Hannover sehen und sterben. Thorsten Sueße

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Hannover sehen und sterben - Thorsten Sueße


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Stern geleitete Ulrich Ammoneit bis zur Grundstücksgrenze und verabschiedete sich freundlich von ihm.

      Natürlich will Ammoneit mit seinem bemühten Getue erreichen, dass er weiterhin Aufträge von mir bekommt, ging Bodo durch den Kopf. Aber das ist okay. Ich bin nicht anders, spiele eben nur auf einer viel höheren Ebene.

      Er kehrte ins Haus zurück und ging in die Küche, wo Romana noch einmal kontrollierte, ob im Kühlschrank genug Getränke waren.

      Die tollste Frau, die ich kenne. Wirklich, du bist das Beste, was mir im Leben passiert ist, dachte er. Und gleich danach: Komisch, dass mir gerade jetzt diese Gedanken kommen, wo der Besuch der früheren Kumpels bevorsteht.

      Der Impuls, Ramona in den Arm zu nehmen und ihr „Ich liebe dich“ zu sagen, war da, aber stattdessen äußerte er: „Mit den Getränken alles okay?“

      „Natürlich“, antwortete Ramona mit einem Lächeln. „Du kannst dich auf mich verlassen.“

      Nach Bodos Empfinden hatte sich Ramonas Aussehen in den letzten dreißig Jahren überhaupt nicht verändert. Mittellange, braune Haare, dunkle Augen, ein freundliches Gesicht mit einem gewinnenden Lächeln. Die Attraktivität, die Ramona ausstrahlte, hatte nichts mit den Proportionen ihres Körpers zu tun.

      Ihre Figur ist eben nicht die einer kurvigen Sanduhr. Sie ist normal, sportlich. Es ist ihre Art, die einfach umwerfend ist. Und ich sag es ihr einfach zu selten.

      Bodos Gedanken wanderten weiter. Vor zehn Jahren hatte er ebenfalls eine kleine Gruppe ins Leben gerufen, um die 20-Jahr-Feier „seines“ Abiturs zu organisieren. Die Ehemaligentreffen fanden alle zehn Jahre statt. Neben Bodo waren sein Schwager Christian und zwei ehemalige Mitschülerinnen in dieser Vorbereitungsgruppe.

      Eine der beiden Frauen war inzwischen nach Würzburg gezogen, die andere bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

      Die damalige Feier war schlapp. Weil sich die beiden Frauen mit ihren Vorstellungen durchsetzen konnten.

      Aus dem Grund hatte Bodo vor Kurzem Kontakt zu Philipp Rathing aufgenommen. Über dessen Romane stand häufig etwas in den Zeitungen. Bodo hatte nie eins der Bücher gelesen, aber sie wurden als ideenreich und spannend beschrieben. Der Autor passte gut ins Team.

      Dann hatte noch Volker Schmidt seine Mitarbeit angeboten, der davon ausgegangen war, dass Bodo wieder die Organisation der nächsten Jubiläumsfeier übernahm. Bodo wusste, dass Volker während der Schulzeit einige Wochen mit Ramona liiert gewesen war. Ramona ging auf dieselbe Schule, war aber zwei Jahrgangsstufen unter ihnen. Allerdings hielt sie sich damals häufig in der Nähe ihres Bruders Christian auf, wodurch sie zu einigen seiner Mitschüler engen Kontakt bekam, wie zu Bodo, den sie schließlich geheiratet hatte.

      *

      Philipp Rathing steuerte seinen BMW durch das Wohngebiet in Isernhagen-Süd, in dem sich große Gärten mit freistehenden Einfamilienhäusern und Villen gut situierter Besitzer aneinanderreihten. An der Straße hatte er wenig Menschen zu sehen bekommen.

      Isernhagen-Süd war der nördlichste Stadtteil von Hannover, angeblich mit ziemlich hoher Porsche-Dichte, dabei ruhig gelegen, umgeben von Naturschutzgebieten.

      Gegenüber von Bodos weißem Bungalow parkte er seinen Wagen. Er hatte das Haus der Sterns noch nie betreten. Um das große Grundstück zog sich ein dekorativer Schmiedezaun, hinter dem zu den Nachbargrundstücken als Sichtschutz eine hohe Hecke gepflanzt war. Zur Straße war der Blick in den Garten relativ offen. Ein freischwebendes Schiebetor versperrte die Zufahrt aufs Grundstück. Daneben war eine Tür im Zaun, die sich problemlos öffnen ließ. Was Haus und Garten anging, hatte Bodo eindeutig mehr zu bieten als der Erfolgsautor. Philipp durchquerte den vorderen Bereich des Gartens und klingelte an der Haustür.

      Bodo öffnete: „Hallo großer Autor, nur hereinspaziert!“

      „Hallo, Bodo, alter Zocker-König!“

      Mit schnellem Blick taxierte Philipp den damaligen Kumpel aus der Schulzeit. Wie hatte sich der alte Konkurrent in den letzten zehn Jahren gehalten? Die Bilder in Zeitungen waren manchmal nur Archivfotos. Bodo war groß und schlank, hatte dunkle, volle Haare, die überall von grauen Strähnen durchzogen wurden.

      Ist stattlich, macht was her!, musste Philipp zugestehen. Die beiden Männer umarmten sich zur Begrüßung. Bodo bat seinen ehemaligen Schulfreund herein.

      Die Erwartungen, die der Bungalow von außen weckte, erfüllte er drinnen allemal. Das große Wohnzimmer war mit hochwertigem schwarzem Naturstein ausgelegt, hatte einen offenen Kamin und eine breite Fensterfront mit Ausblick in den hinteren Teil des Gartens. Den Kontrast zum schwarzen Fußboden bildeten die Schrankwand, das Sideboard, der Tisch und die Sitzgarnitur aus hellfarbenem Holz. Das Wohnzimmer ging direkt in den Essbereich über.

      Volker Schmidt war schon da und hatte es sich auf der Couch im Wohnzimmer bequem gemacht. Er wirkte leicht behäbig, als er Philipp begrüßte.

      Na ja, sportlich war Volker noch nie gewesen.

      Die Umarmung zwischen den beiden Männern war nur angedeutet. Viel hatten sie früher nicht miteinander zu tun gehabt.

      Volker war ein hagerer Typ. Seine braunen Haare wirkten voller, als Philipp erwartet hatte. Fast hatte er den Eindruck, dass Volker eine Perücke trug.

      Ramona war der Lichtblick der Runde. Leger gekleidet mit Bluse und Jeans, betrat sie das Wohnzimmer und verbreitete sofort gute Laune. Ihren schwäbischen Akzent von damals hatte sie immer noch nicht abgelegt. Wie früher hatte sie ein paar lockere Sprüche auf Lager und brachte Schwung in die Männerrunde der Endvierziger.

      Zu der auch Christian Carben gehörte, der etwas verspätet dazustieß. Christian war ungefähr so groß wie Bodo, aber nicht mehr so schlank wie dieser. Im Hannover-Teil der Tageszeitung erschienen regelmäßig Artikel über Christian. Er arbeitete im Fachbereich Jugend der Region Hannover, wo er eine koordinierende Funktion ausübte. Der Öffentlichkeit bekannt war er hauptsächlich als Fraktionsvorsitzender der Umweltschutz-Partei im Rat der Stadt Hannover. Der ehrenamtliche Politiker wurde häufiger mit markanten Aussagen in der Lokalpresse zitiert. Mehrfach hatte er sich dafür eingesetzt, der Zunahme von Spielhallen entgegenzuwirken und bereits bestehende Spielhallen wieder zu schließen. Die Kontroverse mit seinem Schwager war vorprogrammiert.

      Erstaunlich, dass die beiden Kontrahenten hier in Bodos Wohnzimmer zusammensitzen und gemeinsam eine Jubiläumsfeier organisieren wollen.

      Allerdings – die Sitzordnung sagte alles. Neben Bodo auf der Couch saß Volker, der als Erster gekommen war. Im Halbkreis um den niedrigen Tisch standen drei Sessel. Direkt gegenüber von Bodo hatte sich Christian platziert – in der klassischen Position des Angreifers. Auf dem Sessel zwischen ihnen nahm wiederholt Ramona Platz. Ihr gegenüber saß Philipp.

      Natürlich bemerkte Philipp eine Spannung zwischen dem Spielhallen-Unternehmer und dem Lokalpolitiker. Beim Verteilen von kleinen verbalen Seitenhieben nahmen sich beide nichts. Aber insgesamt wurde eine (offenbar zuvor vereinbarte) Waffenruhe eingehalten. Was sicherlich auch an Ramona lag, die nicht nur die Gäste mit Softdrinks und Schnittchen versorgte, sondern gleichzeitig das ausgleichende Element zwischen ihrem Mann und ihrem Bruder war.

      Sie weiß, wie sie ihre Männer zu nehmen hat.

      Ehe sich die Männerrunde überhaupt der Organisation ihrer Jubiläumsfeier zuwendete, beschäftigte sie sich ausgiebig mit sich selbst: Was bist du geworden? Was hast du privat und beruflich erreicht? Was sind deine nächsten Projekte?

      Philipp präsentierte sich als Bestsellerautor, der sich in seinen Büchern für brisante gesellschaftliche Themen engagierte. Natürlich ging es bei ihm und den anderen in der Runde darum, unter dem Mäntelchen der bescheidenen Selbstverständlichkeit Anerkennung und Bewunderung zu erheischen. Die Darstellung seines momentanen Privatlebens fiel kurz aus. Momentan sei er ungebunden und damit offen für Neues.

      Bodo betonte, dass er nicht nur der erfolgreiche Unternehmer wäre, sondern gleichzeitig soziale Projekte finanziell unterstützte. Zusätzlich versuchte er mit seiner glücklichen Ehe und dem harmonischen Zusammenleben mit seinen


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