Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2). Hans Kneifel
Читать онлайн книгу.dass ich keine Hand mehr vor Augen sah. Der Rollsteig bedeckte sich mit einer Decke aus nassem, glitschigen Schnee, auf der ich ständig ausrutschte. Meine Hände tasteten vergeblich nach den Seiten. Ich fand weder ein Geländer noch eine Wand.
Als das Schneetreiben aufhörte, merkte ich es gar nicht sofort, denn meine Augen waren total zugekleistert. Erst, als der Schnee auf ihnen taute, wurde ich gewahr, dass das Wetter umgeschlagen war. Die Bewölkung war aufgerissen, so dass wenigstens etwas Sternenlicht durchkam und mir die Orientierung erleichterte.
Vor mir lagen noch gut fünfzig Meter Rampe, danach kam ein Platz – und auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes ragte etwas Dunkles empor, aus dem in zirka hundert Metern Höhe Lichter blinzelten: ein Turm.
Wenn mich nicht alles täuschte, musste es dort zwei Türme geben (früher waren es sogar drei gewesen), aber anscheinend besaß der andere Turm keine eigene Lichtquelle, so dass er bei Nacht und auf die Entfernung für mich nicht zu sehen war.
Mich zog es jedoch nicht zu den Türmen. Ich benutzte sie lediglich als Orientierungshilfe und bog ungefähr auf der Mitte des Platzes im rechten Winkel nach links ab.
Eine gute halbe Stunde ging ich anschließend durch ungleichmäßig beleuchtete Straßen, die von relativ niedrigen Häusern gesäumt wurden. Ich rekonstruierte, dass ich mich in einem Stadtbezirk befand, in dem einst hominide Piraten gelebt hatten, die von einer technisch unterentwickelten Welt stammten. Dementsprechend war ihr Viertel gestaltet. Die Häuser rochen irgendwie bodenverbunden – und das waren sie auch, denn hinter ihnen, abseits der Straßen, lagen kleine Felder und sorgfältig gepflegte Gärten.
Ich sog tief die Luft ein. Sie hatte hier etwas an sich, das anheimelnd auf mich wirkte.
Es dauerte nicht lange, da fand ich das Haus wieder, das ich suchte. Ich stieß die straßenseitige Tür auf. Ein Korridor lag vor mir, erfüllt von den Gerüchen nach Mehl, Brot, nasser Kleidung und kaltem Rauch – und nach Schimmel. Eine einzige kleine Lampe baumelte an einem dünnen Kabel von der Decke und erzeugte ein tristes Dämmerlicht.
Ich achtete nicht weiter darauf, sondern ging schnurstracks auf die Treppe zu, die vom Flur in den Keller führte. Vorsichtig ging ich die knarrenden Stufen hinunter.
Unten war es ein wenig heller. Drei Deckenlampen erhellten das Gewölbe. Riesige Weinfässer und Kisten voller Vorräte standen dort.
Ich erinnerte mich an das Brot, das ich damals gegessen hatte, als ich durch die Stadt irrte, während Guray verrückt spielte. Suchend sah ich mich um.
Tatsächlich entdeckte ich auch diesmal ein Brett voller Brote. Aber ich verzichtete darauf, sie auch nur zu kosten. Zu deutlich waren die Anzeichen von Verderbnis; zu intensiv roch es nach Schimmel.
Doch deswegen war ich auch nicht hergekommen.
Mein Blick heftete sich auf den Getreidekasten, der in einem Winkel stand.
Eine Weile verharrte ich reglos, dann imitierte ich eine kurze, einfache Melodie aus glucksenden und quakenden Tönen. Meine Augen brannten, während ich auf die Kornkiste starrte.
Und plötzlich verschoben sich die Schatten in jenem Winkel des Gemäuers ...
*
Ich empfand es als selbstverständlich, dass es unter dem Torbogen keine provisorisch gemauerte Wand mehr gab, sondern die Dunkelheit eines unbeleuchteten Gewölbes.
Langsam setzte ich mich wieder in Bewegung. Ich ging auf das Gewölbe zu – und tauchte in seine Dunkelheit ein, fiebernd vor Erwartung.
Und meine Erwartung wurde nicht enttäuscht.
Denn mit der Dunkelheit umgab mich plötzlich der imaginäre Mantel jenes Hauchs von Sehnsucht, der von meinem Altritter Hartmann vom Silberstern auf und in Barquass zurückgeblieben war.
»Du wirst mir helfen, nicht wahr?«, flüsterte ich in die Dunkelheit, die sich scheinbar lichtjahreweit vor mir erstreckte.
»Ja, ich helfe dir – und ihm«, flüsterte es zurück.
Ich fragte nicht, wem die Stimme gehörte, denn ich fürchtete, den »Zauber« zu zerstören, der mir diese Art von Kommunikation ermöglichte. Natürlich glaubte ich nicht wirklich an Zauberei. So etwas gab es nicht – es sei denn, in Welten jenseits der materiellen Realitäten. Wenn hier, im Diesseits, Dinge geschahen, waren sie immer Bestandteil einer linear verlaufenden Kausalkette, in die Energie gespeist werden musste, wenn am Ende eine Wirkung herauskommen sollte.
Ich fragte auch deshalb nicht, weil ich im Innersten wusste, dass auf Barquass nur Guray die Möglichkeit besaß, kosmische Hyperstrahlung so zu beugen und zu fokussieren, dass ich hier etwas wahrnahm, was sich zeitgleich an einem viele Lichtjahre entfernten Ort abspielte – und weil ich im Grunde genommen nur deswegen hierhergekommen war, hierher, wo sich hinter der vierdimensionalen Raum-Zeit-Realität verborgen eine Kreuzung fünfdimensionaler Kraftfeldlinien befand.
Sie hatte es einst ermöglicht, dass ich einer Erscheinung namens Urg begegnete – und dass ich noch einmal ganz normal mit Guray hatte sprechen können, obwohl er sich damals in tiefer Verwirrung und Depression befunden hatte.
»Wo ist er?«, fragte ich, als ich nichts weiter hörte.
Ein erschrockener Atemzug antwortete mir, dann sagte die Stimme von vorhin:
»Ich kann es nicht genau sehen. Es handelt sich um einen psionischen Knotenpunkt, der in seinem Kerngebiet so grell emittiert, dass ich geblendet werde. Aber es muss ein Planet sein, denn ich spüre die Relikte zahlreicher Mythen, die tief aus der Vergangenheit weit in die Gegenwart reichen.«
»Und dort ist Atlan?«, vergewisserte ich mich stockend.
»Von dort kommt sein Hilferuf«, lautete die nicht ganz befriedigende Antwort. »Sie ist ständig überlagert von psionischen Impulsen, die anscheinend ebenfalls nach Hilfe rufen. Dort befinden sich Wesenheiten in großer Not. Aber es gibt auch Emissionen von Wesenheiten, die Heimtücke und Hinterlist spinnen.«
»Kannst du Atlans Hilferuf nicht akustisch wahrnehmbar machen?«, drängte ich.
»Es geht nicht«, antwortete die Stimme nach einiger Zeit. »Ich weiß nicht warum, aber es geht nicht. Vielleicht denkt er nur an dich. Aber nein, denn dann wären die Linien klarer. Es scheint, als träumte er nur, allerdings einen sehr intensiven Traum.«
»Kannst du ihn für mich sichtbar machen?«, fragte ich zaghaft.
»Ich versuche es«, hörte ich die Stimme wispern.
Eine Weile ereignete sich gar nichts – und ich fürchtete schon, der Kontakt zu Guray (beziehungsweise zu jener Seite von Guray, die von ein paar Stäubchen Nukleonen meines ersten Ritters »verunreinigt« war) sei abgerissen, da schälten sich die Konturen eines hochgewachsenen Hominiden in lackschwarz glänzender Rüstung vor mir aus den wogenden Schatten.
Nein, es war keine Rüstung, die er trug. Es war eine Raumkombination. Weißblondes Haar umrahmte sein scharfgeschnittenes, ausdrucksvolles Gesicht mit den rötlich glimmenden Augäpfeln und fiel ihm bis auf die Schultern.
Atlan!
Jede einzelne Nervenfaser meines Körpers schrie den Namen hinaus. Ich spürte, dass ich nahe daran war, zu vergehen, mich in etwas aufzulösen, das nicht in dieses Universum gehörte. Heiß brannten meine Augen, heiß brannte mein Herz.
Im nächsten Augenblick stach mir eine imaginäre Lanze aus purem Licht durchs Gehirn.
Anima!, flammte es in meinem Bewusstsein auf. Hüte dich vor ...!
Es krachte und blitzte fürchterlich.
Etwas packte mich und schleuderte mich brutal zurück.
Für eine ganze Weile musste ich geistig weggetreten gewesen sein, denn als mein Bewusstsein sich aus fragmentarischen Trümmern wieder zu einer Ganzheit zusammenfügte, gab es unter dem Torbogen nicht mehr die Dunkelheit eines unbeleuchteten Gewölbes, sondern nur die provisorisch gemauerte Wand – und davor die Kornkiste.
Ich aber lag