Infiziert. Teri Terry

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Infiziert - Teri Terry


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In der Ferne glüht der Himmel rot.

      Aber mir ist das egal.

      Ich bin vor Freude ganz aus dem Häuschen, hüpfe ausgelassen durchs Gras. Mache Saltos in einem seltsamen Halbdunkel, das mehr Nacht als Tag ist.

      ICH BIN FREI!

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      Entdeckungen sind selten geplant. Mit dem rechten Augenmerk betrachtet, kann ein Fehler ein Multiversum an Möglichkeiten eröffnen.

      Xander, Manifest des Multiversums

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      »Wach auf. Bitte wach auf, Sharona.«

      Mums Stimme ist durchdringend, aber ich bin total groggy, weil ich so wenig geschlafen habe. Und sofort überkommt mich ein freudiges Gefühl, wenn ich an den Grund denke. Ich bin wach geblieben, weil ich auf Kais Nachricht gewartet habe. Die kam dann auch: Liebste Shay, ich bin gut angekommen. Pass auf dich auf, Kai.

      Und ich habe mich so gefreut, habe die Worte wieder und wieder gelesen, bis ich eingedöst bin.

      »Shay?« Ich öffne ein Auge. Es ist noch dunkel. Und ist heute nicht Sonntag?

      Hastig setze ich mich auf. »Was ist denn? Ist was passiert?«

      Mum steht noch in den Klamotten von gestern in meiner Zimmertür. »Komm und schau dir die Nachrichten an. Irgendwas geschieht da auf den Shetlandinseln.« Aufgeschreckt durch den panischen Unterton in ihrer Stimme, reibe ich mir die Augen, ziehe einen Bademantel über und stolpere hinter ihr die Treppe hinunter zum Fernseher. Mums Bruder Davy wohnt mit seiner Frau und drei Kindern auf den Shetlandinseln.

      Ich setze mich neben Mum aufs Sofa und kuschle mich an sie.

      Die Bilder in den Nachrichten erinnern an einen Katastrophenfilm. Das kann doch nicht wahr sein! Ist es aber.

      Meterhohe Flammen schießen in den Himmel. Selbst der Erdboden scheint zu brennen. Häuser stehen in Flammen, vor Shetlands Nachthimmel wird die gesamte Szenerie von einem gespenstisch roten Feuer erleuchtet. Ich nehme Mums Hand.

      »Hast du angerufen?«

      »Ich hab’s versucht. Das Telefonnetz ist tot. Davy geht auch nicht ans Handy.«

      »Was ist passiert?«

      Mum schüttelt ungläubig den Kopf. »Der Öl-Terminal in Sullom Voe ist explodiert. Das Feuer hat sich ausgebreitet. Keiner weiß warum. Oder sie sagen es nicht«, flüstert Mum mit tränenerstickter Stimme.

      Den Rest der Nacht verfolgen wir die Berichterstattung. Ist es ein Terroranschlag? Oder ein schrecklicher Unfall? Die Reporter können nur mutmaßen. Man weiß, dass es eine gewaltige Explosion gegeben hat und dass Shetlands Ölvorräte – die per Schiff oder Pipeline von den Bohrinseln der Nordsee zum größten europäischen Öl-Terminal geliefert werden – in Flammen stehen. Sicherheitsvorkehrungen, die einzelne Abschnitte der Pipeline hätten abschotten sollen, haben versagt. Die Bohrinseln brennen ebenfalls.

      Und das ungewöhnlich schöne trockene Wetter lässt alles wie Zunder entflammen. Selbst der Rasen hat Feuer gefangen. Die Insel verfügt nicht über die Kapazitäten, mit einer Katastrophe solchen Ausmaßes fertig zu werden. Evakuierung ist die einzige Möglichkeit.

      Es ist bereits ein Notruf an umliegende Schiffe rausgegangen, die den Inselbewohnern zur Hilfe kommen sollen. Mum und ich kleben am Bildschirm, Stunde um Stunde. Als die Sonne aufgeht, hoffen wir noch immer, meinen Onkel und meine Tante mit den Kindern in ein Boot oder einen Hubschrauber steigen zu sehen. Fischerboote und Kähne in sämtlichen Größen – selbst ein Kreuzfahrtschiff – helfen, die Menschen zu evakuieren. Gebannt halten wir Ausschau.

      Wir können sie nirgends entdecken.

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      Die Freude darüber, meinem unterirdischen Gefängnis entkommen zu sein, lenkt mich nicht lange ab. Die Wachen haben gesagt, Dr. 1 wohnt auf der Insel und dass sie jemanden zu ihm nach oben geschickt haben, als die Kommunikation unterbrochen war.

      Ob der Bote es noch vor dem Feuer geschafft hat?

      Der Fahrstuhl war oben. Wenn er nicht im Fahrstuhl stecken geblieben ist, hat er es geschafft.

      Wie finde ich ihn bloß?

      Ich rase zurück zu der brennenden Scheune. Inzwischen ist sie fast vollständig zerstört. Um besser sehen zu können, fliege ich hoch in die Luft. Ringsum brennt alles, durch den Rauch kann man nur schwer etwas erkennen. Von der Scheune breiten sich die Flammen auf Gras und Büsche aus, aber die großen Feuermassen kommen vom Wasser, wo der Himmel vorhin schon rot leuchtete. Aus diesem Leuchten sind hoch aufschießende Flammen geworden. Das Feuer greift um sich. Kommt das von der zweiten Explosion, die wir gehört haben?

      Konzentrier dich auf Dr. 1.

      Zur Scheune führt keine Straße. Es gibt nur Felder und Wanderwege. Ich schwebe dicht über dem brennenden Gras. Reifenspuren kann ich nicht ausmachen. Wenn sie jemanden zu Fuß losgeschickt haben, kann Dr. 1 nicht allzu weit weg wohnen.

      Ich ziehe immer größere Kreise um die Scheune. Es gibt keine Bäume, nur kargen Boden, der in zerklüftete Hügel mit seltsam gefärbten Steinen übergeht. Dort ist der Aufstieg beschwerlich, bestimmt ist hier niemand langgekommen. Als ich wieder tiefer sinke, entdecke ich doch endlich etwas Weißes am Boden.

      Dort. Ein Mann liegt seltsam verdreht auf dem Weg. Er trägt einen weißen Kittel. Ich bleibe neben ihm stehen. In dieser Gegend brennt nichts, noch nicht. Also ist der Mann nicht wegen des Rauchs kollabiert.

      Er schwitzt wie verrückt. Bewegt die Lippen, murmelt unverständliches Zeug. Dann geht ein Zucken durch seinen Körper – einmal, zweimal …

      Er hat sich angesteckt. Der lebt nicht mehr lange.

      Wie soll ich ohne ihn zu Dr. 1 finden?

      Seufzend lasse ich mich neben ihm am Boden nieder. Abermals murmelt er, blinzelt, dann reißt er die Augen weit auf und sieht mir direkt ins Gesicht.

      Können Sie mich sehen?, frage ich.

      »Was bist du?«, haucht er.

      Ich bin ein Geist.

      »Bin ich tot?«

      Nein. Aber viel fehlt nicht mehr. Vielleicht können Sie mich deshalb sehen.

      Er seufzt. »Das habe ich mir schon gedacht.«

       Wo ist Dr. 1?

      »Weiß ich nicht.« Seine Lider zucken.

      Warten Sie noch. Wo wohnt er? Ich gehe nachschauen, ob er noch da ist.

      Auch wenn ich ein Geist bin, erscheint ihm dieser Einwand wohl vernünftig. Er faselt was von einem weißen Haus mitten im Wasser. »Das Schwein wusste wohl, dass uns Feuer irgendwann mal gefährlich werden könnte«, presst er heraus. Keine extra Insel, erfahre ich von dem Mann. Unweit der Ruinen sei es über ein Strandstück verbunden. Es liege auf der anderen Seite der Insel mit Blick aufs Meer. Das einzige Haus. Mit großem Teleskop, fügt er noch hinzu.

      Und dann stirbt er.

      Ich folge dem Weg, lasse die Scheune immer weiter hinter mir. Am Himmel leuchtet es wieder, die Sonne geht auf. Auch wenn ihre Strahlen nicht so hell sind wie die Flammen, hilft sie mir, mich zurechtzufinden. Hin und wieder verzweigt sich der Weg, und ich muss ein paarmal umkehren, weil der Pfad nicht in die richtige Richtung führt.

      Dann entdecke ich eine kleine Insel, die aus der Nähe betrachtet durch einen schmalen Sandstreifen verbunden ist. Gegenüber liegen verfallene Gebäude. Bin ich hier richtig? Ich schwinge mich in die Luft und folge der Küste. Und dort, den Flammen


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