Infiziert. Teri Terry

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Infiziert - Teri Terry


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      »Vielleicht hat eine der Wachen noch ein Gewehr gehabt«, sagt ein weiterer. Daraufhin laufen ein paar der Leute zurück, wohl um die Leichen abzusuchen.

      Als sie wiederkommen, hat einer ein Gewehr in der Hand und ballert wie wild auf die Tür. Dann zielt er richtig und schießt wieder und wieder auf das Türschloss, bis es nachgibt. »Versucht es mal!«, ruft er.

      Die Tür gibt nach und sie laufen durch. Ich sause an ihnen vorbei, aber kurz darauf verzweigt sich der Flur und ich weiß nicht weiter. Ich muss auf die Leute warten.

      Manche stürzen zu Boden.

      Andere schleppen sich hustend durch den Rauch.

      Bis zu einer letzten Tür.

      Ein Fahrstuhl?

      Mit Gewalt brechen sie die Türen auf, aber der Fahrstuhl ist nicht da.

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      KILLIN, SCHOTTLAND

      Time Zero: 20 Minuten

      »Hallo«, sagt Mum, und ich bin sofort hellwach.

      Mit großen Augen steht sie im Türrahmen. Einerseits möchte ich auf sie zustürzen, andererseits will ich nicht von Kais Seite weichen.

      Kai drückt mich kurz und gibt mich dann frei.

      Er wollte bloß warten, bis Mum von der Arbeit zurückkommt. Und das hat er ja, obwohl sie sich verspätet hat und ich auch noch eingeschlafen bin.

      Mum sagt nichts dazu, dass wir so dicht beieinander auf dem Sofa sitzen, auch nicht, dass es schon nach Mitternacht ist.

      Als sie rausgeht, verabschieden wir uns.

      »Danke fürs Zuhören«, sagt Kai. Sein Blick ist warm, und etwas Friedvolles liegt darin, das ich sonst nicht wahrgenommen habe. Er legt mir die Arme um die Schultern, meine wandern um seine Taille. Einen Augenblick lang hält er mich ganz fest. Dann lässt er mich los und sieht mich an. »Du rufst doch an, wenn er …«

      »Ja«, falle ich ihm ins Wort. Ich will mir den Moment nicht mit Duncan versauen. »Ist das auch kein Problem, so spät zurückzufahren?«

      Kai tippt mir ans Kinn. »Machst du dir etwa Sorgen um mich?« Er grinst. »Wird schon schiefgehen. Gib mir mal deine Nummer, dann schreibe ich, wenn ich angekommen bin.« Er zieht sein Handy raus und ich diktiere ihm meine Nummer.

      Kai beugt sich zu mir runter und küsst mich flüchtig auf die Wange. Zart wie ein Windhauch. Seine Lippen sind weich, sein Atem warm, seine frischen Bartstoppeln kratzig. Am liebsten würde ich ihm ins Haar greifen und ihn auf den Mund küssen, richtig küssen. Ich bin völlig durcheinander. Alles Blut sackt aus dem Kopf, Arme und Beine werden so schwer, dass ich mich nicht mehr rühren kann. Auch wenn ich wie zur Salzsäule erstarrt bin, ist der Moment perfekt.

      Doch dann prasseln all die Gefühle der letzten Tage auf mich ein. Mir kommen die Tränen. In dieser kurzen Zeit ist so viel passiert, dass ich den Eindruck habe, als wäre das Mädchen, das gestern Morgen aufgestanden ist, über Nacht um Jahre gealtert. Kais vermisste Schwester, unsere gemeinsame Erkundung, das Durchleben der Erinnerungen, Kais aufkeimende Hoffnung durch die neuen Ermittlungen. Duncan. Wie Kai mir zur Hilfe geeilt ist und einfach nicht aufhören konnte. Kais Tränen und meine. Alles, was er mir erzählt hat, während er meine Hand hielt. Wie er mich im Arm gehalten hat, bis ich einschlief.

      Und nun verabschieden wir uns.

      Doch Kai sieht die Tränen nicht, die mir über die Wange rinnen. Er hat sich bereits abgewandt, zieht Jacke und Helm über. Hastig wische ich die Tränen fort.

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      SHETLAND INSTITUTE, SCHOTTLAND

      Time Zero: 5 Minuten

      Wieder hört man das laute Dröhnen einer Explosion.

      Diesmal nicht unter uns, sondern aus der Ferne, aber stärker als vorher.

      Die Menschen, denen ich gefolgt bin, sind am Boden zusammengebrochen. Einige rufen um Hilfe. Nur wer soll schon kommen? Andere liegen still da.

      Ich fliege den Fahrstuhlschacht hinauf und lasse die Menschen hinter mir. Hoch und höher, bis ich ihr Weinen nicht mehr höre.

      Der Schacht wird immer wieder von kleineren Explosionen erschüttert.

      Als ich endlich oben ankomme, versperrt mir der Fahrstuhl den Weg.

       Nein! Lasst mich raus!

      Ich breite mich ganz dünn über den Boden des Fahrstuhls aus, über die Wände, fahnde, forsche.

      Und dann finde ich etwas. Einen Riss im Boden des Fahrstuhls. Keine Ahnung, ob er schon immer da war oder von der Explosion stammt.

      Unter mir zischt es. Und als wären der Luft Klauen gewachsen, packt sie mich und zerrt mich in die Tiefe. Vergeblich versuche ich, mich an den Schachtwänden festzukrallen, falle und falle, bis mir eine Hitzewelle entgegenschlägt und mich wieder nach oben katapultiert. Ein Flammenball, eine Feuerwand.

      In Feuer gehüllt, finde ich den Riss aufs Neue. Ist er groß genug? Ich mache mich klein und dünn und schiebe mich durch den Schlitz. Überall Flammen. Das Metall verformt sich, der Riss wird schmaler. Mehr und mehr von mir schlüpft hindurch. Nun verspüre ich einen Schmerz von der Hitze des Feuers, er wird stärker. Schmerz wie bei der Heilung, stechend und brennend. Zum ersten Mal spüre ich überhaupt wieder etwas.

      Auch wenn ich die Flammen schon mal überlebt habe, so ausgebreitet und dünn schaffe ich es nicht. Ich muss mich zu einer Kugel zusammenrollen und schleunigst weg hier, sonst vernichten sie mich.

      Immer noch besser, als unterirdisch eingesperrt zu sein.

      Doch dann habe ich es ganz plötzlich geschafft! Ich bin durch!

      Bin ich in einem … Haus? Nein, in einer Scheune. Sie wirkt wie eine ganz gewöhnliche Scheune aus Holz und Stein, etwas verfallen vielleicht.

      Der Fahrstuhl war hinter Strohballen versteckt, die nun lichterloh brennen. Flammen schießen in die Höhe.

      Und auf der anderen Seite der Scheune ist eine Tür offen.

      Frische Luft kommt herein. Am Himmel steht der Mond, aber so hell wie es ist, kann es nicht Nacht sein.

      Ich stürze zur Tür.

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      KILLIN, SCHOTTLAND

      Time Zero: 2 Minuten

      Mum kommt zurück ins Zimmer. Sie legt die Hand auf meine Schulter, als wüsste sie, dass ich das jetzt brauche. Durchs Fenster sehen wir, wie Kai auf seinem Motorrad davonbraust. Werde ich ihn je wiedersehen?

      Ich friere zwar nicht, aber trotzdem habe ich eine Gänsehaut und zittere. Heute kommt mir die Welt viel gefährlicher vor, gefährlicher als gestern. Aus unerklärlichen Gründen mache ich mir Sorgen um Kai, um mich selbst und um alle, die mir etwas bedeuten.

      Tschüss, Kai. Pass auf dich auf. Komm bald zurück zu mir.

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      SHETLAND INSTITUTE, SCHOTTLAND

      TIME ZERO

      Ich fliege nach draußen.


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