Infiziert. Teri Terry
Читать онлайн книгу.die Hand nehmen.
In einer Pizzeria sitzt die perfekte Familie. Bilderbuch-Mum, Dad und vier Kinder, angefangen vom Baby bis zu einem Jungen in meinem Alter. Ich setze mich zu ihnen an den Tisch und tue so, als ob es meine Eltern und meine Geschwister wären.
Aber es fühlt sich nicht echt an, jedenfalls nicht lange. Allmählich wird es dunkel und ich gehe. Bei diesen Leuten, die schick im Restaurant sitzen und sich fröhlich unterhalten, fühle ich mich nicht wohl. Ich verdrücke mich in dunklere Gassen.
Unter einer Brücke trinken Jungs reihum aus einer Flasche. Ein Mädchen ist auch dabei. Als sie die Flasche bekommt und würgt, lachen alle.
Hier fühle ich mich wohler, bleibe eine Weile.
Was soll ich als Nächstes tun? Ich kann überall hin, mir alles ansehen. Niemand kann mich aufhalten. Die Leute sehen mich ja nicht einmal. Nur dieser Mann auf der Insel, der im Sterben lag, wusste, dass ich da war.
Dennoch muss ich es noch einmal ausprobieren. Ich fuchtle dem Mädchen mit der Hand vorm Gesicht herum. Keine Reaktion. Ihr Kopf fällt zur Seite, sie kann kaum noch gerade sitzen. Einer der Jungs stützt sie, legt ihr den Arm um die Schulter. Das Mädchen wird immer betrunkener. Füllen die Jungs sie etwa ab?
Der Junge neben ihr küsst sie. Jetzt reicht es mir. Das geht zu weit.
Aufhören!, brülle ich, so laut ich kann. Und er hört auf, sieht sich verstört um. Seine Freunde lachen ihn aus, nun grapscht ein anderer nach dem Mädchen, zieht sie zu sich.
Wilde Wut packt mich. Ich stürze mich auf den Jungen, in ihn hinein.
Die anderen Jungs springen schreiend auf, laufen davon, das Mädchen stolpert hinterher.
Hitze. Flammen.
Der Junge schreit. Flammen brechen aus ihm hervor, er brennt überall gleichzeitig.
Taumelnd will er sich noch zum Wasser retten, aber zu spät.
Er stürzt.
Duncan taucht erst auf, als der Schulbus schon in Sicht ist, als hätte er sich so lange hinter der Ecke versteckt.
Er geht tatsächlich auf Krücken! Also habe ich ihm doch ordentlich zugesetzt. Dem Gips nach zu urteilen, ist der Fuß gebrochen.
Duncan meidet meinen Blick. Seine Nase ist bandagiert, sein Gesicht grün und blau. Sofort scharen sich alle um ihn. Dann gibt er eine verrückte Geschichte von Einbrechern zum Besten, die er auf frischer Tat ertappt haben will. Denen hat er es aber gezeigt! Allgemeine Begeisterung.
Hä? Beim Einsteigen wirft Duncan mir immer wieder Blicke zu, als fürchte er, ich könne ihm widersprechen. Auf seinem geschwollenen Gesicht macht sich ein fragender Ausdruck breit. Ich nicke halbherzig.
Dieser Typ ist echt Abschaum. Vom ersten Tag an hat er mich schikaniert und es wurde immer schlimmer. Wahrscheinlich muss man sich vor ihm in Acht nehmen.
Und ich weiß nicht, was er mit mir angestellt hätte, wenn Kai ihm nicht in die Quere gekommen wäre. Dennoch habe ich das ungute Gefühl, dass es nicht passiert wäre, wenn ich ihm im Supermarkt nicht in die Eier getreten hätte. Damit habe ich eine Grenze überschritten und ihn provoziert. Nicht dass das sein Verhalten entschuldigen würde, aber davor hat er sich immer nur wie ein ganz normaler Schläger verhalten.
Kais Reaktion schockt mich immer noch. Wenn er Duncan nicht halb tot geprügelt hätte, hätten wir die Polizei rufen können und dieser Mistkerl Duncan wäre vielleicht in einer Zelle gelandet. Aber wie die Dinge jetzt stehen, kommt es mir fast vor, als hätte er mich in der Hand. Gar nicht gut.
»Shay?« Ich drehe mich um. Amy. Auch das noch. Sie lächelt.
»Ja?«
»Wer war denn der Typ, mit dem du am Samstag in der Stadt warst? Der war ja ziemlich heiß.«
Etliche Augen sind auf mich gerichtet.
»Das geht dich gar nichts an.«
Amy lächelt zuckersüß. »Du sollst dir irgendeine wilde Geschichte ausgedacht haben, dass du das Mädchen gesehen hast, das letztes Jahr verschwunden ist. Und sie ist wohl seine kleine Schwester. Alles nur, um an einen Typen zu kommen? Das ist schon krass.«
Ich verziehe keine Miene.
»Und ein geniales Gedächtnis sollst du auch noch haben!« Großes Gekicher bei ihren Freundinnen. Mann, sind die hohl. Calista ist verschwunden und auf den Shetlandinseln ist die Hölle los, aber Amy und ihre Freundinnen interessieren sich nur für sich und ihre kleine Welt! Auf jeden Fall glauben sie nicht, was sie über mein Gedächtnis gehört haben. Besser, sie halten mich für eine Hochstaplerin als für einen Freak.
Der Bus hält. Iona steigt mit ein paar anderen ein. Sie setzt sich neben mich und blickt mich fragend an.
»Was ist denn mit unserer Dumpfbacke passiert?«
»Hat bei sich zu Hause Einbrecher überrascht und davongejagt, sagt er.«
»Was? Bullshit.« Iona mustert mich. »Da steckt doch mehr dahinter. Und mein Gefühl sagt mir, dass du es weißt.«
Ich schüttle den Kopf.
»Mit meinen detektivischen Fähigkeiten kitzle ich das schon noch aus dir raus.«
Iona holt eine Zeitung aus ihrem Rucksack. Sie will unbedingt Journalistin werden, deshalb liest sie auf der langen Busfahrt nach Callander immer Zeitung. Diesmal stürze auch ich mich drauf, vielleicht erfahre ich ja etwas über die Shetlandinseln.
Iona merkt gleich, wonach ich suche. »Echt schrecklich, was passiert ist.«
»Mein Onkel wohnt da. Gestern wussten wir den ganzen Tag nicht, was mit ihm ist, bis er sich endlich aus Aberdeen gemeldet hat.«
»Du Ärmste«, sagt sie und drückt meine Hand. »Du siehst auch echt etwas mitgenommen aus.«
Fotos von dem Unglück auf den Shetlandinseln bestimmen jede Titelseite. Ich überfliege die Artikel, das meiste ist reine Spekulation. Keine Antworten.
»Was ist da bloß passiert?«, frage ich.
Iona zuckt die Achseln. »Angeblich weiß keiner was. Das kann ich mir aber nicht vorstellen. Irgendwas verschweigen die!«
Auf der Titelseite, ganz in der Ecke steht: Junge stirbt plötzlichen Flammentod. Das glaube ich jetzt nicht. Wie können die so einen Quatsch neben einer Tragödie drucken?
Iona schnaubt abschätzig.
»Was?«
Sie hält eine Zeitungsseite hoch. »Diese Spinner. Wollen eine Genehmigung für etwas, das sie eh schon errichtet haben. Geht um so eine Kommune bei Rannock Wood. Die gehört zu einem Netzwerk, das sich gerade überall in Amerika und Europa ausbreitet. Woanders auch.«
Ich schaue ihr über die Schulter. »Was sind das für Typen? Religiöse Spinner oder stinknormale Spinner?«
»Die nennen sich Multiversum. Keiner weiß so recht, worum es da geht. Die bleiben für sich und versuchen, möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Meine Quellen sagen, sie verehren die Wahrheit.«
Wenn Iona von ihren Quellen spricht, reagiere ich schon lange nicht mehr. Irgendwelche Netzwerke sind das, die von Leuten betrieben werden, die zu viel Zeit im Internet verbringen. Das meiste ist totaler Blödsinn, aber hin und wieder hört Iona tatsächlich mal was, bevor es in den Nachrichten erscheint.
»Na, die Wahrheit zu verehren, finde ich jetzt nicht verwerflich.«
»Ja, nur wessen Wahrheit?«
»O Mann, das ist zu viel für mein Hirn am Montagmorgen, Iona.«
Iona blättert zurück zur Titelseite und gibt mir die Zeitung. »In der steht noch mehr über die Shetlandinseln.«
Leichen