Deutsche Geschichte. Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.den Kindern den Vater erhalten will, die aus Liebe zu den Kindern auf den Wechsel verzichtet, und der, da ihre zarte Körperlichkeit den Reiz früh einbüßt, der den Mann anzieht, die Verklärung des ehelichen Verhältnisses durch das Sakrament willkommen sein musste. Von der ungeregelten Leidenschaft der nordischen Heiden hatten wohl Frauen Genuss und Vorteil; aber überwiegend litten doch Frauen darunter. Denn es ist unumgänglich, dass der natürliche Mann sich seiner überlegenen Kraft bedient, um die Frau zu beherrschen und um sich ihrer zu entledigen, wenn sie ihm im Wege ist, nicht selten mit derselben Leidenschaft, die er einsetzte, um sie zu gewinnen, solange er sie begehrte. Drückten nun auch Päpste und Bischöfe zuweilen ein Auge zu, wenn es sich um mächtige Herren handelte, so haben sie doch im Allgemeinen auch solchen gegenüber die gekränkte Frau beschützt. Die Familie konnte zu einem befriedeten Bezirk werden, innerhalb dessen, wenn ringsum ungezähmte Leidenschaft, Habsucht und Machtgier der Großen sich austobten, vorzüglich unter der mütterlich regierenden Hand der Frau sich diejenigen Tugenden erhielten, die der Gesundheit und dem Glücke des Volkes zugrunde liegen.
Dass die Regelung des Verhältnisses zwischen Mann und Frau durch die Kirche nichts mit Zimperlichkeit und Sinnenfeindlichkeit zu tun hatte, beweist die Unbefangenheit, mit der die Dirnen in den öffentlichen Frauenhäusern betrachtet und behandelt wurden. Sie erschienen bei festlichen Anlässen als eine ständische Gruppe neben anderen, oft mit Blumen geschmückt, und wenn an der Rücksicht, die man auf sie nahm, auch der finanzielle Gewinn einen Anteil hatte, den Stadträte oder Fürsten aus ihnen zogen, so zeigte sich doch auch die Neigung des ganzen Volkes darin, diese Mitbürgerinnen sich eher mit Wohlwollen einzugliedern, als sie zu verachten oder sich an ihnen zu ärgern. Auch in dieser Beziehung brachte das Christentum wohl Veredlung, aber nicht Vergewaltigung der Natur; die »Tochter Gottes« sollte nicht nur für ihre schönen Triebe, sondern auch für Ausgelassenheit und Unart Spielraum haben.
Der Norden
Otto I. schickte den Bischof Liutprant von Cremona, einen begabten, temperamentvollen Langobarden, an den Hof von Byzanz, um für seinen Sohn um die Hand einer griechischen Prinzessin zu bitten. Als der Kaiser Nikephoros sich bei Tisch über die Völlerei der Burgunder lustig machte, sagte Liutprant, schon gereizt durch geringschätzige Behandlung: »Wir Langobarden, Sachsen, Franken, Lothringer, Bayern, Schwaben und Burgunder verachten die Römer so sehr, dass wir im Zorn für unsere Feinde kein anderes Schimpfwort haben als Römer.« Zweihundert Jahre später waren aus den Langobarden Lombarden geworden, und ihr germanischer Ursprung glich den Gegensatz zwischen Deutschen und Italienern nicht mehr aus. Wohl aber bestand im Norden noch lange ein germanisches Zusammengehörigkeitsgefühl. Wenn es auch englische und schwedische, dänische und norwegische Königreiche gab, die sich untereinander bekriegten, wenn auch die Sachsen und Friesen sich bewusst waren, zum Römischen Reiche Deutscher Nation zu gehören, wenn sie auch verschiedene Sprachen redeten und verschiedene Ziele verfolgten, so fühlten sie sich doch als Nordleute, verbunden durch das nordische Meer, das gegen ihre Küsten flutete, das ihre Schiffe befuhren, das ihr gemeinsames Schicksal war. Oft scheint es sogar, als fühlten die Sachsen mehr Verwandtschaft zu den Angelsachsen, Dänen und anderen Nordleuten als zu den Schwaben und Bayern; selbst das bedeutende Moment der Zusammengehörigkeit, das das Christentum bildet, kommt nicht immer gegen das germanische Verwandtschaftsgefühl auf.
Clarum inter Germanos Frisiorum nomen. Berühmt ist unter den Deutschen der Name der Friesen, sagte Tacitus. Kaum erscheint ihr Name in der Geschichte, hatten sie schon Taten getan, die sie als Rächer ihrer Freiheit zeigten. Weder Herren noch Knechte litten sie unter sich. Jahrhunderte hindurch war ihre Chronik Kampf und Sieg über alle, die sie unterwerfen wollten. Viele Grafen von Holland, die die Friesen als ihre Untertanen betrachteten, fanden in ihren Sümpfen ihr Grab. Wie die Möwen, die sich kreischend vor gieriger Lust in den Sturm werfen, wenn sie am Strande gehen, etwas von gemütlichen Enten haben, so sagt man von den Friesen, dass sie daheim stumpfsinniger Untätigkeit verfallen; aber wenn eine Sturmflut Deich oder Vieh bedroht, oder auf dem Meere, stürmen sie furchtlos in die Gefahr, ringen sie wie ein unbändiges Element mit den Elementen. Dieser Friesenstolz war allen Nordleuten bis zu hohem Grade eigen. Man hat bemerkt, dass die Sprache der Friesen der englischen näher als der deutschen verwandt ist, von der sie sich stärker als ein Dialekt unterscheidet, und dass sie auch im Charakter den Engländern gleichen; allein auch den Sachsen waren sie so ähnlich, dass es schwer ist, eine bestimmte Grenze zwischen Sachsen und Friesen zu ziehen. Waren doch auch die Engländer damals unvermischte Sachsen, vielleicht schon mit Friesen verschmolzene. Meeranwohner waren sie alle, als Kinder des Meeres einander verschwistert. Sachsen und Friesen waren viel eher Christen geworden als die Skandinavier; aber wie diese waren jene durch die wilde Taufe des Meeres gefeit, ein Geschlecht, das mitten im Untergang, wenn Erde und Sterne wanken, die Wonne seiner Kraft am sichersten fühlte. Auf den ewig von Stürmen umsausten Dünen wuchsen keine Bäume, gab es keine heiligen Haine; heilig war dort die Freiheit. Noch jahrhundertelang beteten auf den friesischen Inseln die Pfarrer selbst um gesegneten Strand, nämlich dass viele Schiffe scheiterten. Als die Blutrache längst nicht mehr im Schwange war, schlugen die Angehörigen eines Getöteten noch mit dem Schwert an die Kirchhofspforte und an die Tür des Mörders und murmelten: Rache! Rache! Die Weisen, die beim friesischen Festmahl zur Harfe gesungen wurden, waren bald stürmisch, bald unsäglich süß und zwangen alt und jung zu tanzen, tolle, heidnische Tänze, bis sie besinnungslos hinfielen. Die nordischen Glaubenshelden behielten als Christen ihre schwungvolle Faust. Bischof Evermod von Ratzeburg wollte einmal einen vornehmen Dithmarschen, dem ein Verwandter erschlagen worden war, bewegen, von der Rache abzustehen. Vergebens predigte er ihm die Grundsätze christlicher Nächstenliebe, vergebens drang er mit Bitten und Flehen auf den Unversöhnlichen ein, endlich fiel er ihm zu Füßen. Der Dithmarsche verschwur sich mit schrecklichen Eiden, sich niemals mit dem Beleidiger zu versöhnen. Da holte der Bischof aus und versetzte dem Manne einen gewaltigen Backenstreich, worauf der Dithmarsche nachgab und verzieh. Außerordentlich stark und verwegen war Dankbrand, der Sohn eines sächsischen Grafen. Nachdem er wegen eines schönen Mädchens mit einem dänischen Großen in Streit geraten war und ihn erschlagen hatte, floh er nach England und wurde dort Kaplan des berühmten norwegischen Königs Olaf Tryggvason, der soeben mit der ungestümen Leidenschaft, die ihm eigen war, das Christentum