Infiziert. Teri Terry

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Infiziert - Teri Terry


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      Das Haus wirkt nobel. Dr. 1 muss Geld haben.

      Es sieht dunkel und verlassen aus. Ich schlüpfe durch den Schornstein hinein und schaue mich in jedem Zimmer um. Oben gibt es zwei Schlafzimmer, die Betten ordentlich gemacht und leer. Unten ist alles ein einziger großer Raum mit einer schicken, blitzsauberen Küche, Plüschsofas, Bücherregalen und einem Schreibtisch. Vom Wintergarten schaut man aufs Meer hinaus und dort steht ein großes Gerät unter einer Plane. Wenn das ein Teleskop ist, muss es das Haus von Dr. 1 sein.

      Wo kann er wohl sein, wenn er weder hier noch unten in der Station ist?

      Der Schreibtisch ist riesig, darüber hängen Regale mit Büchern und Ordnern. Diese vielen Schreibtischschubladen gehen mir besonders auf die Nerven. Direkt vor meiner Nase verbergen sich vielleicht Antworten, aber ich kann weder Schubladen öffnen noch Bücher vom Regal nehmen. Ich bin zu nichts nütze.

      Ich verlasse das Haus wieder durch den Schornstein, wild entschlossen, die gesamte Insel abzusuchen.

      Die Sonne steht nun voll am Himmel. Ich schwebe zurück über den schmalen Sandstreifen, vorbei an der inzwischen abgebrannten Scheune und den Hügeln aus rotem Stein. Dieser Teil der Insel ist mit anderen verbunden, auch mit der Flammenwand auf der anderen Seite des Wassers. Das Feuer ist riesig. Wieder gibt es eine Explosion und die Flammen schießen noch höher. Wenn sich Dr. 1 in die Richtung aufgemacht hat, ist er tot.

      Ich folge weiter der Küstenlinie. Die Insel ist groß und ausladend, ihre Finger erstrecken sich ins Meer. Überall wo Häuser stehen, brennt es, als wäre das, was explodiert ist, mit allen Häusern verbunden. Und von den Häusern springt es auf Gras und Gebüsch über, sodass die einzelnen Brandherde immer weiter zusammenwachsen.

      So viel ist zerstört worden. Wohin ich auch schaue, kokelt es schwarz oder brennt noch lichterloh. Die größte Stadt liegt am Wasser, die Flammen schießen von den Häusern an der Promenade hoch in den Himmel.

      Abseits der Städte und Ortschaften versammeln sich die Menschen in Buchten, die man mit kleinen Booten erreichen kann. Ich lasse mich zwischen den Leuten nieder, klettere die Felsen hinunter bis zum Wasser. Die Wellen lecken an meinen Füßen, aber es fühlt sich nicht kalt und nass an. Die wildgrüne See ist wunderschön, bloß kann ich das Salz in der Luft nicht riechen.

      Ich schließe die Augen, doch ich spüre nichts. Nichts verrät mir, wo ich bin.

      Am liebsten würde ich jetzt herumbrüllen, so lange, bis sich rausstellt, dass das alles gar nicht wahr ist. Ich schlinge die Arme um mich, muss mich beruhigen. Aber die Panik überschwemmt mich mit aller Macht, schlägt über mir zusammen, so wie die See gegen die Felsen brandet. Die See, die ich so geliebt habe, die ich jetzt aber weder spüren noch riechen kann.

      Ich lasse mich auf einem Felsen nieder. Kleine Boote pendeln zwischen Küste und größeren Schiffen. Die Menschen warten, um die Insel zu verlassen. Manche weinen, andere sind verstört, verbrannt, verletzt. Manche können sich nicht mehr bewegen und müssen getragen werden: tot oder im Sterben.

      Über uns schwirren Hubschrauber, einige mit Filmkameras. Andere schaufeln Wasser aus dem Meer und löschen die Feuer. Wieder andere bringen Verletzte fort.

      Mich berührt das Leid ringsum nicht. Mein Inneres ist tot, genauso wie mein Körper, nichts als ein Beutel Asche in einem unterirdischen Labor.

      Daran ist allein Dr. 1 schuld. Wo ist er jetzt?

      Ich verlasse den Felsen und halte nach Dr. 1 Ausschau. Sein Gesicht habe ich nie gesehen. Aber er ist groß, und ich weiß auch, wie er steht und sich bewegt, als müssten alle ihm Aufmerksamkeit zollen. Ich bin noch nie einem König begegnet, doch so stelle ich mir einen vor. Und seine Stimme kenne ich. Ich sehe mich um, horche, aber nirgends ist jemand, der ihm gleicht.

      Vielleicht ist er ja auch im Feuer verreckt. Wenn nicht, befindet er sich nicht mehr auf der Insel, also muss ich auch fort.

      Am Strand legt ein Boot an, man hilft den Menschen an Bord. Manche werden getragen, einige können noch selbst laufen. Ich schließe mich ihnen an.

      Auf den Wellen schaukeln wir einem Schiff entgegen. Es ist riesig. Eines dieser schicken Kreuzfahrtschiffe, auf denen reiche Leute rumschippern. Wir fahren an die Seite des Schiffs heran, aber ich warte das Manöver nicht erst ab. Ich schwebe nach oben über so eine Gangway.

      Ich folge den Stimmen zu einer offenen Lounge, die sich über alle Decks erstreckt. Sieht aus wie ein Krankenhaus im Disneyland: Menschen mit Verbrennungen kreischen unter Kronleuchtern und Glastreppen.

      Anscheinend gibt es nur einen einzigen Arzt und ein paar Schwestern. Ihre Gesichter sehen so aus, als würden sie vor Angst am liebsten über Bord springen.

      Ein Mann geht auf eine der Schwestern zu. Er ist bleich, Schweiß steht ihm auf der Stirn. Dann bricht er auf dem Deck zusammen.

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      Endlich klingelt das Telefon.

      Mum rast so schnell hin, dass sie fast stürzt. Ich bin ihr dicht auf den Fersen.

      »Hallo? Hallo?«

      Auf ihrem Gesicht zeigt sich ein breites Grinsen und sie hält den Daumen hoch.

      »Gott sei Dank. Ja. Alles in Ordnung?« Eine Pause. »Kommt doch zu uns. Wir rücken zusammen.« Eine weitere Pause. »Also, das Angebot steht. Okay. Ich hab dich lieb, Davy. Tschüss.«

      Sie legt auf und steht mit gesenktem Kopf da.

      »Was ist denn? Sag schon!«

      Doch sie kann nicht antworten. Nachdem sie die halbe Nacht die Tränen zurückgehalten hat, weint sie jetzt.

      »Sag endlich!«

      Zitternd holt sie Luft und schaut auf. »Es geht ihnen gut. Die kleine Shona hat sich auf der Flucht vor dem Feuer das Bein gebrochen. Und Davy glaubt, das Haus ist völlig zerstört. Ansonsten geht es ihnen gut.«

      »Und? Kommen sie her?«

      »Nein.« Mum legt die Stirn in Falten. »Davy konnte nicht so lange reden, weil andere auch telefonieren wollten. Er meinte nur, dass sie erst mal in Aberdeen bleiben müssten. Keine Ahnung warum. Er kann diese Stadt doch nicht ausstehen.«

      »Aber außer dem gebrochenen Bein ist ihnen nichts passiert. Das ist doch schon mal gut.«

      »Ja, natürlich.« Mum weint noch immer, drückt mich an sich.

      Wir essen eine Kleinigkeit und legen uns dann hin. Gemeinsam in Mums Bett. Selbst im Schlaf hält sie meine Hand ganz fest.

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      Das ist also Aberdeen.

      Erst wandere ich ein wenig im Hafenviertel umher. Eine Karawane aus Krankenwagen kommt mit heulenden Sirenen angerast. Ärzte und Schwestern müssen entscheiden, wer zuerst abtransportiert wird. Doch anders als die Leute im unterirdischen Labor wirken sie, als wollten sie den Menschen wirklich helfen.

      Ich habe die Nase voll von den Schmerzen und dem Geschrei, von den Kranken und den Sterbenden. Ich will einfach nur weg. Aus dem Labor erkenne ich niemanden hier, aber wie auch, wenn sie immer Schutzanzüge getragen haben? Dr. 1 könnte überall und jeder sein. Wenn er in der Menge untertauchen will, bräuchte er bloß seinen Gang zu verstellen, und schon könnte er unbemerkt an mir vorbeilaufen. Es bringt nichts, hier noch weiter herumzulungern.

      Ich werde mir einfach die Stadt ansehen.

      Es gibt viele große beeindruckende Gebäude aus weißem oder cremefarbenem Stein. Die Sonne steht tief am Himmel und die Häuser glitzern im Sonnenlicht wie mit silbernem Feenstaub bedeckt.

      Ich laufe durch Straßen mit Läden und Restaurants. Kann man auch hungrig sein, wenn man nicht essen kann? Offenbar. Ich beobachte die Leute beim Essen in den Cafés und wünschte, ich könnte mal probieren. Sie würden mich


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