Die Zeit mit Anaïs. Georges Simenon

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Die Zeit mit Anaïs - Georges  Simenon


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an.«

      »Worauf kommt es an?«

      »Auf die Papiere.«

      »Papiere, die ihr beide unterschrieben habt?«

      »Ja. Aber Geld wollte ich ohnehin nicht.«

      »Was wolltest du dann?«

      »Ich weiß es nicht mehr. Vorhin hätte ich es Ihnen noch sagen können. Ja, vorhin wäre es noch möglich gewesen. Es schien alles so klar. Aber da war nun einmal die Sache, dass er nicht sofort tot war und ich, weil der Revolver nicht mehr funktionierte, zuschlagen musste.«

      »Zweiundzwanzigmal hast du mit dem Schürhaken blindlings auf ihn eingedroschen und ihm dann mit dieser Bronzefigur den Schädel zertrümmert!«

      »Das ist schon möglich. Ich habe Ihnen ja den Grund gesagt. Jedenfalls war ich ganz außer mir. Ich konnte doch nicht ahnen, dass das Ganze so verlaufen würde. Ich hatte vorgehabt, noch von seiner Wohnung aus die Polizei anzurufen und dort auf meine Festnahme zu warten. Aber ich konnte seinen Anblick nicht ertragen, deshalb bin ich hinuntergegangen. Ich habe meinen Überzieher liegenlassen.«

      »Hat denn niemand im Haus den Schuss gehört?«

      »Ich glaube nicht. In der Wohnung nebenan war eine Cocktailparty im Gange, und ich erinnere mich, dass von dort Musik zu hören war. Im Treppenhaus bin ich einem jungen Mädchen begegnet und habe mich an die Wand gedrückt, um sie vorbeizulassen. Als ich auf den Gehsteig hinaustrat, sah ich meinen Wagen vor der Haustür stehen. An das Auto hatte ich gar nicht mehr gedacht. Ich hatte ganz vergessen, dass ich überhaupt eines besaß. Ich verspürte das Bedürfnis nach frischer Luft, um vor dem Anruf bei der Polizei wieder zu mir zu kommen. Es wurde gerade dunkel. Ich fuhr die Avenue de Wagram hinauf und wollte eigentlich über die Champs-Élysées weiter. Doch im Kreisverkehr auf der Place de l’Étoile bin ich falsch abgebogen. Es waren viele Wagen unterwegs. Es regnete. Plötzlich befand ich mich am Seine-Ufer und bin über eine Brücke gefahren.«

      »Einen Augenblick. Ich komme nicht mit. ›Ich fuhr die Avenue de Wagram hinauf und wollte …‹ Und nachher?«

      Er wiederholte folgsam das Gesagte.

      »Und dann ist dir die Lust vergangen, dich der Polizei zu stellen?«

      »Ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich das von Anfang an vorhatte. Offenbar drücke ich mich nicht verständlich genug aus. Sehen Sie, es ist alles nicht so, wie Sie meinen.«

      »Hast du irgendwo angehalten und etwas getrunken?«

      »Nein. Auf den Gedanken bin ich gar nicht gekommen.«

      »Du hattest nicht das Bedürfnis, einen starken Schnaps zu kippen, um dich wieder zu fangen?«

      »Nein. Ich bin einfach drauflosgefahren. Bin den Lichtern gefolgt. Dann bin ich, ohne es richtig zu merken, an einer Kreuzung abgebogen. Mit einem Mal befand ich mich auf dem Land, und schließlich bin ich in den Wald geraten. Ich hatte kaum bemerkt, dass Zeit vergangen war.«

      »Hattest du vollgetankt?«

      »Warten Sie … Ja, heute Morgen, noch in der Werkstatt.«

      »Mit dem Hintergedanken, dass du zur Flucht reichlich Benzin brauchen würdest?«

      »Aber ich wollte doch gar nicht fliehen. Der Beweis dafür ist, dass ich sofort die Gendarmerie angerufen habe.«

      »Nachdem du dich erkundigt hattest, ob es in der Nähe einen Automechaniker gibt.«

      »Ja, weil ich lieber im eigenen Wagen nach Paris zurückgekehrt wäre.«

      »Warum eigentlich?«

      Er wollte den wahren Grund nicht nennen, um den Inspektor nicht zu kränken. Er hatte nämlich Angst gehabt, dass man ihn schlagen würde. Und er war davon überzeugt, dass die Leute von der Pariser Polizei ihn anders, mit mehr Fingerspitzengefühl, behandeln würden als die Gendarmen vom Land oder irgendein Provinzpolizist.

      Der Inspektor erhob sich, um sich Zigaretten von seinem Schreibtisch zu holen. Er zündete sich eine an, ohne Bauche eine anzubieten. Neben der Zigarettenschachtel lag eine angebrochene Tafel Schokolade. Bei ihrem Anblick merkte Bauche wieder, dass er Hunger hatte – vielleicht hatte er wegen seines leeren Magens so wenig Stehvermögen. Es würde ihm guttun, wenn man das Fenster öffnen und ein wenig frische Luft hereinlassen würde, aber es stand ihm jetzt nicht zu, um einen Gefallen zu bitten.

      Niedergeschlagen und unglücklich starrte er zu Boden. Der Inspektor tippte bereits eine Frage ein, die Bauche zu erraten versuchte, die jener ihm aber erst vorlas, nachdem der Wagen der Schreibmaschine in seine Ausgangsstellung zurückgekehrt war.

      »Warum hast du ihn getötet?«

      Bauche blickte auf und sah sein Gegenüber hilflos an.

      »Du verweigerst die Antwort?«

      »Ich verweigere sie nicht.«

      »Hattest du einen Grund, ihn zu töten?«

      »Ja, sicher.«

      »Welchen?«

      Vorher war ihm alles klar gewesen. Mit spielerischer Leichtigkeit hätte er die Antwort formuliert, sie zu einer flammenden Anklagerede umgemünzt und kämpferisch deklamiert. Immer wieder hatte er sich ausgemalt, was er »danach« sagen würde, wenn es ihn plötzlich wieder überkam und er im Büro, auf der Straße, in seinem Bett zwischen den Zähnen hervorstieß:

      »Ich werde ihn umbringen.«

      Er hatte sich in dieser Zeit eine Rede zurechtgelegt, an der er lange gefeilt und die er genüsslich mit Zusätzen und Verbesserungen versehen hatte.

      »Ich habe ihn getötet, weil …«

      Und nun passte das alles nicht. Schon das Wirtshaus in Ingrannes hatte er nicht in seine Rechnung mit einbezogen, ebenso wenig die Männer, die in ihm keinen Mitmenschen mehr sahen, oder die Gendarmen, die ihn wie ein Stück Vieh zur Schlachtbank führten, auch nicht diesen kränklichen Polizisten, der trotz seines vorgerückten Alters nur den Rang eines Inspektors bekleidete und der gerade eben am liebsten mit der Dirne in den Nebenraum gegangen wäre, um ihre Brüste zu streicheln.

      Weder die Schreibmaschine hatte er vorhergesehen noch die Fragen, die für ihn keinen Sinn besaßen, die sich aber in ihrem absichtsvollen Gewirr als sehr gefährlich erweisen könnten, genau wie beim Schachspiel, wo der Gegner scheinbar planlos seine Bauern vorschiebt, bis schließlich die Falle zuschnappt.

      Noch im Auto, in seinem eigenen natürlich, mit dem er ziellos über Land gefahren war, hatte ihm alles deutlich, in neuer verblüffender Klarheit vor Augen gestanden, und wenn man ihn in diesem Augenblick verhört hätte …

      Aber nein! In dem Augenblick hätte kein Mensch seine Sprache verstanden. Selbst für ihn verblasste dieser Moment bereits zu einer verschwommenen Erinnerung, als ob aus der Dunkelheit Strahlen eines blendenden Lichts hochschießen würden, um sogleich in Regentropfen zu zerstieben.

      »Ich stelle die Frage anders. Warum hast du dich schon seit Monaten mit dem Gedanken getragen, Serge Nicolas zu töten?«

      Er öffnete den Mund, schloss ihn aber sofort wieder. Auch das konnte er nicht sagen.

      »Hast du darauf keine Antwort?«

      »Nein.«

      »Jetzt möchte ich aber doch wissen, warum du dich heute, oder vielmehr gestern, denn Mitternacht ist bereits vorüber, ganz plötzlich entschlossen hast, ihn umzubringen. Wenn ich recht verstehe, wusstest du vorher nicht, zu welchem Zeitpunkt es geschehen würde, aber du hast es irgendwie kommen sehen. Als du gestern in die Rue Daru gefahren bist, hattest du den Entschluss noch nicht gefasst, denn du warst nicht bewaffnet und du wusstest nicht, dass sich der Revolver von Serge Nicolas auf dem Nachttisch befand. Stimmt das?«

      »Ja, das stimmt.«

      »Also hat dich der Anblick des Revolvers dazu bewogen, sofort zu handeln, statt noch länger zu warten?«

      »Nein.«

      »Was


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