David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens


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da und pfiff in­ner­lich.

      »Hm«, fing er end­lich wie­der an, »sa­gen Sie Peg­got­ty: Bar­kis war­tet; und sagt sie, wor­auf? sa­gen Sie: auf Ant­wort. Sagt sie: wor­auf? sa­gen Sie: Bar­kis will.«

      Die­se au­ßer­or­dent­lich knap­pe Er­klä­rung be­glei­te­te Mr. Bar­kis mit ei­nem freund­schaft­li­chen Rip­pen­stoß, dass mir die Sei­te weh tat. Da­rauf hock­te er wie­der wie ge­wöhn­lich ru­hig auf sei­nem Platz und blieb in die­ser Stel­lung, bis er eine hal­be Stun­de spä­ter ein Stück Krei­de aus der Ta­sche hol­te und in­nen an die Wa­gen­de­cke schrieb: Kla­ra Peg­got­ty –. Of­fen­bar als Pri­vat­no­tiz.

      Was für ein selt­sa­mes Ge­fühl, sich der Hei­mat zu nä­hern, die ei­nem fremd ge­wor­den ist! Je­der Ge­gen­stand, den man er­blickt, er­in­nert einen an das alte, lie­be Va­ter­haus. Es kam mir al­les wie ein Traum vor, den ich nie mehr wie­der träu­men könn­te. Die Tage, wo mei­ne Mut­ter, ich und Peg­got­ty ein­an­der al­les wa­ren und noch nie­mand sich zwi­schen uns ge­drängt hat­te, er­stan­den un­ter­wegs vor mei­nen Au­gen mit so trau­ri­gen Erin­ne­run­gen, dass ich am liebs­ten um­ge­kehrt wäre und in Steer­forths Ge­sell­schaft ver­ges­sen hät­te. Aber ich war jetzt an­ge­kom­men und stand bald vor un­serm Hau­se, wo die kah­len, al­ten Ul­men ihre vie­len Hän­de in die kal­te Win­ter­luft hin­aus­streck­ten und Fet­zen von den al­ten Krä­hen­nes­tern vom Win­de fort­ge­weht wur­den.

      Der Fuhr­mann lud mei­nen Kof­fer an der Gar­ten­tür ab und ver­ließ mich. Ich ging den Fuß­steig nach dem Hau­se zu, sah nach den Fens­tern und fürch­te­te je­den Au­gen­blick, Mr. oder Miss Murd­sto­ne zu er­bli­cken. Es zeig­te sich je­doch kein Ge­sicht, und ich trat lei­se und schüch­tern ein.

      Gott weiß, aus wie frü­her Kind­heit die Erin­ne­rung stam­men muss­te, die beim Klang der Stim­me mei­ner Mut­ter wie­der wach wur­de, als ich den Fuß in den Flur setz­te. Sie sang lei­se. Ich glau­be, ich muss in ih­ren Ar­men ge­le­gen und sie so sin­gen hö­ren ha­ben, als ich noch ein Säug­ling war. Das Lied kam mir neu und doch so alt vor, dass es mein Herz zum Über­strö­men er­füll­te. Es war mir wie ein al­ter Freund, der nach lan­ger Ab­we­sen­heit zu­rück­kehrt.

      Aus der Wei­se, wie mei­ne Mut­ter das Lied sang, schloss ich, dass sie al­lein sei, und ich trat lei­se ins Zim­mer. Sie saß beim Feu­er und säug­te ein Kind, des­sen win­zi­ge Händ­chen an ih­rem Hal­se ruh­ten. Ihre Au­gen hin­gen an sei­nem Ge­sicht und sie sang ihm et­was vor. Ich sah so­fort, dass sie al­lein war.

      Ich sprach sie an. Sie fuhr auf und stieß einen Schrei aus. Aber als sie mich er­kann­te, nann­te sie mich ih­ren lie­ben Davy, ihr ge­lieb­tes Kind, kam mir ent­ge­gen, knie­te vor mir nie­der und küss­te mich und leg­te mei­nen Kopf an ihre Brust ne­ben das klei­ne We­sen, das sich an sie an­klam­mer­te, und leg­te sei­ne Händ­chen an mei­ne Lip­pen.

      Ich woll­te, ich wäre ge­stor­ben mit die­sem Ge­fühl im Her­zen. Ich hät­te bes­ser für den Him­mel ge­passt, als je­mals spä­ter.

      »Es ist dein Brü­der­chen«, sag­te mei­ne Mut­ter und lieb­kos­te mich. »Davy, mein hüb­scher Jun­ge, mein ar­mes Kind.« Dann küss­te sie mich im­mer mehr und mehr und um­schlang mei­nen Na­cken. Dann kam Peg­got­ty her­ein­ge­lau­fen, warf sich auf dem Bo­den ne­ben uns hin und war eine Vier­tel­stun­de lang halb von Sin­nen. Man hat­te mich nicht so zei­tig er­war­tet, und der Fuhr­mann war frü­her an­ge­kom­men als ge­wöhn­lich. Mr. und Miss Murd­sto­ne be­fan­den sich in der Nach­bar­schaft auf Be­such und wür­den, er­fuhr ich, nicht vor Abend zu­rück­kom­men. Das hat­te ich nicht zu hof­fen ge­wagt. Ich hät­te es nie für mög­lich ge­hal­ten, dass wir drei wür­den wie­der ein­mal un­ge­stört bei­sam­men sein kön­nen, und für dies eine Mal wa­ren für mich die al­ten ver­gang­nen Zei­ten zu­rück­ge­kehrt.

      Wir speis­ten zu­sam­men beim Ka­min. Peg­got­ty woll­te uns be­die­nen, aber mei­ne Mut­ter litt es nicht, und sie muss­te sich mit zu Tisch set­zen. Ich hat­te mei­nen al­ten Tel­ler wie­der mit ei­nem brau­nen Kriegs­schiff un­ter vol­len Se­geln dar­auf, den Peg­got­ty sorg­fäl­tig auf­ge­ho­ben und für hun­dert Pfund nicht zer­bro­chen hät­te, wie sie sag­te. Ich hat­te mei­nen al­ten Trink­be­cher mit dem Na­men »Da­vid« drauf und mein al­tes Be­steck, das noch im­mer stumpf war.

      Als wir bei Ti­sche sa­ßen, hielt ich es für den ge­eig­nets­ten Mo­ment, Mr. Bar­kis’ Auf­trag aus­zu­rich­ten. Ehe ich da­mit zu Ende kam, fing Peg­got­ty an zu la­chen und hielt die Schür­ze vors Ge­sicht.

      »Peg­got­ty«, sag­te mei­ne Mut­ter. »Was gibts denn?«

      Peg­got­ty lach­te nur noch mehr und hielt ihre Schür­ze noch fes­ter vors Ge­sicht, als mei­ne Mut­ter sie weg­zie­hen woll­te. Sie saß da wie mit dem Kopf in ei­nem Sack.

      »Was hast du denn, du dum­mes Ding?« frag­te mei­ne Mut­ter la­chend.

      »Ach, der al­ber­ne Mensch«, rief Peg­got­ty. »Er will mich hei­ra­ten.«

      »Wäre das nicht eine ganz gute Par­tie für dich?« frag­te mei­ne Mut­ter.

      »Ach, ich weiß nicht«, sag­te Peg­got­ty. »Fra­gen Sie mich nicht. Ich möcht ihn nicht ha­ben, und wenn er von Gold wäre. Ich will über­haupt nie­mand ha­ben.«

      »Also warum sagst dus ihm nicht, du kin­di­sches Ding?«

      »Ihm sa­gen«, mein­te Peg­got­ty und sah un­ter ih­rer Schür­ze her­vor. »Er hat noch nie ein Wort da­von er­wähnt, er weiß ganz gut, warum. Wenn er sichs un­ter­ste­hen wür­de, würd ich ihm eine Ohr­fei­ge ge­ben.«

      Ihr Ge­sicht war rö­ter, als ich es je ge­se­hen hat­te. Sie deck­te es gleich wie­der zu und brach in ein hef­ti­ges La­chen aus; und nach­dem sich die­ser An­fall zwei- oder drei­mal wie­der­holt hat­te, aß sie ru­hig wei­ter. Ich be­merk­te, dass mei­ne Mut­ter wohl lä­chel­te, wenn Peg­got­ty sie an­sah, aber im­mer erns­ter und nach­denk­li­cher wur­de. Mir war gleich auf­ge­fal­len, wie sehr sie sich ver­än­dert hat­te. Ihr Ge­sicht war im­mer noch sehr hübsch, aber es schi­en all­zu zart und sehr ver­grämt. Ihre Hand war so weiß und dünn, dass sie mir fast durch­sich­tig vor­kam. Aber jetzt trat noch eine an­de­re Ver­än­de­rung dazu, wie mir auf­fiel. Sie schi­en näm­lich sehr be­klom­men und auf­ge­regt. End­lich leg­te sie ihre Hand lie­be­voll auf die ih­rer al­ten Die­ne­rin und sag­te: »Lie­be Peg­got­ty, du ver­hei­ra­test dich jetzt nicht?«

      »Ich, Ma’am«, er­wi­der­te Peg­got­ty und sah sie mit großen Au­gen an, »Gott be­wah­re, nein.«

      »Jetzt noch nicht«, bat mei­ne Mut­ter zärt­lich.

      »Nie«, rief Peg­got­ty aus.

      Mei­ne Mut­ter er­griff ihre Hand und sag­te:

      »Ver­lass mich nicht, Peg­got­ty; blei­be bei mir. Es wird viel­leicht nicht mehr lang nö­tig sein. Was soll­te ich ohne dich an­fan­gen!«

      »Ich dich ver­las­sen, Herz­blatt«, rief Peg­got­ty. »Nicht um den gan­zen Erd­ball und sei­ne Frau. Wer hat das nur in das klei­ne tö­rich­te Köpf­chen ge­setzt?« Peg­got­ty war aus al­ter Zeit her ge­wohnt, mit mei­ner Mut­ter manch­mal wie mit ei­nem Kin­de zu spre­chen.

      Mei­ne Mut­ter gab ihr kei­ne Ant­wort au­ßer ei­nem ein­fa­chen »Dank dir.«

      »Ich Sie ver­las­sen? Das möcht ich se­hen. Peg­got­ty von Ih­nen fort­ge­hen, da möch­te ich sie mir beim Kra­gen neh­men. Nein, nein«, und Peg­got­ty


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