Mindful Leadership - die 7 Prinzipien achtsamer Führung. Marc Lesser

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Mindful Leadership - die 7 Prinzipien achtsamer Führung - Marc Lesser


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kleinste bisschen Besorgnis oder Traurigkeit spüre.

      • Ich kritisiere mich für Fehler oder Entscheidungen, die nicht zum erhofften Ergebnis führen.

      • Ich sorge nicht konsequent für mich selbst – ich bewege mich nicht genug, schlafe zu wenig oder esse ungesund.

      • Ich gehe anspruchsvollen Gesprächen oder Themen, denen ich mich nicht gewachsen fühle, aus dem Weg.

      • Ich vergleiche mich in Bezug auf Aussehen, Geld und Sozialstatus mit anderen.

      • Ich fühle mich manchmal wie ein Versager, in der Klemme steckend zwischen meinem jetzigen Leben und dem, was mein Herz weiß, was möglich ist.

      Das sind für jeden schwierige, problematische Herausforderungen, aber manchmal spüren wir sie dann besonders stark, wenn wir selbst in einer Führungsposition sind – wenn andere von uns abhängig sind und viel von uns erwarten. Und solche Aussagen deuten oft auf tief eingefahrene Muster und Gewohnheiten hin. Schnelle Patentrezepte, mit denen sie sich lösen oder überwinden lassen, gibt es nicht. Aber allein schon der Akt, beim Namen zu nennen, wie Sie Ihre Kraft aus der Hand geben, kann Ihnen unglaubliche Kraft geben! Das ist die Kraft der Bewusstheit, die Kraft der Achtsamkeitspraxis.

       Mindful Leadership tut der »ganzen Katastrophe« gut

      In diesem Buch spreche ich vor allem über das Geschäfts- und Arbeitsleben, aber die Wahrheit ist: Die sieben Prinzipien von Mindful Leadership können jedem Aspekt unseres Lebens guttun. Natürlich bestimmt jede und jeder von uns sein Leben selbst. Aber oft ist es so, dass eine Kluft, die wir bei der Arbeit bemerken (egal, in welchem Beruf wir arbeiten), oft auch mit einer Kluft zu tun hat, die wir zu Hause, in Beziehungen, als Eltern und so weiter erleben. Die Kluft zwischen Frust und Potenzial, zwischen Anspruch und Wirklichkeit existiert in jedem Bereich und manchmal löst es, wenn wir in einem Bereich eine Kluft erkennen, eine wahre Flut von Einsichten aus, die weit über das ursprüngliche Thema hinausgehen.

      Ich fange Achtsamkeitsseminare oft so an, dass ich Zweierteams bilden lasse, die sich dann folgende Fragen stellen: Was lieben Sie an Ihrer Arbeit und was ist Ihr größtes Problem? Danach frage ich die Gruppe, worüber sie gesprochen haben, und neulich stand bei einem Seminar eine Frau in den Vierzigern auf und sagte: »Ich habe gerade die Stelle gewechselt und muss jetzt jeden Tag mehr als zwei Stunden pendeln. Ich spüre bei der Arbeit enormen Druck, Höchstleistung zu bringen und mir neue Kompetenzen anzueignen. Ich arbeite mit globalen Teams und muss ständig bereit sein, mit verschiedenen Zeitzonen und kulturellen Welten klarzukommen. Es wird erwartet, dass ich auf E-Mails und Textnachrichten antworte, egal, wie spät es ist. Ich habe zwei kleine Kinder, die vor Kurzem in die Schule gekommen sind und viel Aufmerksamkeit brauchen, und ich habe einen Mann, der ebenfalls vor Kurzem die Stelle gewechselt hat.«

      Durch ihre Verletzlichkeit, durch die Klarheit, mit der sie sprach, und weil die Herausforderungen, vor denen sie stand, allen Anwesenden vertraut waren, hörten sie wie gebannt dieser Frau zu. Wir alle konnten ihren Schmerz fühlen und verstehen. Und doch war sie da und hatte in ihrem – sowieso proppenvollen – Terminkalender zwei Tage untergebracht, um etwas über Achtsamkeit, emotionale Intelligenz und Menschenführung zu lernen. Es war klar, dass sie zu diesem Seminar gekommen war, weil sie die Möglichkeit spürte, anders leben und arbeiten zu können, und alle anderen taten das auch.

      Diese Frau beschäftigte sich mit Mindful Leadership unter anderem wegen ihrer Arbeitssituation und den überbordenden Anforderungen, die an sie als Managerin gestellt wurden. Aber es war ganz klar, dass sie Achtsamkeit in allen Bereichen ihres Lebens integrieren wollte. Ihre Beschreibung erinnerte mich an den Originaltitel des Buches von Jon Kabat-Zinn über Achtsamkeit, Full Catastrophe Living. (Die deutsche Ausgabe hat den Titel: Gesund durch Meditation. Das große Buch der Selbstheilung). Der Titel stammt aus dem Roman Alexis Sorbas von Nikos Kazantzakis. Ein junger Mann fragt darin den Titelhelden, ob er verheiratet sei, und Sorbas antwortet: »Natürlich habe ich geheiratet. Frau, Haus, Kinder … die ganze Katastrophe.«

      Jeder und jede von uns hat auf ganz eigene Art seine oder ihre »ganze Katastrophe«. Unsere Lebens- und Arbeitssituationen sind viel komplexer, als Sorbas sie sich jemals hätte vorstellen können. Nachdem das klar ist, muss man allerdings auch sagen, dass wir oft unsere persönlichen »Katastrophen« gar nicht missen möchten, obwohl wir uns manchmal darin gefangen fühlen. Ich glaube, dass die Frau, die sich in diesem Seminar zu Wort meldete, nicht darauf aus war, irgendeinen Teil ihres Lebens zu ändern. Sie wollte keine dieser anstrengenden und stressigen Aktivitäten aufgeben. Sie wollte stattdessen praktische Instrumente, vielleicht auch eine andere Herangehensweise oder ein anderes Lebensgefühl, um ihr Alltagsleben zu verbessern, damit sie es mehr genießen und weniger darunter leiden würde. Sie wollte den Herausforderungen ihres Lebens souveräner begegnen, ob nun bei der Arbeit, mit ihren Kindern oder mit ihrem Mann. Sie wollte die Kluft schließen, die sie spürte.

      Als Erstes nahm ich ihre Herausforderungen und ihre Frustration ausdrücklich zur Kenntnis und dankte ihr für ihre Ehrlichkeit und Verletzlichkeit. Ich ließ sie auch wissen, dass wir zwei Tage lang Strategien lernen und üben würden, uns dem Frust zu stellen und uns unserem Potenzial zu öffnen – der Möglichkeit, sich den Herausforderungen zu stellen, ja, sie manchmal sogar zu genießen, aber auch, sogar inmitten des tobenden Sturms Ruhe und Gelassenheit zu finden. Das ist das Versprechen der Achtsamkeit: Indem wir unsere Bewusstheit und unsere Verhaltensmuster neu ausrichten, können wir lernen, Dinge gelassener zu akzeptieren und manchmal, mitten im Chaos und den Herausforderungen des Lebens, Staunen und Ehrfurcht erleben.

       Meditation heißt, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen

       Schauen Sie hin! Das ist der Weg, das Auge und noch

       viel mehr zu bilden. Schauen Sie hin. Lauschen Sie.

       Hören Sie zu. Sterben Sie als Wissender. Sie leben nicht ewig.

      WALKER EVANS

      Als ich dieses Zitat des Fotografen Walker Evans zum ersten Mal las, wurde mir klar, dass ich, seit ich erwachsen bin, mithilfe der Meditation das Hinschauen geübt hatte. Ich begegnete der Zen-Meditation, als ich zwanzig war und zum ersten Mal das San Francisco Zen Center besuchte, und diese Erfahrung veränderte mein Leben. Seither ist die Meditation eine fundamentale Übung für mich und für Menschen, die achtsam führen wollen, ist sie das Kernstück.

      Obwohl Evans anscheinend gar nicht über Meditation spricht, hat er sie perfekt erfasst. Wenn wir meditieren, dann »schauen wir hin, lauschen, hören wir zu«. Wir sind bewusst und achtsam, sowohl nach innen als auch nach außen, um uns zu bilden und etwas Sinnvolles und Nützliches zu lernen. Ja, eigentlich meditieren wir oft, um zu sehen und zu verstehen, was das Wichtigste ist, weil uns mit einem Schlag bewusst wird, dass wir nicht ewig leben.

      Die Prämisse dieses Buches ist, dass Mitarbeiterführung ebenfalls diese Art des »Hinschauens« erfordert: mit vollem Bewusstsein bei der Sache zu sein, uns mit Körper, Geist und Herz ganz einzubringen und die eigenen innersten Werte und Ziele mit den innersten Werten und Zielen von anderen in Einklang zu bringen.

      Seltsamerweise habe ich festgestellt, dass Meditation und Mitarbeiterführung viel gemeinsam haben. Bei beiden heißt es, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen. Als praktische Übung klingt Meditation ganz simpel: einfach innehalten, dasitzen, dem Körper, dem Geist, dem Herzen volle Aufmerksamkeit entgegenbringen; Gedanken und Emotionen kommen und gehen lassen; Freundlichkeit und Neugier kultivieren; die Schmerzen und Enttäuschungen des Lebens, seine Freuden und Möglichkeiten berühren; Wertschätzung entwickeln dafür, dass man am Leben ist, und für alles, was lebt, und dazu ein bedingungsloses Gefühl der Zugehörigkeit und Verbundenheit. Eine andere Art, Meditation zu beschreiben, lautet: Sie üben, wahrhaft und authentisch Sie selbst zu sein, indem Sie alle vorgefassten Ideen und Identifikationen über Ihr »Ich« loslassen.

      Meditation hilft uns, mit Wertschätzung für das Großartige und Kostbare unseres Menschseins zu leben. Bei der Meditation (wie bei jeder kontemplativen Praxis) geht es darum, Tiefe und Heiligkeit in unserem alltäglichen Leben zu kultivieren. Und sie ist achtsam, weil wir dank ihrer Praxis sehen, was da ist, jede Kluft, allen Frust


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