David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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ste­hen um das Grab her­um. Der Tag scheint mir an­ders als je­der an­de­re Tag und das Licht hat sei­ne Far­be ver­lo­ren. Dann herrscht die fei­er­li­che Stil­le, die wir her­aus­ge­tra­gen ha­ben mit dem, was jetzt in der Erde ruht. Wir ste­hen ent­blö­ßten Haup­tes da, und ich höre die Stim­me des Geist­li­chen hier im Frei­en, so fern und doch so deut­lich klin­gen: »Ich bin die Au­fer­ste­hung und das Le­ben, spricht der Herr.« Dann höre ich schluch­zen; ich ste­he ge­son­dert von den üb­ri­gen und sehe die gute und treue Die­ne­rin, die ich von al­len Men­schen auf Er­den am meis­ten lie­be, und zu der, wie mein kind­li­ches Herz fest über­zeugt ist, der Herr ei­nes Ta­ges sa­gen wird: »Du hast wohl­ge­tan.«

      Es sind vie­le be­kann­te Ge­sich­ter da in der klei­nen Men­ge, die ich von der Kir­che her ken­ne, Ge­sich­ter, die mei­ne Mut­ter noch kann­ten, als sie in ih­rer Ju­gend­blü­te in das Dorf ge­kom­men war. Ich küm­me­re mich nicht um sie, ich küm­me­re mich nur um mei­nen Schmerz und doch sehe ich sie und ken­ne sie alle und sehe selbst weit im Hin­ter­grund Min­nie zu­schau­en und auf ih­ren Schatz bli­cken, der in mei­ner Nähe steht.

      Es ist vor­bei, und das Grab ist zu­ge­schüt­tet, und wir wen­den uns wie­der heim­wärts. Vor uns steht un­ser Haus, so schmuck und un­ver­än­dert, so fest ver­knüpft in mei­ner See­le mit dem Ju­gend­bild de­rer, die nicht mehr ist. All mein Schmerz ist nichts ge­gen den, den ich jetzt füh­le. Aber sie füh­ren mich fort, und Mr. Chil­lip re­det mir zu, und wie wir da­heim sind, be­netzt er mei­ne Lip­pen mit Was­ser, und als ich ihn um Er­laub­nis bit­te, auf mein Zim­mer ge­hen zu dür­fen, ent­lässt er mich mit der Zärt­lich­keit ei­ner Frau. Al­les das kommt mir vor, als wäre es ges­tern ge­sche­hen. Er­eig­nis­se ei­ner spä­tem Zeit sind fort­ge­weht an jene Küs­te, wo al­les Ver­ges­se­ne der­einst wie­der­kommt. Doch die­ses ragt vor mir wie ein ho­her Fels im wei­ten Meer.

      Ich wuss­te, dass Peg­got­ty in mein Zim­mer kom­men wür­de. Die Sab­bat­stil­le tat uns bei­den wohl. Sie setz­te sich ne­ben mich auf mein klei­nes Bett, nahm mei­ne Hand, drück­te sie von Zeit zu Zeit an ihre Lip­pen und strei­chel­te sie, wie sie wohl mein klei­nes Brü­der­chen ge­strei­chelt ha­ben moch­te, und er­zähl­te mir in ih­rer schlich­ten Art, wie al­les ge­kom­men war.

      »Sie fühl­te sich seit lan­ger Zeit gar nicht mehr recht wohl«, sag­te Peg­got­ty. »Sie fühl­te sich nicht glück­lich. Als das Klei­ne zur Welt kam, dach­te ich, es wür­de mit ihr bes­ser wer­den. Aber sie war an­ge­grif­fe­ner als je und schwand da­hin mit je­dem Tage. Vor der Ge­burt des Kin­des pfleg­te sie viel al­lein zu sit­zen und dann wein­te sie; aber spä­ter sang sie ihm vor, so lei­se, dass ich manch­mal dach­te, es sei wie eine Stim­me in der Luft, die lang­sam ver­klingt.

      Ich glau­be, sie wur­de in der letz­ten Zeit im­mer ver­schüch­ter­ter und furcht­sa­mer, und ein har­tes Wort war für sie ein Schlag, aber ge­gen mich blieb sie im­mer die glei­che. Sie wur­de nie an­ders ge­gen ihre ein­fäl­ti­ge Peg­got­ty, mein sü­ßes Mä­del.«

      Hier hielt Peg­got­ty inne und klopf­te mir ein Weil­chen sanft die Hand.

      »Das letz­te Mal, wo sie ganz wie­der schi­en wie frü­her, war an je­nem Abend, wo du nach Hau­se kamst, mein Lieb­ling. Und am Tag, als du fort­gingst, sag­te sie zu mir: ›Ich wer­de mei­nen Her­zens­lieb­ling nie mehr wie­der­se­hen. Eine Stim­me sagt es mir und ich weiß, dass sie die Wahr­heit spricht.‹ Sie ver­such­te dann hei­ter zu er­schei­nen, und manch­mal, wenn sie zu hö­ren be­kam, sie wäre ge­dan­ken­los und leicht­sin­nig, tat sie so, als ob sies wäre, aber es war schon al­les vor­bei. Sie sag­te ih­rem Man­ne nichts. Bis ei­nes Abends, kaum eine Wo­che, ehe sie starb, da sag­te sie zu ihm, ›ich glau­be, ich st­er­be bald.‹

      ›Jetzt hab ichs vom Her­zen her­un­ter, Peg­got­ty‹, sag­te sie dann zu mir, als ich sie an die­sem Abend zu Bett brach­te. ›Es wird ihm in den we­ni­gen Ta­gen, die ich noch zu le­ben habe, deut­li­cher und deut­li­cher wer­den, dem Ar­men. Und dann ists vor­bei. Ich bin sehr müde. Wenn es nur Schlaf ist, so blei­be bei mir sit­zen und ver­lass mich nicht. Gott seg­ne mei­ne bei­den Kin­der. Gott be­schüt­ze und be­hü­te mei­nen va­ter­lo­sen Jun­gen.‹

      Seit­dem hab ich sie nicht mehr ver­las­sen«, sag­te Peg­got­ty. »Sie sprach oft mit den bei­den da un­ten, denn sie lieb­te sie. Sie konn­te nicht an­ders, sie muss­te je­den lie­ben, der in ih­rer Nähe war. Aber wenn sie von ih­rem Bet­te weg­ge­gan­gen wa­ren, da muss­te ich kom­men, als ob nur Ruhe sein könn­te, wo Peg­got­ty war, und nie konn­te sie an­ders ein­schla­fen.

      Am letz­ten Abend küss­te sie mich und sag­te, ›wenn das Baby mit mir ster­ben soll­te, Peg­got­ty, so sol­len sie es mir in die Arme le­gen und uns zu­sam­men be­gra­ben. Und mein lie­ber Sohn soll zu mei­nem Gra­be ge­hen‹, sag­te sie, ›er­zäh­le ihm, dass ich ihn, als ich hier lag, nicht ein­mal, son­dern tau­send­mal ge­seg­net habe.‹«

      Wie­der folg­te eine Pau­se des Schwei­gens, und Peg­got­ty klopf­te mir wie­der sanft die Hand.

      »Es war schon spät in der Nacht, da ver­lang­te sie zu trin­ken, und als sie ge­trun­ken hat­te, da lä­chel­te sie mich so ge­dul­dig und lieb und schön an.

      Der Tag brach an und die Son­ne ging eben auf, als sie mir er­zähl­te, wie gü­tig und rück­sichts­voll Mr. Cop­per­field im­mer ge­gen sie ge­we­sen war, wie er mit ihr Ge­duld ge­habt und ihr im­mer, wenn sie an sich selbst zwei­fel­te, ver­si­chert hat­te, dass ein Herz voll Lie­be bes­ser und stär­ker sei als alle Weis­heit, und dass ihn ihre Lie­be glück­lich ma­che. ›Lie­be Peg­got­ty‹ sag­te sie dann, ›le­ge mich nä­her an dich her­an‹ – so schwach war sie schon – ›le­ge dei­nen lie­ben Arm un­ter mei­nen Kopf und wen­de mein Ge­sicht dir zu, denn dei­ne Züge ge­hen im­mer wei­ter von mir weg und ich will dir so nahe sein.‹ Ich tat, wie sie ver­lang­te, und ach, Davy, die Zeit war ge­kom­men, wo das wahr wur­de, was ich dir ein­mal ge­sagt habe, sie war froh, ih­ren ar­men Kopf auf den Arm ih­rer ein­fäl­ti­gen, mür­ri­schen, al­ten Peg­got­ty le­gen zu kön­nen. Sie starb wie ein Kind, das ein­schläft.«

      So en­dig­te Peg­got­tys Er­zäh­lung. Von dem Au­gen­blick an, wo ich den Tod mei­ner Mut­ter er­fuhr, war das Bild, das ich mir zu­letzt von ihr mach­te, ver­schwun­den. Von dem Au­gen­blick an er­in­ner­te ich mich ih­rer bloß als der jun­gen Mut­ter mei­ner frü­he­s­ten Kind­heit, die ihre glän­zen­den Lo­cken um ihre Fin­ger zu wi­ckeln und im Zwie­licht mit mir im Zim­mer her­um­zu­tan­zen pfleg­te. Mit ih­rem Tode schweb­te ihr Bild zu­rück in ihre ru­hi­ge, un­ge­stör­te Ju­gend­zeit, und al­les üb­ri­ge war aus­ge­löscht.

      Die Mut­ter, die im Gra­be ruht, ist die Mut­ter mei­ner Kind­heit, das klei­ne We­sen in ih­ren Ar­men ist, wie ich einst ge­we­sen war, und liegt an ih­rem Bu­sen ein­ge­lullt auf ewig.

      Das ers­te, was Miss Murd­sto­ne am Tag nach dem Be­gräb­nis­se tat, war, dass sie Peg­got­ty für den kom­men­den Mo­nat kün­dig­te. So sehr Peg­got­ty eine sol­che Stel­le miss­fal­len muss­te, so hät­te sie sie doch um mei­net­wil­len je­der an­de­ren auf der Welt vor­ge­zo­gen.

      Was mich be­traf und mei­ne Zu­kunft, fiel kein Wort, und es ge­sch­ah auch nichts. Sie wä­ren wahr­schein­lich froh ge­we­sen, wenn sie mir auch hät­ten mo­nat­lich kün­di­gen kön­nen. Ich fass­te mir ein­mal ein Herz und frag­te Miss Murd­sto­ne, wann ich wie­der in die Schu­le ge­hen wer­de, und sie ant­wor­te­te:


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