David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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Jane«, wendete meine Mutter ein.

      »Geradezu eine Närrin!« wiederholte Miß Murdstone. »Wer könnte sonst meines Bruders Kind mit diesem Knaben vergleichen? Sie sind sich gar nicht ähnlich. Sie sind sich in jeder Hinsicht unähnlich, und ich hoffe, daß sie es immer bleiben werden. Ich kann solche Vergleiche nicht ruhig mit anhören!« Damit ging sie feierlichen Schrittes hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.

      Mit einem Worte, ich war kein Liebling der Miß Murstone, mit einem Worte, es sah mich niemand freundlich an, denn die mich liebten, konnten es nicht zeigen, und die mich nicht liebten, zeigten es so deutlich, daß ich mich nicht von dem beschämenden Bewußtsein losmachen konnte, befangen, ungeschickt und dumm zu erscheinen.

      Ich hatte also die Empfindung, daß es mir so unbehaglich mit ihnen, wie ihnen mit mir erging. Trat ich in das Zimmer, wo sie sich unterhielten, und meine Mutter schien heiter, so flog mit dem Augenblick meines Hereinkommens eine Wolke von Spannung über ihre Stirn. War Mr. Murdstone in seiner besten Laune, mein Anblick dämpfte sie. War Miß Murdstone in ihrer schlechtesten Stimmung, ich verschlimmerte sie noch. Ich besaß Einsicht genug, um zu erkennen, daß meine Mutter immer darunter leiden mußte, daß sie sich fürchtete, freundlich zu mir zu sein oder mit mir zu sprechen, damit sie dadurch nicht bei jenen Anstoß erregte und sich hinterher Vorwürfe zuzöge. Ich merkte, daß sie nicht nur beständig fürchtete, anzustoßen, sondern auch daß ich anstieße und deshalb unablässig die Blicke der beiden beobachtete, sobald ich mich nur rührte. Deshalb beschloß ich, mich von ihnen so fern wie möglich zu halten, und saß manche kalte Winterstunde in meinem einsamen Schlafzimmer und las in einem Buche in meinen kleinen Überrock eingewickelt.

      Des Abends leistete ich manchmal Peggotty in der Küche Gesellschaft. Dort befand ich mich wohl und brauchte mich nicht zu scheuen, mich zu geben, wie ich eben war! Aber diese Unterhaltungen fanden keine Billigung in der Wohnstube. Die dort herrschende Lust am Quälen machte ihnen bald ein Ende, Man hielt mich immer noch für ein unentbehrliches Hilfsmittel bei der Erziehung meiner armen Mutter, und ich durfte daher als eine der ihr auferlegten Prüfungen nicht abwesend bleiben.

      »David,« sagte Mr. Murdstone eines Tages nach dem Essen, als ich mich wie gewöhnlich entfernen wollte, »ich finde zu meinem großen Leidwesen, daß du von mürrischer Gemütsart bist.«

      »So brummig wie ein Bär!« sagte Miß Murdstone, Ich blieb vor ihnen stehen und ließ den Kopf sinken.

      »Und ich muß dir sagen, David,« sagte Mr. Murdstone, »eine mürrische und verstockte Gemütsart ist von allen die schlimmste.«

      »Und die Gemütsart dieses Jungen ist von allen, die ich bis jetzt gefunden habe, die verstockteste«, bemerkte seine Schwester. »Ich glaube, selbst du mußt es bemerken, liebe Klara!«

      »Ich bitte um Verzeihung liebe Jane,« sagte meine Mutter, »aber bist du auch wirklich sicher – du wirst es gewiß entschuldigen, liebe Jane – daß du Davy verstehst?«

      »Ich würde mich doch wahrhaftig vor mir selbst schämen, Klara, wenn ich den oder jenen andern Bengel nicht verstände«, erwiderte Miß Murdstone. »Ich maße mir nicht an, sehr scharfsinnig zu sein, aber ich mache wenigstens auf gesunden Menschenverstand Anspruch.«

      »Gewiß, liebe Jane,« entgegnete meine Mutter, »hast du einen sehr scharfen Verstand –«

      »Ach Gott, nein! Bitte, sage das nicht, Klara«, unterbrach sie Miß Murdstone ärgerlich-gereizt.

      »Aber ich weiß, daß dies der Fall ist,« begann meine Mutter von neuem, »und jedermann weiß es. Ich habe selbst in mancherlei Art so großen Nutzen davon – oder es sollte wenigstens sein – daß niemand mehr davon überzeugt sein kann als ich; und deshalb sage ich es mit großer Schüchternheit, liebe Jane.«

      »Ich will zugeben, daß ich den Knaben nicht verstehe, Klara«, sagte Miß Murdstone und rückte die kleinen Fesseln der Stahlarmbänder um ihre Knöcheln, zurecht. »Ich will zugeben, daß ich ihn gar nicht verstehe. Er ist viel zu tief für mich. Aber meines Bruders Scharfblick genügt vielleicht, einige Einsicht in seinen Charakter zu gewinnen. Und ich glaube, mein Bruder sprach über diese Frage, als wir ihn – nicht sehr höflich – unterbrachen.«

      »Ich glaube, Klara,« sagte Mr. Murdstone mit leiser, ernster Stimme, »es gibt bessere und unbefangenere Richter über diese Frage, als du bist.« »Eduard,« sagte meine Mutter schüchtern, »du bist natürlicherweise in solchen Fragen ein viel besserer Richter als ich. Und Jane gewiß auch. Ich sagte nur –«

      »Du sagtest nur etwas sehr Rücksichtsloses und Unüberlegtes«, erwiderte er. »Bemühe dich, es nicht wieder zu tun und nimm dich besser in acht, Klara!«

      Die Lippen meiner Mutter bewegten sich, als ob sie antwortete: »Ja, lieber Eduard!« Aber sie brachte keinen Laut hervor.

      »Ich habe zu meinem Leidwesen bemerkt, David,« sagte Mr. Murdstone von neuem zu mir, »daß du von verstockter Gemütsart bist. Ich werde nicht gestatten, daß sich ein solcher Charakter unter meinen Augen entwickelt, ohne daß ich einen Versuch mache, ihn zu bessern. Du mußt dich anstrengen, anders zu werden, David. Wir müssen uns bemühen, dich anders zu machen.«

      »Ich bitte um Verzeihung, Sir«, stotterte ich. »Es fällt mir gar nicht ein, verstockt zu sein, seitdem ich wieder hier bin.«

      »Nimm deine Zuflucht nicht zum Lügen, Knabe!« herrschte er mir so rauh zu, daß meine Mutter unwillkürlich ihre zitternde Hand ausstreckte, wie um uns auseinander zu halten. »Du ziehst dich in deiner Verstocktheit auf dein eigenes Zimmer zurück. Du bleibst in deinem Zimmer, wenn du hier sein solltest. Ich sage dir es jetzt ein für allemal, daß ich dich hier und nicht dort zu sehen erwarte. Ferner verlange ich, daß du Gehorsam mit hierher bringst. Du kennst mich, David. Ich will es so.«

      Miß Murdstone ließ ein heiseres Lachen vernehmen.

      »Ich will, daß du dich achtungsvoll, gehorsam und dienstwillig gegen mich und gegen Jane Murdstone und gegen deine Mutter benimmst«, fuhr er fort. »Ich will nicht haben, daß ein Kind nach seinem Belieben dieses Zimmer scheut, als wäre es verpestet. Setze dich!«

      Er befahl mir wie einem Hunde, und ich gehorchte wie ein Hund. »Noch eins«, sagte, er. »Ich bemerke, daß du einen Hang zu niedriger und gemeiner Gesellschaft hast. Du darfst nicht mit Dienstboten umgehen. In der Küche wirst du von den vielen Sachen, die dir noch fehlen, nichts lernen. Von dem Geschöpf, das dich darin bestärkt, Klara, will ich nichts sagen – da du«, fuhr er etwas leiser zu meiner Mutter gewendet, fort, »aus alter Erinnerung und langer Gewohnheit in bezug auf sie eine Schwäche zeigst, die noch nicht überwunden ist.«

      »Eine ganz unerklärliche Schwäche!« rief Miß Murdstone.

      »Ich sage nur,« fuhr er wieder zu mir gewendet fort, »daß ich es nicht billigen kann, wenn du solche Gesellschaft, wie Miß Peggotty ist, vorziehst, und daß du sie aufgeben mußt. Jetzt weißt du, was ich meine, David, und weißt auch, was die Folge sein wird, wenn du mir nicht buchstäblich gehorchst.«

      Ich kannte diese Folgen wohl – besser vielleicht, als er es dachte, soweit sie meine arme Mutter betraf – und ich gehorchte ihm buchstäblich. Ich zog mich nicht mehr auf mein Zimmer zurück; ich suchte nicht mehr eine Zuflucht bei Peggotty, sondern saß jeden langen Tag in der großen Wohnstube und sehnte mich nach dem Abend und nach dem Schlafengehen.

      Unter welchem peinlichen Zwang hatte ich zu leiden, wenn ich in einer Stellung stundenlang dasaß und mich fürchtete, einen Arm oder einen Fuß zu rühren, damit nicht Miß Murdstone (was sie bei jeder Gelegenheit tat) über mein unruhiges Wesen klagte, oder ein Auge zu bewegen, daß es nicht etwa einem Blicke der Abneigung oder des Forschens begegne, der neuen Stoff zur Beschwerde in meinem Blicke fand! Welche unerträgliche Langeweile, dem Ticken der Uhr zuzuhören, zu sehen, wie Miß Murdstone die kleinen glänzenden Stahlperlen aufreihte, sich den Kopf


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