David Copperfield. Charles Dickens
Читать онлайн книгу.so«, sagte Steerforth und drehte sich um. »Freut mich, Euch zu sehen. Was macht Ihr beide?«
Er hatte etwas Ungeniertes in seinem Wesen – etwas so Sicheres, Munteres und Ungezwungenes, aber nichts Prahlerisches – daß er immer eine Art unwiderstehlichen Zauber auf andere ausübte. Immer noch kommt es mir vor, als ob sein Auftreten, seine Haltung, seine Lebhaftigkeit, seine schöne Stimme, sein hübsches Gesicht und, wie es mir schien, eine innewohnende Anziehungskraft eine Gewalt ausübten, der nachzugeben natürlich war, und der nur wenige widerstehen mochten. Ich konnte nicht umhin, zu sehen, wie sehr er den beiden Fischern gefiel und wie sie ihm gleich ihre Herzen öffneten.
»Sie müssen ihnen auch zu Hause sagen, Mr. Peggotty,« sagte ich, »daß Mr. Steerforth sehr freundlich gegen mich ist und daß ich ohne ihn gar nicht wüßte, wie ich mich hier durchschlagen sollte.«
»Unsinn!« sagte Steerforth lachend. »So etwas dürft Ihr nicht schreiben.«
»Und wenn Mr. Steerforth einmal nach Norfolk oder Suffolk kommt, Mr. Peggotty,« sagte ich, »und ich bin auch grade dort, so bringe ich ihn ganz gewiß mit nach Yarmouth, um ihm Euer Haus zu zeigen. Du hast noch nie so ein nettes Haus gesehen, Steerforth. Es ist aus einem Boote gemacht!«
»Aus einem Boote, ist's möglich?« sagte Steerforth. »Na, das ist jedenfalls das richtige Haus für einen echten und tüchtigen Seebären.«
»Ja wohl, Sir«, sagte Ham grinsend. »Sie haben recht, junger Herr. Master Davy, der Herr hat recht. Ein echter tüchtiger Seebär! Ha ha, das ist er auch, meiner Seele!«
Mr. Peggotty fühlte sich nicht weniger geschmeichelt als sein Neffe, obgleich ihm seine Bescheidenheit verbot, ein persönliches Kompliment mit so stürmischer Anerkennung auf sich zu beziehen.
»Nun, Sir,« sagte er kratzfüßelnd und in sich hineinlachend und die Zipfel seines Halstuches in den Westenausschnitt stopfend, »danke schön, Sir, danke schön! Ich tue, was ich kann, in meinem Gewerbe, Sir.«
»Der beste kann nicht mehr tun, Mr. Peggotty«, sagte Steerforth. Er wußte schon seinen Namen.
»Ich wette, Sie tun es auch,« sagte Peggotty und schüttelte ihm die Hand, »und tun's gehörig – recht gehörig! Danke schön, Sir! Ich bin Ihnen recht dankbar, Sir, daß Sie mich so freundlich aufgenommen haben. Ich bin schlecht und recht, Sir – das heißt, ich hoffe, ich bin recht, verstehen Sie? An meinem Hause ist weiter nicht viel zu sehen, Sir, aber Sie sind willkommen, und es steht Ihnen ganz zu Diensten, Sir, wenn Sie einmal mit Mr. Davy hinkommen. Ich bin so eine richtige Treckschuite, eine alle Schnecke,« sagte Mr. Peggotty – damit meinte er seine Langsamkeit im Fortgehen, denn er hatte nach jedem Satze versucht, zu gehen, und war immer wieder umgekehrt – »aber ich wünsche Ihnen allen beiden beste Gesundheit und viel Glück!«
Ham gab dieser Äußerung seine Bestimmung, und wir schieden von ihnen auf das herzlichste. Ich kam diesen Abend fast in Versuchung, Steerforth von der hübschen kleinen Emilie zu erzählen, aber ich scheute mich zu sehr, ihren Namen zu nennen, und fürchtete, von ihm ausgelacht zu werden. Auch erinnere ich mich, daß ich viel und nachhaltig darüber gesonnen hatte, daß Mr. Peggotty gesagt hatte, sie sei bald ein großes Mädel; aber ich sagte mir bei näherer Überlegung, das wäre ja Übertreibung!
Wir praktizierten die Krebse oder das »Kosthäppchen«, wie der Schiffer sein Geschenk bescheiden bezeichnet hatte, unbemerkt in unser Zimmer und veranstalteten diesen Abend ein großes Essen. Aber Taddles sollte nicht gut dabei wegkommen. Er hatte soviel Malheur, daß er selbst nicht mit einem Essen wie andere Leute fertig wurde. Er aß zuviel und wurde in der Nacht krank, und da er die Ursache nicht gestehen wollte und nachdem er Tränke und Pillen in solchen Massen bekommen hatte, daß ein Pferd daran genug gehabt hätte (wie Demple sagte, der es wissen mußte, weil sein Vater Doktor war), wurde er noch obendrein mit einer derben Tracht Prügel bedacht, und zum Auswendiglernen von sechs Kapiteln aus dem griechischen Testament verurteilt.
Der Rest des Semesters gehört einer Masse verworrener Erinnerungen an aus den Plagen und Mühseligkeiten unseres täglichen Lebens: an den schwindenden Sommer und die wechselnde Jahreszeit, an die kühlen Morgen, wo man uns aus dem Bette rief, und an den kalten Geruch der dunkeln Nächte, wo wir wieder ins Bett mußten, an die schlecht beleuchtete und schlecht geheizte Abend- und Morgenschulstube, die weiter nichts war, als eine große Fröstelbude, an die Abwechselung zwischen gekochtem Rindfleisch und Rinderbraten und gekochtem Schöpsenfleisch und Schöpsenbraten, an Schichten von Brot und Butter, an Schulbücher mit Eselsohren, zerbrochene Schiefertafeln, Schreibbücher mit Tränenflecken, Hiebe mit dem Röhrchen und dem Lineal, Haarzupfen, regnerische Sommertage, Speckpuddings und eine schmutzige Tintenatmosphäre, die alles umgibt.
Doch erinnere ich mich noch recht gut der fernen Aussicht auf die Feiertage, die uns erst vor unendlich langer Zeit wie ein feststehender Punkt erschienen waren, der sich uns immer mehr näherte und beständig größer wurde, wie wir erst Monate und dann Wochen und dann Tage zählten, wie ich dann anfing zu fürchten, daß ich nicht nach Hause reisen werde, und wie ich, als ich von Steerforth erfuhr, daß man schon meine Heimreise angemeldet hatte, von einer dunklen Ahnung gequält wurde, ich könnte das Bein brechen. Wie dann endlich der Tag der Abreise rasch näher rückte, von der übernächsten Woche auf die nächste Woche, dann auf die gegenwärtige Woche, auf übermorgen, morgen, heute abend – wo ich in der Postkutsche von Yarmouth saß und nach Hause reiste.
Ich schlummerte mit vielen Unterbrechungen in der Kutsche und hatte manchen unzusammenhängenden Traum von allen diesen Dingen. Aber wenn ich manchmal aufwachte, war die Gegend draußen vor dem Fenster nicht der Spielplatz von Salemhaus, und was in meine Ohren tönte, war nicht Mr. Creakles krächzende Stimme, der eben Traddles abstrafte, sondern die des Kutschers, der die Pferde antrieb.
Achtes Kapitel. Die Ferien. Ein glücklicher Nachmittag.
Als wir, noch vor Tagesanbruch, in dem Gasthof ankamen, wo die Postkutsche hielt, der aber nicht der Gasthof war, wo mein Freund, der Kellner hauste, sondern es stand über seiner Tür »Delphin«, wies man mich in ein kleines hübsches Schlafzimmer. Ich weiß noch, wie sehr ich fror, trotz dem heißen Tee, den sie mir unten vor einem großen Feuer eingeschenkt hatten, und legte mich gern ins Bett, wickelte mich in die Bettdecke und schlief ein.
Mr. Barkis, der Fuhrmann, sollte mich morgens früh um neun Uhr abholen. Ich stand um acht Uhr auf, noch etwas benommen von dem kurzen Schlummer, und wartete auf ihn schon vor der bestimmten Zeit, Er empfing mich ganz so, als ob nicht fünf Minuten vergangen gewesen wären, seit wir uns zuletzt gesehen hatten, und als wäre ich nur in das Gasthaus getreten, um mir ein Sixpencestück wechseln zu lassen oder so was ähnliches.
Als ich und mein Koffer im Wagen waren und der Fuhrmann auf dem Bocke Platz genommen hatte, machte sich der faule Gaul in seinem alten trägen Trott mit uns auf den Weg.
»Sie sehen recht wohl aus, Mr. Barkis«, sagte ich, in der Meinung, daß es ihn erfreuen würde.
Mr. Barkis rieb sich die eine Backe mit dem Ärmel und sah dann diesen an, als ob er darauf etwas von der Röte seines Gesichts zu finden erwartete; aber eine andere Anerkennung des Kompliments gab er nicht von sich.
»Ich habe auch Ihre Botschaft ausgerichtet, Mr. Barkis«, sagte ich. »Ich habe an Pegotty geschrieben.«
»So, hm!« sagte Mr. Barkis, und schien verdrießlich zu sein und antwortete sehr kurz angebunden.
»War's nicht richtig, Mr. Barkis?« fragte ich nach einigem Zögern.
»Nu nein«, sagte Mr. Barkis.
»Nicht die Botschaft?«
»Die Botschaft war schon recht«, sagte Mr. Barkis. »Aber damit war's aus.« Da ich nicht verstand, was er meinte, wiederholte ich fragend: »Damit war's aus, Mr. Barkis?«
»Es