. Seine Stirn fühlte sich glühend heiß an. Seine Ohren waren knallrot. Er riss sich zusammen, denn er hegte immer noch die Hoffnung, dass er den Sachverhalt so darlegen könnte, wie er es sich vorgenommen hatte.
»Setz dich hin. Bist du betrunken?«
Offenbar hatte der Inspektor bemerkt, dass er, wie auch schon im Wirtshaus von Ingrannes, nicht ganz fest auf den Beinen stand.
»Nein.«
»Verstehst du, was ich sage?«
»Ja. Ich glaube schon.«
»Du wirst also morgen nicht behaupten, man hätte dir das Geständnis unter der Folter entrissen?«
»Nein. Das verspreche ich.«
Auch der Inspektor schien sich unbehaglich zu fühlen, als liefen die Dinge nicht so, wie sie sollten.
»Wie oft hast du zugeschlagen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ich meine, mit dem Schürhaken.«
»Ich hab nicht gezählt. Er hat sich immer noch bewegt.«
»Du gibst also zu, dass sich seine Augen noch regten, als du mit dem Schürhaken auf ihn einschlugst?«
»Ja. Er hat mich angesehen.«
»Hat er etwas gesagt?«
»Er hätte es nicht gekonnt.«
»Warum nicht?«
»Die Kugel hatte ihm einen Teil des Kiefers herausgerissen, und die untere Gesichtshälfte war nur noch ein Loch. Deswegen …«
»Deswegen hast du ihm mit dem Schürhaken zweiundzwanzig Hiebe versetzt?«
»Der Anblick war schlimm. Ich wollte nicht, dass er litt.«
»Und damit er nicht leidet, hast du auf ihn eingeschlagen?«
»Nach dem ersten Schuss hatte sich der Revolver verklemmt. Ich nehme es jedenfalls an. Vielleicht steckte auch nur eine Patrone im Magazin. Es war ja nicht meiner. Als ich ins Zimmer trat, habe ich ihn auf dem Nachttisch liegen sehen.«
»Und danach?«
»Wonach?«
»Nachdem du mit dem Schürhaken auf ihn eingeschlagen hast?«
»Ich befürchtete, dass er nicht wirklich tot war.«
»Und dann hast du nach einer Bronzefigur gegriffen, um ihm den Schädel zu zertrümmern?«
»Ich bitte Sie um Verzeihung.«
»Wie, bitte?«
»Ich möchte mich entschuldigen. Ich konnte ihn doch in dem Zustand nicht weiterleben lassen. Es war ohnehin zu spät.«
»Kurz und gut, du wolltest sichergehen, dass er wirklich tot war.«
»Er sollte sich nicht mehr bewegen und mich nicht mehr anblicken. Ich hatte vor, mich sofort der Polizei zu stellen.«
»Wann hast du das beschlossen? Schon vorher?«
»Ja.«
»Also noch bevor du zu ihm gegangen bist? Ist es so? Du gibst also zu, dass du die Absicht hattest, ihn umzubringen?«
»Ganz so verhielt es sich eigentlich nicht. Ich will versuchen, Ihnen alles zu erklären …«
»Einen Moment.«
Es war heiß im Raum. Der Inspektor zog sein Jackett aus, setzte sich in Hemdsärmeln an seine Schreibmaschine, ließ Kohlepapier zwischen zwei Bögen gleiten.
»Wir fangen noch einmal von vorne an. Antworte nur, wenn ich dir eine Frage stelle, und rede nicht zu schnell. Wir haben Zeit.«
»Jawohl.«
Er tippte langsam, mit zwei Fingern, und am Ende jeder Zeile ertönte ein kurzes Klingelzeichen, dann glitt der Wagen rasselnd in seine Ausgangsstellung zurück.
In fast derselben Reihenfolge, beinahe wortgetreu wiederholte er die bereits gestellten Fragen und tippte sie ein, während er auf Bauches Antwort wartete, der sich seinerseits an seine ursprüngliche Formulierung zu erinnern versuchte.
»Also, du wolltest sichergehen, dass er wirklich tot war.«
»Ja.«
»Du hast vorhin gesagt:
›Er sollte sich nicht mehr bewegen.‹
Und du hast hinzugefügt, dass du vorhattest, dich der Polizei zu stellen.«
»Das ist richtig.«
»Und ich habe dich gefragt, ob du das schon vorher beschlossen hattest.«
»Ja.«
»Vor was genau?«
Schweigen.
»Vor seiner Ermordung?«
»So war es wohl.«
»Du wusstest also, dass du ihn töten würdest?«
»Ich wusste, dass es irgendwann geschehen würde.«
»Also schon bevor du den Revolver auf dem Nachttisch gesehen hast? Bevor du überhaupt ins Zimmer getreten bist?«
»Sonst wäre es wahrscheinlich ein andermal geschehen.«
»Mit welchem Revolver? Auch mit seinem?«
»Vielleicht. Oder ich hätte mir einen gekauft.«
Das Klappern der Schreibmaschine dröhnte in seinem Kopf, und er blickte wie gebannt auf den sich fortbewegenden Wagen, auf den Tanz der Finger über den Tasten.
Er machte noch einen Versuch, die Dinge anders darzustellen.
»Eigentlich war es nicht so …«
»Moment. Ich lese dir deinen letzten Satz vor. Du hast gerade gesagt:
›Vielleicht hätte ich mir einen gekauft.‹
Also gut! Jetzt beantworte mir folgende Frage: Seit wann hattest du diese Mordgedanken?«
»Ich weiß es nicht.«
»Seit acht Tagen? Seit einem Monat? Seit einem halben Jahr?«
»Seit einigen Monaten.«
»Du hast ihn jeden Tag im Büro gesehen?«
»Fast jeden Tag.«
»Hast du mit ihm zu Mittag oder zu Abend gegessen?«
»Ja. Das kam oft vor.«
»Du hast ihn niemals bedroht?«
»Nein.«
»Hast du nie etwas verlauten lassen, das seinen Argwohn hätte wecken können?«
»Niemals.«
Er versuchte noch einmal, aus dem Tunnel herauszukommen, in den er sich hineingetrieben fühlte.
»Ich möchte, dass Sie verstehen …«
»Ja, ja, gleich. Antworte erst auf meine Fragen. Hast du Schulden?«
Das Wort traf ihn wie ein Donnerschlag … Der Gedanke daran entsetzte ihn. Das hatte hier nichts zu suchen.
»Antworte.«
»Ja. Klar habe ich Schulden.«
»Sind sie hoch?«
»Das kommt darauf an, was Sie hoch nennen.«
»Was springt durch den Tod von Serge Nicolas für dich heraus?«
»Überhaupt nichts! Was sollte schon für mich herausspringen, wo ich doch im Gefängnis landen werde?«
»Nimm einmal an, niemand hätte je erfahren, dass du ihn getötet hast.«
»Aber ich hatte doch vor, mich der Polizei zu stellen!«