David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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Mr. Barkis?« sagte ich und tat vor Verwunderung die Augen weit auf, denn nun ging mir ein ganz neues Licht auf.

      »Wenn jemand sagt, er ist Willens,« sagte Mr. Barkis und wendete seine Augen langsam wieder auf mich, »dann heißt das so viel, wie der jemand wartet auf eine Antwort.«

      »Nun ja, Mr. Barkis.«

      »Nun ja«, sagte Mr. Barkis und stierte mit seinen Augen von neuem auf die Ohren des Pferdes. »Der jemand wartet immer noch auf eine Antwort.«

      »Haben Sie ihr das gesagt, Mr. Barkis?«

      »Hm«, brummte Mr. Barkis nachdenklich, nachdem er ein Weilchen überlegt hatte. »Es ist nicht mein Fall, ihr so etwas zu sagen. Hab' noch keine drei Worte mit ihr gesprochen. Ich kann's ihr so nicht sagen.«

      »Soll ich's vielleicht für Sie tun, Mr. Barkis«, sagte ich schüchtern.

      »Das könnten Sie schon, wenn Sie wollen,« schmunzelte er, »und sagen, daß Barkis, auf eine Antwort wartet. Sagen Sie mal, wie ist eigentlich der Name?«

      »Ihr Name?«

      »Hm!« sagte Mr. Barkis mit einem Kopfnicken.

      »Peggotty!«

      »Taufname oder Vatersname?« sagte Mr. Barkis.

      »Oh, das ist nicht ihr Taufname. Der ist Klara.«

      »I der Tausend!« machte Mr. Barkis.

      Dieser Umstand schien Anlaß zum tiefsten Nachdenken zu geben, denn er saß eine lange Zeit da und pfiff leise vor sich hin.

      »Nun ja«, fing er endlich wieder an. »Sagen Sie also: Peggotty, Barkis wartet auf Antwort. Sagt sie vielleicht: ›Antwort worauf?‹ Sagen Sie, auf das, was ich ihr gesagt habe. ›Was ist das?‹ sagt sie. Barkis ist willens, sagen Sie.«

      Diesen außerordentlich schlauen Rat begleitete Mr. Barkis mit einen freundschaftlichen Stoß mit dem Ellbogen, daß mir die Seite wehtat. Darauf hockte er wieder wie gewöhnlich ruhig auf seinem Platze, kam nicht wieder auf das Thema zurück, und blieb in dieser Stellung, bis er eine halbe Stunde später ein Stück Kreide aus der Tasche holte und inwendig auf die Seite des Wagens mit großen Buchstaben schrieb: Klara Peggotty – offenbar als Privatnotiz.

      Ach welch seltsames Gefühl war es doch, sich dem heimischen Hause zu nähern, in dem man sich nicht mehr heimisch fühlt, und zu finden, daß jeder Gegenstand, den man erblickt, uns an das alte liebe Daheim erinnert, das wie ein Traum erscheint, den man nie wieder träumen kann! Die Tage, da meine Mutter, Peggotty und ich einander alles in allem waren, da sich niemand zwischen uns drängte, stiegen unterwegs so schmerzlich vor meinem Geiste auf, daß ich nicht wußte, ob es nicht besser gewesen wäre, fern geblieben zu sein und jene Zeiten in Steerforths Gesellschaft zu vergessen. Aber ich war einmal da, und schon stand ich vor unserm Hause, – die kahlen alten Ulmen reckten alle ihre Arme in die schaurig kalte Winterluft wie verzweifelnd empor und Stücke der alten Krähennester trieben im Winde.

      Der Fuhrmann lud meinen Koffer an der Gartentür ab, verließ mich dann, und ich ging durch den Garten auf das Haus zu, sah nach den Fenstern und fürchtete jeden Augenblick Mr. Murdstone oder Miß Murdstone zu erblicken. Es zeigte sich jedoch kein Gesicht. Ich erreichte indessen das Haus und, da ich die Tür bei Tage ohne anzuklopfen zu öffnen wußte, trat ich leise und schüchtern ein.

      Gott weiß, wie kindlich die Erinnerung gewesen sein mag, die in mir erwachte, als ich draußen im Flur vor der alten Wohnstube meiner Mutter Stimme vernahm. Sie sang leise vor sich hin. Ich glaube, ich muß in ihren Armen gelegen und sie so singen gehört haben, als ich noch ein Säugling war. Das Lied war mir neu und doch so altvertraut; daß es mein Herz zum Überströmen erfüllte, wie ein alter Freund, der nach langer Abwesenheit zurückkehrt.

      Aus der versonnenen träumerischen Art, in der meine Mutter das Lied sang, schloß ich, daß sie allein sei, und ich trat leise in das Zimmer. Sie saß beim Feuer und säugte ein Kind, dessen kleines Händchen an ihrer Brust ruhte. Ihre Augen ruhten auf seinem Gesicht und sie sang ihm etwas vor. Sonst war sie ganz allein.

      Ich sprach sie an, und sie fuhr zusammen, und ein Schrei der Überraschung tönte aus ihrem Munde. Aber als sie mich sah, nannte sie mich ihren lieben Davy, ihr geliebtes Kind, und kam mir entgegen, kniete vor mir nieder und küßte mich, und zog meinen Kopf an ihren Busen neben den kleinen Säugling, der dort ruhte, und drückte sein Händchen gegen meine Lippen.

      Ich wollte, ich wäre dabei gestorben. Ich wollte, ich hätte dabei sterben können mit diesem Gefühle im Herzen! Ich hätte damals besser für den Himmel gepaßt, als seitdem zu irgend einer Zeit.

      »Das ist dein Brüderchen«, sagte meine Mutter Und liebkoste mich. »Davy, mein armes Kind!« Dann küßte sie mich immer wieder und umhalste mich. So lag ich an ihrer Brust, als Peggotty hereingelaufen kam; sie stürzte auf den Boden neben uns hin und war eine Viertelstunde lang ganz verrückt.

      Ich war nicht so zeitig erwartet worden, und der Fuhrmann war eher angekommen als gewöhnlich. Ich erfuhr auch, daß Mr. und Miß Murdstone einen Besuch in der Nachbarschaft machten und vor Schlafengehen nicht zurückkommen würden. Das hatte ich nicht zu hoffen gewagt. Ich hatte mir nie vorgestellt, daß wir drei noch einmal allein und ungestört zusammen sein könnten, und mir war in jenem Augenblick zumute, als sei die alte Zeit zurückgekehrt! Wir aßen unser Mittag vor dem Kamin. Peggotty wollte uns bedienen, aber meine Mutter litt es nicht, und sie mußte mit uns am Tische essen. Ich bekam meinen alten Teller mit der braunen Ansicht eines Kriegsschiffs mit vollen Segeln, den Peggotty wahrend der ganzen Zeit meiner Abwesenheit irgendwo versteckt gehalten hatte, und den zu zerbrechen sie nicht um hundert Pfund erlauben würde, wie sie sagte. Auch meinen alten Krug, mit dem David darauf, bekam ich, sowie die kleinen stumpfen Messer und Gabel.

      Als wir bei Tische saßen, hielt ich es für eine günstige Gelegenheit, den Auftrag von Mr. Barkis an Peggotty auszurichten. Ehe ich damit fertig war, fing sie an zu lachen und hielt die Schürze vors Gesicht.

      »Peggotty!« sagte meine Mutter. »Was gibt's denn?«

      Peggotty lachte nur noch mehr und hielt die Schürze noch fester vor ihr Gesicht, als sie meine Mutter wegziehen wollte, und ihr Kopf sah aus, als steckte er in einem Sack.

      »Was hast du denn, du schnurriges Ding?«sagte meine Mutter.

      »Ach, zum Kuckuck mit dem dummen Kerl!« rief Peggotty. »Er will mich heiraten.«

      »Das wäre eine ganz gute Partie für dich,« sagte meine Mutter, »nicht wahr?«

      »Ach, ich weiß es nicht«, sagte Peggotty. »Fragen Sie mich nicht. Ich möchte ihn nicht haben und wenn er von Gold wäre. Ich will gar niemand, haben.«

      »Nun, warum sagst du's ihm nicht, du närrisches Ding?« sagte meine Mutier.

      »Es ihm sagen?« entgegnete Peggotty und sah unter ihrer Schürze hervor. »Er hat mir noch nie ein Wort davon gesagt. Er weiß auch warum. Wenn er sich unterstehen wollte, so gäbe ich ihm eine ins Gesicht.«

      Ihr Gesicht war so rot, wie ich es kaum jemals gesehen hatte, und wiewohl nie ein anderes so rot werden kann: sie deckte es denn auch gleich wieder zu und brach in heftiges Lachen aus, und nachdem sich dieser Anfall zwei- oder dreimal wiederholt hatte, aß sie ruhig weiter. Ich bemerkte, daß meine Mutter, obgleich sie lächelte, wenn Peggotty sie ansah, immer ernster und nachdenklicher wurde. Ich hatte von vorherein bemerkt, daß sie sich verändert hatte. Ihr Gesicht war noch sehr hübsch, aber es war viel hagerer geworden, und der Gram hatte tiefe Spuren darauf zurückgelassen; ihre Hand war so weiß und dünn, daß sie mir fast durchsichtig vorkam. Aber dazu kam noch eine andere Veränderung, die ich jetzt bemerkte, nämlich ein beklommenes und aufgeregtes Wesen. Endlich legte sie ihre Hand liebevoll auf die Hand ihrer alten Dienerin und sagte:


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