Phantomschmerzen. Susan Hill
Читать онлайн книгу.nach Hause verfrachten … oder was sonst?«
»Das weiß ich nicht, allerdings werden sie dich wahrscheinlich entlassen, sobald sie sicher sind, dass die Infektion unter Kontrolle ist. Die Antibiotika, die sie dir verabreichen, sind ziemlich stark, und du wirst sie noch zwei Wochen einnehmen müssen, in Tablettenform. Wenn der Chirurg ansonsten zufrieden ist, musst du kein Bett mehr belegen. Nur nach Hause können sie dich nicht schicken.«
»Wieso?«
»Du bist willensstark, Si, aber du wurdest durch die Mangel gedreht. Dass du jetzt gleich wieder alleine in deiner Wohnung bist, ist keine Option. Am besten wäre, du kämst zu uns. Ich würde dich keine Stunde länger als notwendig festhalten, ich will nur sicher sein, dass du gesund bist, bevor du nach Hause gehst.«
»Ja, Frau Doktor.«
Cat empfand eine Mischung aus Erleichterung und Sorge. Sofortige Zustimmung zu einem Vorschlag, der in irgendeiner Weise mit ihm zu tun hatte, war nicht das, was sie erwartet hatte.
»Sag mal ehrlich … wie geht es dir? Ich meine nicht Schmerzen, Unwohlsein … all das, ich meine … Si, du hast einen Arm verloren. Unterschätz nicht, wie sich das auf dich auswirkt … auf deine Stimmung, deine Verfassung, dein sonst so gutes Körpergefühl. Das steckt man nicht so einfach weg.«
Er starrte vor sich hin, und sie konnte seinen Ausdruck nicht deuten. Vor dem Zimmer die üblichen Krankenhausgeräusche. Sie hatte ihre Ausbildungsjahre in Kliniken geliebt, hätte aber nie eine Krankenhaus-Laufbahn einschlagen wollen, und jetzt wurde ihr noch deutlicher, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Patienten kamen und gingen innerhalb von Tagen, manchmal Stunden, man hatte kaum eine Chance, sie kennenzulernen, schon gar nicht, ihre Geschichten weiterzuverfolgen. Sie war eine Ärztin, die Kontakt zu ihren Patienten brauchte. Weder Chirurgie noch Anästhesie hatten sie gereizt, zum Teil weil Beziehungen zu den Patienten einfach fehlten.
»Ich weiß erst, wie ich hiermit zurechtkomme, wenn ich herausgefunden habe, was mich am Ende erwartet«, sagte Simon. »Und wozu ich am Ende fähig sein werde. Zum Glück ist es mein linker Arm, mehr kann ich im Moment nicht sagen. Schenkst du mir bitte etwas Wasser ein?«
Als sie ihm das Glas in die Hand drückte, schaute er ihr in die Augen.
»Aber eins sage ich dir.«
Er behielt sie fest im Blick, während er langsam trank. Cat wartete, spürte, dass etwas Wichtiges kommen würde, wollte ihn nicht drängen oder ihn derart in Verlegenheit bringen, dass er verstummte. Sie unterhielten sich oft, und manchmal erzählte er ihr etwas, zuweilen gab er bruchstückhaft Andeutungen über sich preis, über sein Innenleben, aber sie war sich stets seines streng privaten Inneren bewusst, in das sie niemals eindringen durfte. Sie hatte gelernt, das zu respektieren.
Er reichte ihr das leere Glas und drückte dabei kurz ihre Hand.
»Du solltest den Chief heiraten«, sagte er.
1
Beim letzten Mal, als Serrailler auf die Insel kam, war er in einem kleinen Flugzeug vom Himmel gefallen. Diesmal näherte er sich über das Meer mit der regulären Fähre, die außer ihm noch zwei Wanderer und einige Transportkisten übersetzte.
Taransay war dunkelbraun und lag gold gestreift in der Sonne. Er hatte vergessen, wie klein das einzige Dorf war, ein Haufen niedriger Häuser aus grauem Stein mit Blick auf das Wasser. Die Straße, die dahinter aus dem Ort führte, zog sich als blasse Linie eine Meile lang hin, bevor sie in einen Feldweg mündete, der sich auf und ab und rundherum durch die Hügel schlängelte, wo es vereinzelte Cottages und zwei Farmen gab. Ansonsten war es leeres, wildes Land. Ein paar Gebäude im Schutz der Sandbuchten waren in Ferienhäuser umgewandelt worden, doch sobald der September ins Land gezogen war, standen sie leer, und die Insulaner igelten sich für einen weiteren Winter ein.
Simon saß an Deck. Der Himmel war leicht bewölkt, und ausnahmsweise wehte nur eine Brise, kein Wind. Wenn man den Rausch stürmischer Winde spüren und sich von ihrer Kraft wegfegen lassen wollte, war Taransay mit den benachbarten Inseln genau das Richtige.
Während sie auf der leichten Dünung in den Hafen glitten, hatte er das eigenartige Gefühl, sein früheres Leben wieder zu betreten, als wäre er damals ein anderer Mensch gewesen. Fast sechs Jahre war es her, es hätten auch sechshundert sein können. Er war jung gewesen. Fit, gesund, unversehrt, aber jetzt war er nicht unversehrt, obwohl die physischen Auswirkungen nach dem Verlust eines Arms aus Fleisch und Knochen und dem Ersatz durch eine Prothese viel leichter zu verkraften gewesen waren als die psychischen. Der Verlust seines Arms verfolgte ihn. Fast jede Nacht träumte Simon, der Arm wäre noch ein fester Bestandteil seines Körpers. Er fühlte sich unvollständig, wenn sich auch Kraft und Geschicklichkeit verbesserten und er sich daran gewöhnte, neue Wege für Gewohntes zu suchen.
Möwen rauften sich zu einem lauten, gefräßigen Pack hinter der Fähre zusammen, als sie einbog und gemächlich zum Liegeplatz am Kai tuckerte. Simon stand auf, streckte sich und schaute sich um.
Ein großer Mann. Eine nur etwas kleinere Frau. Und ein kleiner Junge. Sie standen zusammen. Die Männer aus den Lagerhäusern und dem Pub waren wohl schon unten, um mit dem Entladen anzufangen, sobald die Bright Lass vertäut war, die Gangway herabgelassen wurde und die Passagiere an Land gehen konnten. Simon wollte auf den Kai springen. Er wollte auch umkehren und sich unter Deck verkriechen, bis die Fähre bereit zur Rückfahrt war.
Douglas hatte ihn entdeckt. Kirsty winkte. Der kleine Junge stand da, beide Hände in den Taschen seiner kurzen Hose. Beobachtete.
Douglas rührte sich zuerst, griff nach Simons Reisetasche und klopfte ihm auf den Rücken. Was immer in der Vergangenheit zwischen ihnen geschehen war, gehörte tatsächlich der Vergangenheit an, und als Kirsty ihn fest umarmte, war es natürlich, kam von Herzen, vor allem aber war es freundschaftlich und deutete nicht auf das hin, was vor einigen Jahren zwischen ihnen gewesen war. Und Douglas störte es offenbar kein bisschen.
»Das ist Robbie.«
Der kleine Junge hatte schlickbraunes Haar, graue Augen wie ein Seehund und viel Ähnlichkeit mit seinem Vater. Er streckte die Hand aus, und Simon schüttelte sie feierlich, wobei ihm der prüfende Blick des Jungen nicht entging.
»Kann ich deinen bionischen Arm mal sehen?«, fragte er.
»Robbie! Was habe ich dir gesagt, bevor wir aus dem Haus gegangen sind?«
»Ihn nicht nach seinem bionischen Arm zu fragen, ich weiß, aber es ist doch so spannend.«
»Ich werde ihn dir zeigen. Nur jetzt nicht.«
»Warum nicht jetzt?«
»Weil mein Arm und ich nach einer sehr langen Reise im Auto, zwei Zügen und einer Fähre müde sind.«
»Okay.« Robbie stieg auf den Rücksitz des Land Rovers. »Aber du zeigst ihn mir morgen, ja, wenn dein bionischer Arm ein bisschen ausgeruht ist? Versprochen?«
»Versprochen.«
Leise lächelnd schnallte Robbie sich an.
»Wenn es dir recht ist, noch zum Tee zu bleiben, bringe ich dich nachher zu deiner Unterkunft«, sagte Douglas, bog mit dem Rover in den Weg, der steil bergauf führte. »Oder würdest du dort lieber erst deine Sachen abstellen?«
»Das würde er lieber nicht, er würde viel lieber jetzt mit zu uns kommen.«
»Robbie, benimm dich!«
»Er hat doch recht. Ich würde gern zuerst zu euch kommen.«
Der Junge hatte den Blick nicht von ihm abgewandt. Er schaute auf Simons linken Arm und die Hand, die auf dem Sitz zwischen ihnen lag.
»Sieht das für dich irgendwie anders aus?«, fragte Douglas und deutete auf die Landschaft.
»Hat sich hier in tausend Jahren jemals etwas verändert?«
»Oh ja – vor tausend Jahren gab es mehr Menschen als Schafe und dementsprechend viele Farmen.«
»Alles noch