Hannover sehen und sterben. Thorsten Sueße

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Hannover sehen und sterben - Thorsten Sueße


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jeweils erfolgreich zu bewältigen galt. Wenn ihm das gelang, erhöhte das deutlich die Chancen, dass sein geplantes Vorhaben klappte.

      Er nahm einen Tischtennisschläger und den dazugehörigen Ball in die Hand. Die Aufgabe war klar. Er musste den Ball wechselseitig mit Vor- und Rückhand nach oben in die Luft befördern. Und das zwanzig Mal, ohne dass der Ball einmal den Boden berühren durfte.

      Los geht’s!

      Früher hatte er oft mit seiner Mutter Tischtennis gespielt, aber das war schon längere Zeit her. Die Spontan­prüfungen durften nicht zu einfach sein, um Wirkungskraft zu haben.

      … fünfzehn, sechzehn, siebzehn … ja, es klappt!

      Doch der Hochmut, vor dem Erfolg zu jubeln, brach ihm das Genick. Beim achtzehnten Mal gab er dem Tischtennisball mit der Rückhand zu viel Schwung, sodass er ihn mit der Vorhand nicht mehr erwischen konnte. Der Ball fiel auf den Boden. Aus!

      Noch eine letzte Chance. Sonst hab ich’s wieder verkackt.

      Jetzt hatte er nichts mehr zu verlieren. Bei besonders wichtigen Vorhaben war es möglich, eine zweite Chance zu erhalten. Er durfte sich der gleichen Aufgabe ein weiteres Mal stellen. Absolvierte er den zweiten Durchgang mit Erfolg, war der erste Durchgang neutralisiert. In diesem Fall trat die Regel in Kraft, dass Paul noch einen dritten (alles entscheidenden) Versuch zur Verfügung hatte. Danach war keine Wiederholung zur Durchsetzung eines aktuellen Anliegens erlaubt. Das Gesetz der Spontanprüfungen hatte sich Paul nach und nach selbst erarbeitet.

      Er konzentrierte sich.

      Diesmal kein vorzeitiger Jubel.

      Erneut begann er mit der Übung, deren Ausgang für ihn große Bedeutung hatte.

      … neunzehn, zwanzig!

      Er atmete erleichtert durch.

      Der sichere Misserfolg war damit neutralisiert. Paul war wieder auf dem alten Stand wie vor der ersten Spontanprüfung.

      Er entschied sich dafür, auf den dritten Durchgang zu verzichten.

      *

      Der Ablauf des Geburtstagsfrühstücks folgte einem gewissen Ritual. Auf dem Sideboard im Wohnzimmer hatte Bodo Stern die Geschenke von der Familie noch im verpackten Zustand abgelegt. Erst wurde mit den Gästen im Esszimmer gefrühstückt, dann folgte das Auspacken der Geschenke.

      Ramonas Bruder Christian Carben war gekommen, mit dem Bodo vor knapp dreißig Jahren zusammen Abitur gemacht hatte. Christian hatte seine Frau Birgit und ihre Töchter, vierzehn und zwölf Jahre, mitgebracht. Mit Ramona, Noah und Paul waren sie heute Morgen zu acht.

      Jetzt kam für Paul der Höhepunkt der Geburtstagsfeier. Sein Geschenk. Alle Anwesenden waren vom Essbereich ins Wohnzimmer gegangen.

      Bodo packte zunächst die Geschenke von seiner Frau und seinem älteren Sohn aus. Paul stand etwas abseits. Was genau die beiden seinem Vater gekauft hatten, registrierte er kaum. Bodo schien sich zu freuen, nahm Ramona und Noah herzlich in den Arm.

      Jetzt folgte Pauls Geschenk. Bodo packte es vorsichtig aus, hielt es lächelnd in der Hand.

      Ich habe das Richtige ausgesucht, ging Paul durch den Kopf.

      Dann zog Bodo das Modellauto aus der Schachtel, betrachtete es genau. Das Lächeln verschwand vollständig aus seinem Gesicht, stattdessen zog Bodo die Stirn kraus.

      „Hast du das Modell doch schon?“, fragte Paul zögerlich nach. „Es ist alles original aus den Sechzigern, Auto und Schachtel. Ich dachte, es fehlt in deiner Sammlung.“

      „Ja, aber …“, Bodo zögerte etwas, „leider ist es kein Original, sondern eine Replik. Und die Schachtel ist eine Repro-Box. Ich hoffe, du hast nicht allzu viel Geld dafür ausgegeben.“

      Paul stand wie erstarrt. Der erste vergeigte Durchgang seiner Spontanprüfung hätte ihn warnen sollen.

      Wieder alles falsch gemacht. Auf einen verkackten Schwindler im Internet reingefallen.

      Die folgenden Ereignisse nahm Paul nur wie durch eine schallgedämpfte Milchglasscheibe wahr. Sein Onkel sagte etwas zu seinem Vater, wovon Paul in seiner Verfassung nur einen Satzfetzen mitbekam: „… könntest Pauls Bemühungen mehr wertschätzen.“

      Christian ergriff offenbar Partei für Paul. Bodos Entgegnung missfiel Christian, Paul sah verschwommen die Mimik seines Onkels.

      Ramona stellte sich schnell zwischen ihren Mann und ihren Bruder, lächelte beide an.

      Plötzlich war Paul wieder auf Sendung.

      „Vielleicht doch keine so gute Idee, wenn ich mich an der Vorbereitungsgruppe für unser Abi-Treffen beteilige“, sagte Christian zu seiner Schwester.

      „Doch, nimm bitte teil“, antwortete Ramona. „Ich freu mich, wenn du da bist. Und insbesondere Paul freut sich auch immer auf deinen Besuch.“

      Paul hatte mitbekommen, dass sein Vater eine Vorbereitungsgruppe zur Feier des 30-jährigen Bestehens des Abiturs ins Leben gerufen hatte. Die Gruppe sollte sich erstmals in sechs Tagen, kommenden Samstag, im Bungalow der Sterns treffen. Paul hatte das Gefühl, dass die ehemaligen Schulkameraden seines Vaters Unglück in die Familie tragen würden. Er wollte die Männer auf jeden Fall im Blick behalten.

      Kapitel 9

      18 Tage vor der Ermordung von P. R.

      Kurz vor sechzehn Uhr klingelte es. Besuch für Bodo Stern. Paul hatte in der Einliegerwohnung die Verbindungstür zum Wohnungsbereich seiner Eltern offenstehen lassen. Heute ab siebzehn Uhr sollte das Treffen der Vorbereitungsgruppe für die Abifeier stattfinden.

      Bodo öffnete dem Besucher die Tür. Es war keiner der alten Schulkameraden, sondern Ulrich Ammo­neit, Inhaber eines Fachbetriebs für Garten- und Landschaftsbau aus Neustadt. Ammoneits Unternehmen war in den nächsten Wochen mit der Umgestaltung des großen Gartens der Familie Stern beschäftigt. Pauls Eltern kannten Ammoneit schon einige Jahre und hatten ihn regelmäßig mit der Pflege ihres Gartens beauftragt. Anfangs ging es nur um den Garten des Ferienhauses, später kam zusätzlich der Garten um den Bungalow dazu.

      „Herr Stern, zum Geburtstag nachträglich alles Gute“, sagte der mittelgroße, etwas gedrungen wirkende Gärtner, Anfang fünfzig, und schüttelte Bodo die Hand. „Ich war gerade zufällig in der Nähe bei einem Bekannten und wollte Ihnen kurz persönlich gratulieren.“

      Paul hatte mitbekommen, wer gekommen war.

      Meinem Vater persönlich gratulieren, sechs Tage nach dem Geburtstag und dann noch an einem Samstag?! Das ist doch hergeholt. Aber ich weiß, worum es Ammoneit wirklich geht. Er will meine Mutter sehen. Möglichst oft.

      Der Gärtner war verwitwet und interessiert an Pauls Mutter. Zwar hatte Paul nie eine eindeutige Äußerung Ammoneits in dieser Richtung gehört, aber Paul wusste einfach, dass es so war. An den Gartenarbeiten auf dem Grundstück der Sterns beteiligte sich Ammoneit meistens persönlich. Ramona war nur halbtags in der Kanzlei und nachmittags meistens zu Hause.

      „Und dann dachte ich, wir könnten noch eine Kleinigkeit wegen der Gartenumgestaltung absprechen, bevor’s losgeht“, schob Ammoneit als Grund für seinen Spontanbesuch nach. „Dafür müssten wir aber gemeinsam einen Blick in Ihren Garten werfen.“

      Alles Bullshit!, dachte Paul.

      Aber der Plan von Ammoneit ging auf. Ramona kam dazu, und Paul merkte, dass der Gärtner innerlich strahlte.

      Ammoneit hatte gegenüber seiner Mutter mehrfach durchblicken lassen, dass er in seiner Freizeit gerne lese und das politische Geschehen verfolge.

      Vermutlich gelogen!

      Trotzdem blieb Paul gelassen, denn er hatte letztes Jahr aufgeschnappt, was seine Mutter zu ihrer besten Freundin gesagt hatte: „Ammoneit ist ja nett, aber ich könnte nie was mit ihm anfangen. Er erinnert mich total an meinen Vater.“

      Gegenüber Ammoneits Begehren war Ramona immun, da war sich Paul sicher.

      Bei


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