Take me down under: Melbourne im Blut. Raik Thorstad

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Take me down under: Melbourne im Blut - Raik Thorstad


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      Jordan schwieg kurz, musterte sein Gegenüber. Nachdem Phoenix seinem Blick anfangs ausgewichen war, sah er ihn nun offen und nach wie vor fragend an. Unübersehbar hatte er noch nicht die Antwort bekommen, nach der er suchte.

      »Es stimmt schon. Auf einige wirkt es seltsam, wenn die vermeintlich Unterlegenen den Überlegenen etwas beibringen. Aber die Sache ist die: Ich habe einen ziemlich guten Draht für andere Menschen, so eine Art sechsten Sinn. Einige fühlen sich davon bedroht, aber ich finde, es ist ein Talent, das helfen kann. Also setze ich es ein, wenn man mich darum bittet.«

      Phoenix sah beiseite. Sein Blick glitt durch den Club, vorbei an der Tafelrunde, über die Bar, zu der alten Jukebox, die sie nur aus Nostalgiegründen besaßen und schon lange keine Platten mehr enthielt. Es war die übliche Reaktion auf Jordans Offenbarung. Viele Menschen fürchteten sich davor, ohne Masken dazustehen. Manche gewöhnten sich mit der Zeit daran, andere zogen sich vor ihm zurück.

      Doch Phoenix überraschte ihn mit seiner Erwiderung. »Das hört sich ziemlich anstrengend an. Da bekommt man doch bestimmt oft mehr mit, als man eigentlich möchte«, sagte er nachdenklich. Und dann: »Bist du deshalb ein Sub? Weil du dich während der Sessions ausnahmsweise ganz auf dich selbst konzentrieren kannst?«

      Dieses Mal war es an Jordan, sich Bedenkzeit zu nehmen. Phoenix hatte nicht nur den ganz richtigen Schluss gezogen, dass Empathie eine Bürde sein konnte – was wiederum ein Hinweis darauf war, dass er selbst nicht eben aus Stahlbeton bestand –, nein, er hatte auch zielsicher ein tiefes Bedürfnis von Jordan erkannt. Und dabei bis zu einem gewissen Punkt den Spieß umgedreht.

      Normalerweise war es Jordan, der offene Fragen stellte und auf ehrliche Antworten hoffte. Nun war er jemandem begegnet, der entweder ähnlich tickte oder einen Zufallstreffer gelandet hatte – und das war erfrischend.

      »Ja«, erwiderte er aufrichtig. »Es ist vielleicht nicht der einzige Grund, aber definitiv ein wichtiger. Ich kann viel abstreifen, wenn ich mich jemandem überlasse. Es ist, als würde ich gewisse Verantwortlichkeiten einfach an der Garderobe abgeben.« Er tastete mit der Zungenspitze über einen Eckzahn, sondierte die Lage und Phoenix' Miene. Dann entschied er sich für einen weiteren Vorstoß. »Was ist mit dir?«, fragte er direkt. »Du sagst, du hättest gern mit Duncan getauscht. Was glaubst du, warum das so ist?«

      Für den Bruchteil einer Sekunde wollte er die Frage zurücknehmen. Nicht, weil Phoenix eine abwehrende Haltung eingenommen hätte, sondern weil Jordan fand, dass sie mehr nach Psychiater als nach Barbesitzer und Statistiker geklungen hatte.

      Doch bevor er abwiegeln oder hinzufügen konnte, dass Phoenix nicht antworten müsse, schürzte der plötzlich die Lippen und beugte sich ein Stück nach vorn. Ein Hauch Verspieltheit brach durch seine Unsicherheit. »Du bist derjenige, der von sich behauptet, ein guter Menschenkenner zu sein. Was glaubst du?«

      Jordan wusste nicht, ob er es mit Naivität oder Mut zu tun hatte. »Mancher würde behaupten, dass das eine gefährliche Frage ist.«

      »Mancher würde antworten, dass es noch nie geholfen hat, den Kopf in den Sand zu stecken«, entgegnete Phoenix wie aus der Pistole geschossen. Sein rechtes Lid zuckte fast unmerklich.

      Vorsicht, warnte Jordan eine innere Stimme. Er kann vielleicht nicht so viel Ehrlichkeit vertragen, wie du über ihm ausschütten könntest. Lass es langsam angehen.

      »Und niemand hat gern Sand im Mund«, versuchte er es für den Anfang mit etwas Humor. Phoenix lächelte, sah Jordan aber weiterhin erwartungsvoll, neugierig und, ja, auch etwas nervös an. »Tja, was mir als Erstes auffällt, ist, dass du nicht mehr ganz jung bist.«

      Phoenix schnaubte belustigt. »Das ist charmant ausgedrückt, aber offensichtlich.«

      Jordan ließ sich nicht vom Kurs abbringen. »Das heißt, dass du entweder erst seit Kurzem mit dem Gedanken spielst, was in Richtung BDSM zu machen, oder es aus irgendwelchen Gründen nie getan hast, obwohl du es vielleicht schon immer wolltest. Ich glaube ehrlich gesagt nicht daran, dass Menschen von einem Tag auf den anderen spontan sadistische oder dominante Neigungen entwickeln. Also wäre es eher Variante Nummer zwei…« Jordan ließ Phoenix Zeit, ihn zu unterbrechen. Als nichts dergleichen geschah, leckte er sich über die Unterlippe und sagte behutsam: »Ich vermute also, dass sich in letzter Zeit bei dir irgendetwas verändert hat. Etwas, das dazu geführt hat, dass du diesen Weg ausgerechnet jetzt einschlagen willst.« Dass du gerade jetzt das Bedürfnis hast, die Kontrolle zu übernehmen. »Vielleicht eine Trennung? Ein Trauerfall? Oder… hast du deinen Job verloren?«

      Phoenix' Lippen öffneten sich, seine dunklen Brauen zogen sich zusammen und er kratzte sich hektisch an der Nase. Alles Anzeichen, dass Jordan mindestens einen Treffer gelandet hatte. Schließlich blies er die Wangen auf. »Chapeau.« Nun flatterten seine Wimpern, wenn auch nicht auf verheißungsvolle Weise. »Es war keine Trennung und kein Trauerfall, sondern der Job.« Er zögerte. »Ich habe meinen Schreibtischjob aufgegeben und bin in meinen alten Beruf zurückgekehrt. Und dafür nach Melbourne gezogen«, erklärte er steif. »Das war nicht unbedingt etwas, das ich geplant hatte.«

      Jordan erkannte die klaffenden Lücken in der Erklärung, als würden rot leuchtende Pfeile darauf zeigen. Es war nicht die Geschichte an sich, die ihn aufmerken ließ. Tausende Menschen wechselten jeden Tag die Anstellung oder auch das Berufsfeld, ohne dass es der Rede wert gewesen wäre. Aber irgendetwas sagte ihm, dass Phoenix die Karriereleiter hinuntergepurzelt war, statt sie hinaufzusteigen.

      »Aber das geht schon in Ordnung«, fügte Phoenix da hastig hinzu. »Ich mag meinen neuen Job und mein Chef ist ein alter Freund der Familie. Und, na ja, wahrscheinlich war ich schon immer besser für Arbeit mit den Händen geeignet als für das Jonglieren mit Zahlen. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich wieder Werkstattluft schnuppern kann.«

      Jordan zog einen Mundwinkel hoch. »Wem sagst du das, Mann?« Er glaubte Phoenix, dass ihm seine neue Anstellung gefiel. Aber die Pfeile blinkten immer noch. »Was machst du denn genau, wenn ich fragen darf?«

      »Ich bin Mechaniker. Autos und Motorräder, manchmal auch eine Landmaschine. Heißt, ich stecke an den meisten Tagen unter einer Hebebühne oder in einem Motorraum fest.« Er lächelte beinahe spitzbübisch. »Es gibt schlechtere Orte, an denen man seine Zeit verbringen kann.«

      Jordan hob zweifelnd eine Braue. »Ich weiß nicht.« Er sah sich zum Tresen um. »Hier gefällt es mir besser; besonders, solange noch Erdnüsse da sind.« Sie lachten beide leise, dann kam ihm ein Gedanke. »Hör mal, wo du gerade davon sprichst: Wo genau arbeitest du denn? Ich meine, ist die Werkstatt in der Nähe?«

      Phoenix wirkte verblüfft und griff erstmals nach dem Weinglas, das vor ihm auf dem Tresen stand. Er trank einen Schluck und verzog das Gesicht; wahrscheinlich, weil sich der Wein unter der Beleuchtung unangenehm erwärmt hatte. »Industriegebiet Altona. Von hier braucht man eine Viertelstunde, wenn die Straßen nicht komplett verstopft sind.«

      »Gut zu wissen. Ich glaube, ich muss euch demnächst mal einen Besuch abstatten. Meine alte Werkstatt hat dichtgemacht und ich muss wirklich dringend das Öl wechseln und die Kiste mal durchschauen lassen. Ich fahre zwar kaum, aber wenn ich das noch weiter aufschiebe, macht der Motor schlapp.«

      »Grundsätzlich hat mein Chef sicher nichts dagegen, wenn ich ihm neue Kunden bringe. Aber du solltest wissen, dass wir eigentlich auf Oldtimer spezialisiert sind, auch auf das Beheben von Unfallschäden. Natürlich wechseln wir auch bei anderen Wagen Reifen oder Öl für die Leute in der näheren Umgebung, aber wir haben zum Beispiel nicht die Ausrüstung, um an ultramodernen Wagen Inspektionen durchzuführen. Also falls du einen Hybrid oder so was fährst…«

      Jordan begann zu lachen. »Keine Sorge. Als meine alte Schrottlaube zum ersten Mal zugelassen worden ist, war ich noch nicht mal volljährig. Ich bin froh, wenn sie mich von A nach B bringt, ohne dass mir der Auspuff abfällt. Der modernste Schnickschnack, der darin verbaut ist, ist ein Radio – mit Kassettendeck!«

      Phoenix schmunzelte. »Ich sag's ja immer: Je älter, desto besser. Wenn du den Wagen nicht oft brauchst, bring ihn einfach vorbei. Dann schiebe ich ihn ein, sobald sich eine Lücke im Zeitplan auftut. Der Laden heißt Oldtimer Shed.«

      »Gut.


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