Phantomschmerzen. Susan Hill

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Phantomschmerzen - Susan Hill


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Sachen kümmern. Geh du ins Bett. Wir können frühstücken, bevor wir ihn besuchen, dann muss ich wieder zurück nach Lafferton.«

      »Danke«, sagte sie, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, mit denen sie nicht gerechnet hatte. »Ohne dich hätte ich das nicht durchgestanden.«

      »Natürlich hättest du. Ich bin nur froh, dass du es nicht musstest.« Er streckte die Hand aus, und sie drückte sie kurz, bevor sie ihre letzten Energiereserven nutzte, um hinauf in ihr Zimmer und ins Bett zu gehen.

      Kieron trank seinen Whisky und blieb noch sitzen, dachte über einen Detective Chief Superintendent nach, der mentale und emotionale sowie extreme physische Traumata durchgemacht hatte und der sich jetzt mit einer langsamen, schwierigen Reise zu einer wie auch immer gearteten Genesung konfrontiert sah. Kieron waren die großen Fortschritte bei Prothesen bekannt, die bionischen Arme, die so angepasst werden konnten, dass sie Anweisungen direkt aus dem Gehirn folgten, um fast wie ein natürlicher Arm zu funktionieren. Er wusste, dass Serrailler hinsichtlich seiner Arbeit geringfügige Nachteile würde hinnehmen müssen. Er könnte einen Computer benutzen und mit dem Auto fahren, sowie bei allen Aspekten der Arbeit in Höchstform sein, die überhaupt nicht betroffen wären – Verhöre, Fälle durcharbeiten, Besprechungen mit Kollegen, ein Team einweisen.

      Er kam jedoch nicht umhin, sich klarzumachen, dass Simon nicht unkompliziert war. Er war ein guter Ermittler, hatte allerdings persönliche Probleme, die er vielleicht nie lösen würde, und obwohl sie seine Arbeit in der Vergangenheit nicht beeinflusst hatten, könnten sie jetzt an die Oberfläche kommen, zu einem Zeitpunkt, an dem er absolut hilflos war, und zu Schwierigkeiten führen. Das konnte man nicht wissen. Er selbst konnte nur beobachten und abwarten, Hilfe und Unterstützung geben, soweit es ihm möglich war, und weder zu viele noch zu wenige Erwartungen haben. Er könnte auch den anderen im Lafferton-Team klarmachen, wie wichtig es wäre, sich genauso zu verhalten.

      Die Bar war leer. Er trank den letzten Tropfen Scotch mit viel Wasser und stand auf. Hoffentlich konnte Cat schlafen.

      Cat. Sie war eine starke, unverwüstliche, fähige Frau, eine gewissenhafte Ärztin, eine liebevolle Alleinerziehende. Doch ihm war früh aufgefallen, dass sie verletzlich war, nicht nur durch ihre Kinder, sondern durch ihren Bruder. Sie kannte Simon so gut wie niemand sonst – besser wahrscheinlich, als er sich selbst kannte. Sie würde voll und ganz verstehen, wie ihn dieses Trauma treffen würde, und nicht auf eine für alle sichtbare Weise. Physisch würde er zurechtkommen. Aber seine Genesung bedeutete sehr viel mehr als nur ein wenig Rehabilitation und Physiotherapie. Serrailler würde die Hilfe aller benötigen, und vor allem würde er Cat brauchen, und sie würde ihm alles geben, worum er bitten würde, und noch mehr.

      Als Kieron durch das Foyer des Hotels zum Lift ging, stellte er sich besorgt die Frage, ob sie neben ihrem Bruder und ihren Kindern noch für jemand anderen Platz haben würde.

      Kurz nach sechs Uhr wachte er auf und konnte nicht wieder einschlafen. Das Zimmer war recht gemütlich, aber überheizt, und die Fenster ließen sich nicht öffnen. Er ging hinaus. Die Straßen um das Hotel waren öde wie alle Straßen in Gegenden, die an ein Industriegebiet und eine Autobahn grenzen. Kieron wäre gelaufen, wodurch langweilige Orte schon allein deshalb weniger eintönig werden, weil man keine Zeit hat, sie wahrzunehmen, musste sich jedoch mit schnellem Gehen begnügen, da er keine Sportkleidung mitgenommen hatte. Er ging vierzig Minuten lang, um Büroblocks aus Beton und Metall, Lagerhäuser, Supermärkte, die Parkplätze, die sich bereits füllten. Eine Meile weiter rechts erblickte er das Flachdach des Krankenhauses. Er kehrte um.

      Cat war noch nicht aufgestanden, also holte er sich Kaffee und warf einen Blick auf sein Handy. Keine Nachrichten. Er wartete noch eine halbe Stunde, las die Zeitungen, bevor er im Präsidium anrief. Seine Assistentin war da, aber auch sie hatte nichts für ihn. Er verspürte eine eigenartige Unruhe, als sollte er vor Ort sein, um etwas in Gang zu bringen, was es auch sein mochte. Er rief den diensthabenden Sergeant an.

      »Nichts zu melden, Chief. Ein paar Verkehrsunfälle auf der anderen Seite des Countys und alle versorgt. Eine Einbruchsmeldung, aber falscher Alarm.«

      »Dann war die Nacht überall ruhig.«

      »Ziemlich. Nur eine Meldung, und das ist wahrscheinlich nichts. Lafferton. Jemand hat in der Nähe der alten Lagerhäuser am Kanal einen Brand gelegt. Wie so ein Feuer zur Guy Fawkes Night – Kleinholz, Stöcke, ein paar tote Äste. Papier. Angehäuft in Form eines Wigwams. Obendrauf lag ein Fahrradreifen, sie hatten gut einen halben Kanister Lack drübergeschüttet. Der Geruch hat alle aufgeschreckt, ziemlich viele haben angerufen – hinzu kam noch der dichte, schwarze Qualm. Die Feuerwehr hat es in null Komma nichts gelöscht und alles in Ordnung gebracht, aber es war seltsam. Wer würde sich die Mühe machen?«

      »Ein Irrer. Kein Schaden?«

      »Nicht einmal an überhängenden Büschen.«

      »Wenn beim nächtlichen Feiern nichts Schlimmeres rausgekommen ist, können wir uns nicht beklagen.«

      Als er das Gespräch beendete, kam Cat herein.

      »Frühstück. Du solltest etwas essen«, sagte Kieron. Die Anstrengung des vorigen Tages überschattete ihr Gesicht.

      »Können wir direkt ins Krankenhaus fahren?«

      Er nötigte sie, Kaffee zu trinken, doch sie blieb dabei stehen. Eine Viertelstunde später waren sie in Simons Zimmer.

      Er saß aufrecht, überall Infusionsbeutel und Schläuche, die Geräte piepten ununterbrochen. Er war bleich, sein Gesicht schien schmaler, aber er trank mit einem Strohhalm aus einem Plastikbecher.

      »Einarmiger Bandit«, sagte er. Es klang nicht wie ein Witz.

      »Ich lasse euch beide mal allein und hole mir Kaffee.«

      Doch Serrailler hob die Hand.

      »Ich weiß, warum Sie hier sind. Raus mit der Sprache.« Er klang erschöpft.

      »Was werde ich denn sagen? Sagen Sie es mir.«

      Cat schaute vom einen zum anderen, als wären sie zwei kleine Jungen, die sie beim Zanken erwischt hatte, obwohl sie sich gegenseitig helfen sollten.

      »Si …«

      »Schon gut. Er soll es nur ausspucken, dann kann er gehen.«

      Teils lag es an den Medikamenten, teils am Schmerz, aber sie kannte ihn, kannte seinen Stolz und seine Wut, und wusste, dass er, wie immer, lieber auf der Stelle vom Schlimmsten getroffen wurde.

      Kieron seufzte und stellte sich nah ans Bett. Er streckte die Hand aus und berührte Simons Schulter leicht mit einem Finger.

      »Hören Sie«, sagte er. »Sie haben viel vor sich. Ich weiß nicht einmal die Hälfte, und ich nehme an, Sie auch nicht, noch nicht. Aber ganz gleich, wie lange es dauert, Sie werden zurückkommen. Detective Chief Superintendent, Vollzeit, sobald man Ihnen grünes Licht gibt. Gar keine Frage, weil Sie nämlich zu wertvoll sind, und es wird keine Einschränkungen Ihrer Tätigkeit geben. Verstanden?«

      Simon schaute ihn lange an und nickte.

      »Dann gibt es nichts mehr zu sagen. Konzentrieren Sie sich darauf, gesund zu werden.«

      »Chief.« Sein Mundwinkel zuckte ganz leicht.

      Kieron nickte ihm zu und machte sich auf die Suche nach der Kantine.

      Cat lächelte. Kieron hatte ihren Bruder richtig eingeschätzt. Das war entscheidend, in mehr als einer Hinsicht.

      Sie setzte sich neben das Bett. »Schöne Scheiße«, sagte sie, »das Schlimmste überhaupt. Sie können ihr Bestes tun, aber das Risiko einer Infektion besteht immer.«

      »Es ist vorbei.«

      »Möchtest du, dass ich es mit dir durchspreche, oder möchtest du es lieber denen überlassen? Wäre besser. Sie sind die Experten.«

      »Du bist nicht meine Ärztin, du bist meine Schwester. Dabei wollen wir es belassen.«

      »Schön. Wie du willst. Aber du weißt –«

      »–


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