Infiziert. Teri Terry
Читать онлайн книгу.halte Kais Faust mit beiden Händen fest. »Das reicht, Kai!« Mit wildem Blick dreht er sich zu mir um, als würde er mich nicht erkennen.
»Das reicht! Lass ihn los!«
Allmählich wird Kais Blick klarer, sein Atem langsamer. Noch immer hält er Duncan an der Schulter fest. Schließlich lässt er die Faust sinken.
»Hör mir gut zu. Wenn du Shay noch einmal zu nahe kommst, bringe ich dich um. Verstanden?«
Aus Duncans Nase läuft blutiger Schnodder. »Ja. Ich hab’s verstanden. Ich lasse Shay in Ruhe.«
Kai lässt ihn los und er läuft davon.
»Alles okay?«, fragt Kai und will mich wieder in den Arm nehmen.
Aber jetzt gerade möchte ich einfach gar nicht angetatscht werden, nicht einmal von Kai. Ich schiebe ihn weg. »Ich komme allein klar. Ich hatte ihn schon im Griff.«
»Ach ja?« Kai deutet auf mein T-Shirt. Bei meinem Befreiungsversuch ist es am Kragen zerrissen. Diesen Moment möchte ich nicht noch einmal Revue passieren lassen, aber schon geht das Kopfkino los. Inzwischen zittere ich am ganzen Körper.
Kai hält mir mein Handy hin. »Du hast es auf dem Tisch liegen lassen, deshalb bin ich dir gefolgt. In letzter Sekunde habe ich noch gesehen, dass du hinter dem Park verschwunden bist. Gott sei Dank. Wollen wir die Polizei anrufen?«
»Dann zeigt er dich noch wegen Körperverletzung an. Außerdem hast du ihn schon genug bestraft.«
»Wenn du mich nicht aufgehalten hättest, hätte ich ihn vielleicht wirklich umgebracht.« Hilflos lässt Kai die Hände baumeln, als hätte er selbst Angst vor ihnen. Er schaut auf. »Es war, als wärst du Calista und ich könnte dich retten. Aber ich war nicht zur Stelle, um sie zu retten.« Seine Augen glänzen feucht, ihm kommen die Tränen. Und mir auch, als wären wir verbunden.
Diesmal nehme ich Kai in den Arm. Wir halten uns und weinen. Und so wie er gegen die Tränen ankämpft, weiß ich, dass er nur selten weint.
Zu selten.
Später fährt mich Kai mit dem Motorrad nach Hause. Mein zerrissenes T-Shirt verberge ich unter Kais Jacke.
Von zu Hause rufe ich dann Mum an, um ihr zu sagen, dass Kai mich schon gebracht hat. Und Kai wartet. Er verspricht, so lange zu bleiben, bis Mum zurück ist.
Ich werfe mein zerrissenes T-Shirt weg und dusche – schrubbe und schrubbe, um mir Duncan wegzuwaschen –, und obwohl ich weiß, dass niemand an Kai draußen vorbeikäme, denke ich an die Duschszene aus Psycho. Seife läuft mir ins Auge, weil ich unentwegt zur Tür starre, obwohl ich doch eigenhändig abgeschlossen habe.
Nach der Dusche ziehe ich mir blitzschnell Jeans und Pulli über. Ich will nicht allein sein, sondern bei Kai. Um mich sicher zu fühlen.
SHETLAND INSTITUTE, SCHOTTLAND
Time Zero: 6 Stunden
Weil mir nichts Besseres einfällt, bleibe ich bei den Wachen vor der Tür. Wenn jemand was erfährt, dann die. Einer der Wachmänner starrt auf ein Control Panel, darauf blinkt erst ein roter Knopf, dann noch einer.
Die Männer öffnen die Tür. Nun brüllt niemand mehr herum, die Leute sind kleinlaut geworden. Ein paar Wachmänner gehen hinein und halten eine Art Scanner hoch. Bei ein paar Leuten bleiben sie stehen, reden mit ihnen. Darunter ist auch Schwester 11. Die Angesprochenen sollen aufstehen und mitkommen. Als sich einer aus der Gruppe weigert, packen die Wachen ihn am Arm und zerren ihn mit sich.
Alle weichen zurück, als die Gruppe die Cafeteria verlässt.
Ich laufe mit. Sie werden nicht ins Kino gebracht. Stattdessen geht es in eine große Halle mit Torstangen und markierten Feldern auf dem Boden. Eine Turnhalle.
Auf dem Boden liegen Menschen. Manche still und reglos. Andere krümmen sich schreiend. Die Gruppe um Schwester 11 schreckt zurück. Noch fühlen sie sich nicht krank, nicht sehr, sie haben nur leicht erhöhte Temperatur.
Doch Schwester 11 läuft hinein. Schüttelt empört den Kopf. »Wo sind denn die Ärzte?«, fragt sie.
Eine Frau, die bibbernd am Boden liegt, reagiert. »D-d-d-der letzte ist gerade gestorben.«
Schwester 11 beugt sich zu der Kranken hinunter. »Jan?«
Jan schließt die Augen, zittert und stöhnt.
Aufgebracht läuft Schwester 11 zur Tür und hämmert dagegen. »Wir brauchen hier Schmerzmittel. Bringt mir Morphium und Spritzen.«
»Alles aus«, ruft jemand von draußen.
Das gibt den Menschen in der Turnhalle den Rest, das Gejammer wird noch eine Spur lauter.
All die Menschen hier haben es nicht besser verdient.
So viele Menschen.
Sie schreien vor Schmerzen, manche weinen einfach nur. Qual und Leid übertragen sich von den Kranken auf den Raum und lassen ein neues Wesen entstehen, das wächst und wächst, während die Menschen immer kleiner und nichtiger werden.
Nur ein paar haben Glück. Die rühren sich nicht mehr. Die sind tot.
Das Leid, das sie anderen zugefügt haben, stürzt nun auf sie selbst herein. Aber wer hat damit angefangen, wer würde das mit Absicht anderen antun? Warum?
Schwester 11 mag ja hergekommen sein, weil sie für ihre Enkelin ein Heilmittel gegen den Krebs gesucht hat, nur ist das sicher nicht der einzige Grund, aus dem Dr. 1 diesen Ort geschaffen hat. Wer ein Mittel gegen Krebs findet, wird reich, reicher als jeder Popstar, Fußballspieler … reicher als die Queen.
Mir wird dieses ganze Leid zu viel. Ich will weg hier. Aber auf dem Weg zur Tür bleibe ich stehen.
Schwester 11 singt, so wie sie für mich gesungen hat. Andere stimmen mit ein. Und die anschwellenden Stimmen besänftigen das Schmerzmonster, jedenfalls ein wenig.
Wer ist nur diese Frau, die mal ihre Patienten tröstet, um sie dann wieder mit irgendwas zu infizieren und umzubringen?
Ich schüttle den Kopf. Ich verstehe sie nicht. Und mich auch nicht, denn ich hoffe, dass sie nicht stirbt.
Aber das wird sie und dabei will ich nicht zusehen. Mir reicht das alles hier. Ich schlüpfe unter der Tür hindurch an den Wachen vorbei. Hoffentlich gibt es am Ende noch jemanden, der für Schwester 11 singt.
KILLIN, SCHOTTLAND
Time Zero: 5 Stunden
Als ich mit nassen Haaren aus der Dusche komme, bin ich plötzlich schüchtern. Kai sitzt verloren neben Ramsay auf dem Sofa. Um seine Lippen spielt ein unsicheres Lächeln.
Zögerlich streckt er die Hand nach mir aus. Unter seinem Blick werde ich verlegen. Ich setze mich dicht neben ihn. Zu dicht? Schnell rücke ich ein wenig ab, aber er tastet nach meiner Hand. Und als er seine warmen Finger mit meinen verschränkt, erwacht in mir ein ganz neues und noch viel wärmeres Gefühl.
»Wie geht’s dir?« Besorgt schaut er mich an.
»Gut«, sage ich. Er hebt eine Braue, als glaubte er mir kein Wort. »Einigermaßen.« Natürlich binde ich ihm nicht auf die Nase, dass jetzt, wo ich Händchen haltend neben ihm auf der Couch sitze, es mir tatsächlich gut geht. Mehr als gut.
»Ich möchte mich bei dir entschuldigen«, sagt er.
»Wofür denn?«
Er schüttelt den Kopf, ihm