Stolz und Vorurteil. Jane Austen
Читать онлайн книгу.der hier Anwesenden an, bevor du eine Entscheidung triffst. Ich müsste mich sehr täuschen, wenn nicht einige von uns den Ball eher für eine Strafe als für ein Vergnügen hielten.«
»Wenn du Darcy meinst«, rief ihr Bruder, »der kann, wenn er will, ins Bett gehen, bevor wir anfangen. Der Ball ist so gut wie beschlossen; und sobald Nichols genug weiße Suppe10 gemacht hat, schicke ich die Einladungskarten raus.«
»Mir würden Bälle unendlich viel mehr Spaß machen«, erwiderte sie, »wenn sie anders abliefen; die übliche Prozedur hat etwas unerträglich Langweiliges. Es wäre viel vernünftiger, wenn man sich dabei unterhielte, statt zu tanzen.«
»Viel vernünftiger, liebe Caroline, gewiss, aber dann wäre es kein Ball mehr.«
Miss Bingley gab keine Antwort, und bald darauf stand sie auf und ging im Zimmer auf und ab. Ihre Erscheinung war elegant und ihr Gang graziös; aber Darcy, der es sehen sollte, blieb unbeirrbar in sein Buch vertieft. In ihrer Verzweiflung unternahm sie einen weiteren Versuch; sie wandte sich an Elizabeth und sagte:
»Miss Eliza Bennet, folgen Sie meinem Rat und Beispiel und gehen Sie ein bisschen im Zimmer auf und ab. Nach dem vielen Sitzen auf einem Fleck ist das eine angenehme Abwechslung.« Elizabeth war überrascht, stimmte aber sofort zu. Und auch bei dem eigentlichen Ziel ihrer Bemühungen hatte Miss Bingley Erfolg: Mr. Darcy blickte auf. Er war ebenso sehr wie Elizabeth selbst von den Aufmerksamkeiten überrascht, deren sie plötzlich von ihr gewürdigt wurde, und machte, ohne es zu bemerken, sein Buch zu. Er wurde sogleich aufgefordert, sich zu ihnen zu gesellen, lehnte es aber mit der Begründung ab, wenn sie zusammen im Zimmer auf und ab gingen, dann könnten sie dabei nur zweierlei im Sinn haben, in beiden Fällen wäre seine Anwesenheit störend.
»Was will er damit nur sagen?« Miss Bingley platzte vor Neugier, was er meinen könne, und fragte Elizabeth, ob sie eine Ahnung habe, was das wohl heißen solle.
»Ich habe keine Ahnung«, war ihre Antwort, »aber ich bin sicher, er will uns eins auswischen, und wir können ihn am besten enttäuschen, wenn wir ihn nicht fragen, was er meint.«
Aber Miss Bingley brachte es nicht übers Herz, Mr. Darcy überhaupt zu enttäuschen, und bat ihn deshalb um eine Erklärung seiner beiden Gründe.
»Dazu bin ich nur zu gern bereit«, sagte er, sobald sie ihn zu Wort kommen ließ. »Entweder verbringen Sie den Abend mit einem Spaziergang durch das Zimmer, weil Sie Vertraute sind und Geheimnisse miteinander zu besprechen haben oder weil Sie finden, dass Ihre Figur beim Aufund Abschreiten am besten zur Geltung kommt. Wenn das Erstere stimmt, störe ich Sie auf jeden Fall; wenn das Letztere, habe ich mehr davon, wenn ich hier am Kamin sitzen bleibe.«
»Oh, unerhört«, rief Miss Bingley, »so etwas Abscheuliches habe ich noch nie gehört. Wie wollen wir ihn für diese Unverschämtheit bestrafen?«
»Nichts leichter als das, wenn Ihnen daran liegt«, sagte Elizabeth, »es ist eine Kleinigkeit, sich das Leben unerträglich zu machen. Ärgern Sie ihn, lachen Sie ihn aus. So intim, wie Sie miteinander sind, dürfte Ihnen das doch nicht schwerfallen.«
»Doch, es fällt mir schwer. Ich schwöre Ihnen, so intim wir sind, das habe ich noch nicht gelernt. Wie soll man Seelenruhe und Geistesgegenwart aus der Fassung bringen? Und was das Lachen angeht: Sollen wir uns dadurch lächerlich machen, dass wir ohne Anlass lachen? Am besten, wir lassen ihn links liegen.«
»Wir sollen Mr. Darcy nicht auslachen dürfen!«, rief Elizabeth. »Dann genießt er Ausnahmerechte. Und ich hoffe, sie bleiben eine Ausnahme, denn mein Leben wäre ärmer, wenn ich viele solche Freunde hätte. Dazu lache ich viel zu gern.«
»Miss Bingley«, sagte er, »hält mir mehr zugute, als ich verdiene. Auch die klügsten und besten Männer, ja sogar ihre klügsten und besten Taten können von jemandem lächerlich gemacht werden, der im Leben vor allem auf einen Witz aus ist.«
»Gewiss«, erwiderte Elizabeth, »es gibt solche Menschen, aber ich hoffe, ich gehöre nicht dazu. Ich hoffe, das Kluge und Gute mache ich nie lächerlich. Albernheiten und Unsinn, Skurrilitäten und Widersprüche machen mir Spaß, das gebe ich zu, und ich lache über sie, wo ich kann. Aber ich nehme an, gerade von diesen Schwächen sind Sie frei.«
»Vielleicht ist keiner frei davon. Aber mein ganzes Leben lang habe ich mich gerade darum bemüht, Schwächen zu vermeiden, die den Verstand lächerlich erscheinen lassen.«
»Wie zum Beispiel Eitelkeit und Stolz.«
»Ja, Eitelkeit erkenne ich als Schwäche an. Aber Stolz – wer geistige Überlegenheit besitzt, kann auch seinen Stolz immer beherrschen.«
Elizabeth wandte sich ab, um ihr Lächeln zu verbergen.
»Sie haben Mr. Darcy nun ausreichend auf den Zahn gefühlt, nehme ich an«, sagte Miss Bingley, »was, bitte, ist dabei herausgekommen?«
»Ich bin nun völlig überzeugt, dass Mr. Darcy keine Fehler hat. Er gibt es selbst ohne Umschweife zu.«
»Nein«, sagte Darcy, »so anmaßend bin ich nicht. Ich habe Fehler genug, aber ich hoffe, sie tun meinem Verstand keinen Abbruch. Für mein Temperament kann ich nicht garantieren. Ich glaube, es ist zu unnachgiebig – jedenfalls in den Augen der Leute. Es gelingt mir auch nicht, die Albernheiten und Laster anderer so schnell zu vergessen, wie ich sollte, und auch nicht ihre Beleidigungen gegen mich. Meine Sympathien lassen sich nicht durch jede Schmeichelei herumkommandieren. Vielleicht könnte man meinen Charakter unversöhnlich nennen. – Meine Wertschätzung, einmal verloren, ist für immer verloren.«
»Das nenne ich eine Charakterschwäche!«, rief Elizabeth. »Unversöhnlichkeit ist, weiß Gott, ein dunkler Fleck auf der Seele. Aber Sie haben Ihre Schwäche gut gewählt. Darüber gibt es wirklich nichts zu lachen. Vor mir sind Sie sicher.«
»Ich glaube, es gibt in jedem Menschen eine Anlage zu irgendeinem Übel, einem natürlichen Defekt, an dem auch die beste Erziehung nichts ändern kann.«
»Und Ihr Fehler ist die Neigung, alle Menschen zu hassen.«
»Und Ihrer«, erwiderte er mit einem Lächeln, »ist, absichtlich alle misszuverstehen.«
»Wollen wir nicht endlich ein bisschen Musik machen«, rief Miss Bingley gelangweilt von einem Gespräch, an dem sie keinen Anteil hatte. »Louisa, du hast doch nichts dagegen, wenn ich deinen Mann aufwecke?«
Ihre Schwester hatte keinerlei Einwände, und das Klavier wurde geöffnet. Nach kurzer Überlegung war es auch Darcy recht. Er begann die Gefahr zu spüren, dass er Elizabeth zu viel Aufmerksamkeit schenkte.
Kapitel 12
Aufgrund einer gemeinsamen Entscheidung der Schwestern schrieb Elizabeth am nächsten Morgen an ihre Mutter, man möge ihnen im Laufe des Tages die Kutsche schicken. Aber Mrs. Bennet, die sich darauf versteift hatte, dass ihre Töchter bis zum kommenden Dienstag, für Jane genau eine Woche, in Netherfield bleiben würden, konnte sich nicht dazu durchringen, sie früher willkommen zu heißen. Ihre Antwort fiel deshalb nicht sehr zustimmend aus, jedenfalls passte sie Elizabeth nicht, die es ungeduldig nach Hause zog. Mrs. Bennet schrieb ihnen, vor Dienstag könnten sie die Kutsche auf keinen Fall haben, und in einem Postskriptum fügte sie hinzu, falls Mr. Bingley und seine Schwestern sie drängen sollten, länger zu bleiben – sie könne sie gut entbehren. Aber Elizabeth war entschlossen und erwartete auch keine weitere Einladung, im Gegenteil; aus Furcht, man könne ihren unnütz langen Aufenthalt als aufdringlich empfinden, forderte sie ihre Schwester auf, gleich Mr. Bingleys Kutsche auszuleihen, und schließlich einigten sie sich auch darauf, ihre ursprüngliche Absicht, Netherfield an diesem Vormittag zu verlassen, vorzubringen und um die Kutsche zu bitten.
Ihre Mitteilung rief viele besorgte Äußerungen hervor, und der Wunsch, sie möchten doch wenigstens noch bis zum nächsten Tag bleiben, überzeugte Jane schließlich. Sie schoben also ihre Abreise um einen Tag hinaus. Miss Bingley tat allerdings ihre Bitte, die Abfahrt zu verschieben, bald leid, denn ihre Eifersucht und Abneigung gegen die eine Schwester war größer als ihre Zuneigung zu der anderen.
Der Herr des Hauses hörte mit