David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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gut, dass mei­ne Mut­ter im­mer das Op­fer war. Sie fürch­te­te sich, mit mir zu spre­chen oder freund­lich mit mir zu sein, um sich da­durch nicht einen Ver­weis zu­zu­zie­hen. Haupt­säch­lich aber nicht ih­ret­we­gen, son­dern um mich bang­te sie. Und ängst­lich be­wach­te sie die Bli­cke der Murd­sto­nes, wenn ich mich nur rühr­te. Des­halb be­schloss ich, al­len mög­lichst aus dem Wege zu ge­hen, und saß man­che kal­te Win­ter­stun­de in mei­nem ein­sa­men Schlaf­zim­mer und brü­te­te, in mei­nen klei­nen Über­rock gehüllt, über ei­nem Buch.

      Des Abends leis­te­te ich zu­wei­len Peg­got­ty in der Kü­che Ge­sell­schaft. Dort fühl­te ich mich wohl und brauch­te mich nicht zu ge­nie­ren. Aber das fand im Wohn­zim­mer kei­ne Bil­li­gung. Die dort herr­schen­de Quä­ler­lau­ne mach­te all dem bald ein Ende. Man hielt mich im­mer noch für ein un­ent­behr­li­ches Hilfs­mit­tel zur Er­zie­hung mei­ner ar­men Mut­ter und konn­te mei­ne An­we­sen­heit nicht miss­en.

      »Da­vid«, sag­te Mr. Murd­sto­ne ei­nes Tags nach dem Abendes­sen, als ich mich wie­der drücken woll­te, »ich be­mer­ke zu mei­nem Leid­we­sen, dass du mür­ri­scher Ge­müts­art bist.«

      »Mür­risch wie ein Bär«, sag­te Miss Murd­sto­ne.

      Ich blieb ste­hen und ließ den Kopf hän­gen. »Ein mür­ri­scher und ver­stock­ter Cha­rak­ter, Da­vid«, sag­te Mr. Murd­sto­ne, »ist das Al­ler­schlimms­te.«

      »Und der Jun­ge ist das Ver­stock­tes­te, was ich je­mals ge­se­hen habe«, be­merk­te sei­ne Schwes­ter. »Ich glau­be, selbst du, lie­be Kla­ra, musst es be­mer­ken.«

      »Ich bit­te um Ent­schul­di­gung, lie­be Jane«, sag­te mei­ne Mut­ter, »aber bist du auch wirk­lich si­cher, – du wirst es ge­wiss ent­schul­di­gen, lie­be Jane, – bist du si­cher, dass du Davy ver­stehst?«

      »Ich müss­te mich wirk­lich schä­men, Kla­ra, wenn ich den oder je­den an­de­ren Kna­ben nicht ver­stün­de«, ant­wor­te­te Miss Murd­sto­ne. »Ich be­haup­te ge­wiss nicht, sehr tief zu sein, aber auf ge­sun­den Men­schen­ver­stand kann ich doch An­spruch ma­chen.«

      »Ge­wiss, lie­be Jane«, ant­wor­te­te mei­ne Mut­ter, »bist du von sehr star­kem Ver­stan­de.«

      »O Gott, nein, bit­te, sag das nicht, Kla­ra«, un­ter­brach Miss Murd­sto­ne är­ger­lich.

      »Aber ich weiß, dass es der Fall ist«, fing mei­ne Mut­ter wie­der an, »und je­der weiß es. Ich selbst habe so man­cher­lei großen Nut­zen da­von – oder soll­te es we­nigs­tens ha­ben –, dass nie­mand mehr da­von über­zeugt sein kann als ich, und des­halb äu­ße­re ich mei­ne Mei­nung auch nur sehr schüch­tern, mei­ne lie­be Jane, ich ver­si­che­re es dir.«

      »Also gut, ich ver­ste­he den Jun­gen nicht, Kla­ra«, sag­te Miss Murd­sto­ne und ord­ne­te die klei­nen Fes­seln an ih­ren Hand­ge­len­ken. »Gut, wenn du willst, ich ver­ste­he ihn also gar nicht. Er ist viel zu tief für mich. Aber viel­leicht ist der Scharf­blick mei­nes Bru­ders durch­drin­gend ge­nug, Ein­sicht in die­sen Cha­rak­ter zu ge­win­nen. Und ich glau­be, mein Bru­der sprach ge­ra­de über die­ses The­ma, als wir ihn un­schick­li­cher­wei­se un­ter­bra­chen.«

      »Ich glau­be, Kla­ra«, fiel Mr. Murd­sto­ne mit erns­ter Bass­s­tim­me ein, »es gibt bes­se­re und un­be­fan­ge­ne­re Rich­ter in die­ser Fra­ge als du bist.«

      »Ed­ward«, ant­wor­te­te mei­ne Mut­ter un­ter­wür­fig, »du bist na­tür­lich in al­len Fra­gen ein bes­se­rer Rich­ter als ich und auch als Jane. Ich sag­te nur –«

      »Du sag­test nur et­was Schwa­ches und Un­über­leg­tes«, ant­wor­te­te er. »Tue es nicht wie­der, lie­be Kla­ra, und hal­te dich bes­ser im Zaum.«

      Die Lip­pen mei­ner Mut­ter be­weg­ten sich, als ob sie ant­wor­te­ten: »Ja, lie­ber Ed­ward.«

      »Ich habe zu mei­nem Leid­we­sen be­merkt, Da­vid«, nahm Mr. Murd­sto­ne sei­ne Rede wie­der auf, »dass du von ver­stock­ter Ge­müts­art bist. Ich wer­de nicht ru­hig zu­se­hen, ohne nicht den Ver­such zu ma­chen, dich zu bes­sern. Du musst dich an­stren­gen, an­ders zu wer­den, Da­vid. Wir müs­sen uns be­mü­hen, dich an­ders zu ma­chen.«

      »Ich bit­te um Ent­schul­di­gung, Sir«, stot­ter­te ich, »ich glau­be nicht, ver­stockt ge­we­sen zu sein seit mei­ner Rück­kehr.«

      »Nimm dei­ne Zuf­lucht nicht zur Lüge«, herrsch­te er mich so wild an, dass mei­ne Mut­ter un­will­kür­lich ihre zit­tern­de Hand aus­streck­te, um mich zu schüt­zen. »Du ziehst dich in dei­ner Ver­stockt­heit auf dein eig­nes Zim­mer zu­rück, du bleibst in dei­nem Zim­mer, wenn du hier sein soll­test. Ich sage es dir jetzt ein für al­le­mal, dass ich dich hier und nicht dort zu se­hen wün­sche. Fer­ner, dass ich Ge­hor­sam von dir ver­lan­ge. Du kennst mich, Da­vid, ich will es.«

      Miss Murd­sto­ne lach­te spit­zig auf.

      »Ich will ein ach­tungs­vol­les, ge­hor­sa­mes und be­reit­wil­li­ges Be­neh­men ge­gen mich, ge­gen Jane Murd­sto­ne und ge­gen dei­ne Mut­ter se­hen. Ich will nicht ha­ben, dass ein Kind nach sei­nem Be­lie­ben die­ses Zim­mer scheut, als sei es ver­pes­tet. Setz dich.«

      Er be­fahl mir wie ei­nem Hund, und ich ge­horch­te wie ein Hund.

      »Noch eins«, sag­te er. »Ich be­mer­ke, dass du einen Hang zu nied­ri­ger und ge­mei­ner Ge­sell­schaft zeigst. Du hast nicht mit Dienst­bo­ten um­zu­ge­hen. In der Kü­che wirst du von den vie­len Din­gen, die dir noch feh­len, nichts ler­nen. Von dem Weib, das dir Vor­schub leis­tet, schwei­ge ich, da du selbst, Kla­ra«, – er wand­te sich et­was lei­ser zu mei­ner Mut­ter – »aus al­ter Erin­ne­rung und lan­ger Ge­wohn­heit in Be­zug auf sie eine Schwä­che an den Tag legst, die noch nicht über­wun­den ist.«

      »Eine ganz un­er­klär­li­che Ver­blen­dung!« rief Miss Murd­sto­ne.

      »Ich sage also«, fuhr er wie­der zu mir ge­wen­det fort, »dass ich es miss­bil­li­ge, wenn du eine Ge­sell­schaft wie Frau Peg­got­ty vor­ziehst, und dass du sie da­her auf­zu­ge­ben hast. Jetzt ver­stehst du mich, Da­vid, und kennst die Fol­gen, die dir blü­hen, wenn du mir nicht wort­wört­lich ge­horchst.«

      Ich zog mich also nicht mehr auf mein Zim­mer zu­rück, such­te nicht mehr mei­ne Zuf­lucht bei Peg­got­ty und saß trau­rig Tag für Tag in der Wohn­stu­be und sehn­te mich nach der Nacht und dem Schla­fen­ge­hen.

      Un­ter welch pein­li­chem Zwang hat­te ich zu lei­den, wenn ich in der­sel­ben Stel­lung stun­den­lang da­sit­zen muss­te und aus Angst nicht Arm oder Fuß rühr­te, da­mit nicht Miss Murd­sto­ne im­mer­wäh­rend über mein un­ru­hi­ges We­sen klag­te; ich sah vor mich hin, um nicht ei­nem Blick der Ab­nei­gung oder des For­schens zu be­geg­nen und neu­en Stoff zur Be­schwer­de zu ge­ben. Welch un­er­träg­li­che Lan­ge­wei­le, dem Ti­cken der Uhr zu­zu­hö­ren, zu se­hen, wie Miss Murd­sto­ne die klei­nen, glän­zen­den Stahl­per­len auf­rei­h­te, sich den Kopf zu zer­bre­chen, ob sie wohl je­mals hei­ra­ten wür­de, und wenn, was für einen Un­glück­li­chen wohl, die Fur­chen im Ka­min zu zäh­len und dann mit den Au­gen durch die la­by­rin­thi­schen Ver­schlin­gun­gen der Ta­pe­te hin­auf zur De­cke zu schwei­fen.

      Wie ein­sam wa­ren mei­ne Spa­zier­gän­ge durch die schmut­zi­gen Gas­sen bei dem schlech­ten Win­ter­wet­ter. Ich schlepp­te das Bild des Wohn­zim­mers mit Mr. und Miss Murd­sto­ne dar­in in mei­nem In­nern über­all hin und mit mir her­um:


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