Phantomschmerzen. Susan Hill

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Phantomschmerzen - Susan Hill


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die Schlinge, die den Arm hochhielt. Ihn hätte es nicht gewundert, wenn sie lichterloh gebrannt hätte. So fühlte es sich an.

      Cat sprang auf. »Ist schon gut. Ich bring das in Ordnung … warte einen Augenblick.«

      Eine Stunde lang kam sie nicht wieder. Eine Nacht. Für den Rest seines Lebens. Er war in Schmerz gehüllt, außer Schmerzen empfand er nichts. Er hörte sich selbst so laut schreien, dass er schon befürchtete, sie würden kommen und ihn bestrafen. Die Gesichter. Die Schwärze war nicht mehr nur dunkel, hatte keine sanften Ränder mehr, sie war im Zentrum scharlachrot, und das Zentrum breitete sich immer weiter aus.

      »Großer Gott …«

      »Ist schon gut. Gleich kommt jemand.« Cat hielt seine rechte Hand fest. Sie berührte sein Gesicht und wischte die Tränen ab, doch er spürte weder Scham noch Verlegenheit, nur Schmerzen.

      »Wir bringen das jetzt in Ordnung.« Diesmal war es ein Mann, der neben dem Bett aufragte.

      »Einen Augenblick noch.«

      Simon konnte nicht warten, aber es gab keinen Fluchtweg. Er krümmte sich vor Schmerz. Cat wischte ihm mit einem feuchten Tuch den Schweiß von der Stirn. Wütend. Auch sie war wütend. Warum waren alle wütend auf ihn?

      Hektik brach aus, Leute kamen ins Zimmer, beugten sich über ihn.

      »Gleich haben wir es, Simon … jeden Moment.«

      Das endlos sanfte Nachlassen des Schmerzes, sodass sich sein Körper entspannte. Sein Kopf fühlte sich kühl an, sein Arm schien verschwunden.

      »Geschafft. Sie hätten klingeln sollen. Sie hätten Bescheid sagen –«

      »Nein«, hörte er Cat sagen und erkannte diesen Tonfall, obwohl sie ihn selten benutzte. »Nein, es hat nichts mit ihm zu tun, sondern mit allen anderen. Es gibt Behandlungsvorschriften, und denen ist Folge zu leisten, sonst passiert so etwas hier. Und es hat viel zu lange gedauert, bis ich überhaupt jemanden fand, der über ihn und seinen Fall Bescheid wusste, und bis ich Sie dann so weit hatte, herzukommen – und sagen Sie mir jetzt bitte nicht, dass gerade Schichtwechsel war.«

      »Es war Schichtwechsel, tut mir leid.«

      »Herrgott noch mal.« Der Mann. Er war jung, hatte einen Bart, und seine Augen waren voller Sorge, Mitleid und Wut.

      »Simon, ich bin Dr. Lo. Ich kenne Sie, aber jetzt sind Sie zum ersten Mal bei Bewusstsein und können mich sehen. Hat der Schmerz nachgelassen?«

      Ihm war, als läge er auf einem Bett aus Daunen. Außer Sanftheit und Leichtigkeit spürte er nichts. Er schenkte allen im Zimmer ein glückseliges Lächeln.

      Simon wusste, dass er wieder geschlafen hatte, dann war er durch die Luft geschwebt und hatte sich schließlich auf dem Wasser treiben lassen, doch die Zeiger der Uhr an der Wand gegenüber seinem Bett gingen langsam rückwärts, wodurch er jegliches Zeitgefühl verlor. Es war hell, dann wieder dunkel, und noch immer schwebte er.

      »Heute ist Freitag«, sagte jemand.

      Er kam zu sich.

      Zwei Personen, und Cat war auch da. Man setzte ihn auf, und an den Fensterscheiben glitten silberne Regentropfen herab.

      »Freitag.«

      »Wir würden gern mit Ihnen besprechen, was wir vorhaben, wenn Ihnen danach ist?«

      Er erkannte den jüngeren Arzt, nicht aber den älteren mit sehr schütterem Haar und einer Brille mit kleinen runden Gläsern.

      »Mein Name ist Flint, Greg Flint. Ich bin Facharzt für orthopädische Traumata.«

      »Ist das hier eine Konferenz?«

      »So etwas in der Art. Ich bin froh, dass Dr. Deerbon hier ist … wenn das für Sie in Ordnung ist? Ich werde versuchen, mich klar auszudrücken, aber sie kann unsere Fachsprache für Sie übersetzen, wenn es mir nicht gelingt, und Sie können sie alles fragen, was Ihnen unklar ist. Ich habe sie kurz in Kenntnis gesetzt, als Sie noch bei den Elfen waren.«

      »Jetzt bin ich hier.«

      »Und ich entschuldige mich dafür, dass man Sie mit Ihren Schmerzen so allein gelassen hat – das hätte nicht passieren dürfen, und es wird nicht wieder vorkommen. Wie fühlen Sie sich jetzt?«

      »Taub. Wenn Sie meinen Arm meinen.«

      »Und der Rest?«

      »Gut, glaube ich. Ich hatte starke Kopfschmerzen.«

      »Das überrascht mich nicht – Sie haben einen furchtbaren Schlag abbekommen. Mich wundert, dass Ihr Schädel keine Fraktur aufweist.«

      Er runzelte die Stirn. Schlag? Schädel? Wie? Er sah Cat an.

      »Schon gut«, sagte sie. »Du kannst dich nicht daran erinnern. Das ist normal. Es wird dir wieder einfallen. Vielleicht auch nicht, aber du hast keinen Hirnschaden, dein CT war ohne Befund.«

      »Ein CT? Das, was passiert ist …«

      »Wir machen uns keine Sorgen um Ihren Kopf oder die anderen Verletzungen, die verheilen gut. Wenn der Arm nicht wäre, hätten wir Sie schon entlassen.«

      Simon spürte, wie sein Kopf klarer wurde. »Also … was genau ist mit meinem Arm passiert?«

      »Im Wesentlichen wurde er durch den Müllzerkleinerer gedreht.«

      Müll? Zerkleinerer? Aber er nickte.

      »Wir haben alles getan, was zu dem Zeitpunkt möglich war, doch wir mussten abwarten, um genau feststellen zu können, was noch zu retten ist. Wir machen noch ein CT, und wenn wir uns das angesehen haben, sollte die Sache klarer sein – solche Verletzungen verheilen durchaus. Ich möchte Ihren Arm gerne retten, Simon, und nach den letzten Aufnahmen bin ich mir ziemlich sicher, dass ich es kann. Allerdings wissen wir das erst, wenn ich Sie wirklich auf dem OP-Tisch habe. Selbst dann sieht die Sache manchmal gut aus, und trotzdem gibt es auf halber Strecke ein Problem. Aber damit rechne ich nicht. Ich gehe nie von Problemen aus.«

      »Wenn Sie sagen, meinen Arm ›retten‹ …«

      »Ja.«

      »Soll das heißen, er wird so gut wie neu?«

      »Das kommt drauf an. Ich hoffe, wir können ihn zu 80 oder womöglich sogar 90 Prozent wiederherstellen – das wird die Zeit zeigen, und jede Menge Physiotherapie. Hundert Prozent sind unwahrscheinlich.«

      »Verstehe.«

      »Physiotherapie ist unbedingt notwendig, und Sie dürfen Ihre Übungen nicht schleifen lassen, nicht ein einziges Mal. Ich werde alles tun, was ich kann, so wie alle anderen auch, doch danach hängt es von Ihnen ab.«

      »Darüber mache ich mir keine Sorgen. Es war der Gedanke, den Arm zu verlieren.«

      »Ich bin zuversichtlich. Aber wir machen die Aufnahme, und wenn ich die habe, kann ich planen. Die Verbände müssen entfernt werden, aber wir bringen Sie gleich runter, und dann bekommen Sie einen neuen Verband. Das wurde sowieso jeden Tag gemacht.«

      Plötzlich fiel es ihm ein. Man hatte ihm so viel Schmerzmittel verabreicht, dass er nichts gespürt hatte, und ihm gesagt: »Schauen Sie nicht hin, das ist mein Rat. Wenden Sie sich ab. Verletzungen fangen immer an wehzutun, wenn man hinschaut.«

      Er hatte den Kopf zur Seite gedreht. Alles war taub gewesen.

      »Wie lange dauert es nach dem CT noch bis zur Operation?«

      »Wenn alles gut aussieht, wahrscheinlich bis Montagmorgen. Ich muss es in meinem Terminkalender unterbringen. Diese Art der Wiederherstellung nimmt Zeit in Anspruch.«

      Die Operation dauerte sieben Stunden, so wurde es ihm zumindest gesagt, sieben Stunden, die nichts bedeutet hatten, und jetzt trieb er wieder auf dem Wasser, schwebte, selig. Sein Leben zog ruhig vorüber.

      Die Tür ging auf, und er erblickte einen Mann in dunkler Khakihose, hellblauem Sweatshirt. Dunkle, krause Haare. Simon dachte an seine eigenen blonden Haare und stellte fest,


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