Mindful Leadership - die 7 Prinzipien achtsamer Führung. Marc Lesser

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Mindful Leadership - die 7 Prinzipien achtsamer Führung - Marc Lesser


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sehr viel und taten sehr wenig. Die Menschen übten die grundlegenden Kernkompetenzen gar nicht, die sie hätten lernen müssen, um ihre emotionale Intelligenz tatsächlich zu steuern – zum Beispiel, wie man die Aufmerksamkeit fokussiert; wie man untersucht, wie jede und jeder Einzelne Realität konstruiert; wie man Selbstlosigkeit und Mitgefühl aktiv praktiziert. All diese Dinge sind fundamentale Bestandteile der Achtsamkeitspraxis, aber sie wurden zur damaligen Zeit nicht in die Trainingsprogramme zu emotionaler Intelligenz einbezogen. Und deshalb, ohne die Praxiskomponente, stellte sich die prognostizierte Revolution als Fehlschlag heraus.

       Die Kraft des praktischen Übens

      Mir hat immer der alberne Witz gefallen, in dem ein Tourist in New York einen Einheimischen fragt: »Wie komme ich in die Carnegie Hall?« Ohne zu zögern antwortet der Einheimische: »Üben, üben, üben!«

      Wenn Menschen mich fragen: »Wie kann ich die Kluft zwischen dem, wo ich jetzt stehe, und dem, wo ich hinwill, überbrücken?«, dann bin ich oft versucht, dieselbe Antwort zu geben: »Üben!« Es ist nur ein Witz, aber es stimmt.

      Die Wörter »üben« und »Praxis« haben je nach Kontext verschiedene Bedeutungen. Wie der Witz uns sagen will, kann man nirgendwo Erfolg haben, wenn man nicht übt oder die Fähigkeiten, die man braucht, erlernt, indem man sie immer und immer wieder erprobt. Ob es Klavierspielen ist oder Tennis, ob man eine Aufführung vorbereitet oder einen Bericht schreibt – man wird nur durch Wiederholen besser. Durch Tun. In diesem Sinne ist praktisches Üben eine intentionale Aktivität, die darauf abzielt, Lernprozesse, Fähigkeiten und Kompetenzen zu steigern. Im medizinischen oder juristischen Bereich bekommen die, die genug praktisch üben, das Recht, ihre eigene Praxis zu führen, womit ihr Beruf gemeint ist. In diesem Sinne stellt Ihre »Praxis« Ihr Geschäft oder Ihre professionelle Rolle dar (und diese zu meistern, kann lebenslanges Lernen und Arbeiten beinhalten).

      In den Jahren, in denen ich im San Francisco Zen Center lebte (und praktizierte), bezeichnete das Wort »Praxis« eine Lebensweise – es bezeichnete die Übung der Meditation genauso, wie es für die eigenen tiefsten und ursprünglichsten Intentionen stand. Das Bestreben war, Meditation und Achtsamkeitspraxis sowie Beziehungen, Arbeit und alltägliche Aktivitäten zusammenzubringen und zu integrieren. In diesem Sinne war die »Praxis« unsere Lebensperspektive. Unsere Praxis strebte danach, all unser Handeln, unsere Werte und unsere Ziele integrativ in Einklang zu bringen.

      Ich habe mich entschlossen, die sieben Kompetenzen in diesem Buch »Prinzipien« zu nennen. Eigentlich könnten sie auch »Übungen« oder »Formen der Praxis« heißen. Denn sie sind dazu da, geübt zu werden, damit Fähigkeiten aufgebaut werden und Integration gefördert wird. Und sie beschreiben eine Einstellung, eine Lebensart, sie sind Ausdruck unserer tiefsten Absicht. Durch Übungspraxis in jedem dieser sieben Bereiche können wir Frust in Potenzial umwandeln.

      »Übungen« sind Werte und Intentionen, die sich im Handeln ausdrücken. Übungen sind wie Gewohnheiten, weil sie mit der Zeit ein Muskelgedächtnis aufbauen. Aber sie sind mehr als gute Gewohnheiten. Sie sind Ausdruck unserer Absicht, das Leben in Richtung unserer höchsten Bestrebungen zu transformieren, unser volles Potenzial zu realisieren und anderen zu helfen.

       Die sieben Prinzipien: Achtsamkeit in Aktion

      Achtsamkeit kann auf vielfältige Weise beschrieben werden (was auch geschehen ist). Für den Zweck, achtsame Führungskräfte auszubilden, habe ich jedoch sieben Achtsamkeitsprinzipien herausdestilliert:

      • Die Arbeit lieben

      • Die Arbeit tun

      • Kein Experte sein wollen

      • Den eigenen Schmerz berühren

      • Den Schmerz der anderen berühren

      • Sich auf andere verlassen

      • Immer weiter vereinfachen

      Das sind jetzt nicht gerade die typischen Achtsamkeitsanweisungen. Aber für mich ist Achtsamkeit so viel tiefer und umfassender – so viel tiefgründiger, chaotischer und mysteriöser –, als es normalerweise dargestellt wird. Für mich liegt der entscheidende Punkt bei der Achtsamkeit nicht darin, Meditation gut zu können oder bestimmte Begriffe zu verstehen, oder dadurch, dass man die geschäftige Welt ausschließt, inneren Frieden zu erzeugen. Der Sinn der Achtsamkeitspraxis ist vielmehr, ein lebendigeres, empfänglicheres, tatkräftigeres und warmherzigeres Lebensgefühl zu kultivieren: in der Welt, die bereits existiert, in dem Leben, das Sie bereits leben.

      Der Grund, weshalb Achtsamkeit ein bisschen schwer zu erklären und zu verstehen ist, liegt darin, dass gewisse Paradoxien dazugehören. So sagte zum Beispiel der berühmte Zen-Lehrer Shunryu Suzuki einmal: »So wie ihr seid, seid ihr perfekt, und trotzdem könntet ihr ein paar Verbesserungen gebrauchen.« Das ist so ähnlich wie die etwas paradoxen Ziele der Frau in dem Achtsamkeitsseminar, die ich weiter oben erwähnt habe: Was sie erlebte, sollte anders (oder besser) werden, aber sie wollte nichts in ihrem Leben ändern (oder loslassen).

      Damit sieht und umfasst Achtsamkeit zwei Welten gleichzeitig: das Universale und das Relative oder den Großen Geist und den Kleinen Geist. Einerseits ist das Ziel ein bedingungsloses Akzeptieren dessen, was Sie sind und was Sie erleben. Im großen universalen Plan der Dinge sind Sie so, wie Sie sind, perfekt. Und doch ist das noch etwas anderes als die relative Welt, und nur in der brauchen Sie ein paar Verbesserungen. Vom Standpunkt des Absoluten aus gesehen sind Sie tatsächlich vollkommen, einschließlich all Ihrer Kämpfe, Leiden, Sehnsüchte und Abneigungen. Und doch gehört es zum Kern der Achtsamkeitspraxis, vertraut zu werden mit den eigenen individuellen Mustern und Tendenzen, Ängsten und Enttäuschungen und auf sie einzugehen, um die alltäglichen Lebensprobleme transformieren zu können, statt sie zu ignorieren oder zu verdrängen.

      Jedes der sieben Kapitel in diesem Buch beinhaltet eine Anzahl von Übungen, Experimenten und Aktivitäten, die Ihnen helfen sollen, die sieben Prinzipien in Ihrem Leben zu verstehen und zu verwirklichen. Diese sieben Prinzipien bauen auch aufeinander auf, und ich habe sie in drei Gruppen gegliedert, die ich »Erforschen«, »Sich verbinden« und »Integrieren« genannt habe. Die ersten vier konzentrieren sich hauptsächlich auf die innere Arbeit der Selbsterforschung und Selbstwahrnehmung. Die nächsten beiden konzentrieren sich vor allem auf Beziehungen: Ihre Beziehungen zu anderen Menschen, zu Ihrer Arbeit und zu der Welt insgesamt. Und das siebte Prinzip konzentriert sich darauf, alles zu integrieren und zu verbinden. Letzten Endes arbeiten alle sieben Prinzipien zusammen, um Ihnen bei der Erkenntnis zu helfen, was jeweils im gegebenen Moment das Wichtigste ist, damit Sie die wirkungsvollste Entscheidung treffen können. Alles in allem stellen sie ein Handbuch oder Arbeitsbuch dar, wie Sie sich als Achtsamkeitsübende und als achtsame Führungspersönlichkeit entwickeln können.

      Es folgt nun eine kurze Zusammenfassung, um was es bei den sieben Prinzipien geht.

       ERFORSCHEN

      • DIE ARBEIT LIEBEN: Fangen Sie mit der Inspiration an, mit dem Wesentlichsten. Bestätigen und kultivieren Sie Inspiration – Ihre tiefsten, vom Herzen kommenden Intentionen.

      • DIE ARBEIT TUN: Pflegen Sie eine regelmäßige Meditations- und Achtsamkeitspraxis. Lernen Sie, bei der Arbeit und in allen Lebensbereichen angemessen zu reagieren.

      • KEIN EXPERTE SEIN WOLLEN: Lassen Sie den Gedanken los, dass Sie recht haben. Treten Sie ein in ein größeres Staunen, lassen Sie mehr Offenheit und Verletzlichkeit zu.

      • DEN EIGENEN SCHMERZ BERÜHREN: Gehen Sie dem Schmerz, der zum Menschsein gehört, nicht aus dem Weg. Verwandeln Sie Schmerz in Chancen und Lernprozesse.

       SICH VERBINDEN

      • DEN SCHMERZ DER ANDEREN BERÜHREN: Gehen Sie dem Schmerz der anderen nicht aus dem Weg. Seien Sie die lebendige Verkörperung einer tiefen Verbundenheit mit dem Menschsein und dem Leben.

      • SICH AUF ANDERE VERLASSEN: Geben Sie das trügerische Gefühl der Unabhängigkeit auf. Ermutigen Sie andere und lassen Sie sich von ihnen ermutigen, damit eine gesunde Gruppendynamik entsteht.


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