Mindful Leadership - die 7 Prinzipien achtsamer Führung. Marc Lesser

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Mindful Leadership - die 7 Prinzipien achtsamer Führung - Marc Lesser


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– lernen wir nicht nur zu erkennen, wie wir mit den Dingen fertig werden, sondern wie wir die wichtigsten Dinge mit dem geringsten Maß an Widerwillen oder unnötigem Kraftaufwand fertig bekommen. Wir erkennen, was wir beeinflussen können und was nicht, und handeln deshalb effizienter. Wir gehen tiefer auf andere ein und hören besser zu. Manchmal bedeutet Meditation, dass man erbittert um Veränderungen ringen muss, und manchmal bedeutet sie, dass man bedingungsloses Akzeptieren üben muss. Meditation lehrt Geschmeidigkeit und Anpassungsfähigkeit, Selbstvertrauen und Bescheidenheit. Und was vielleicht am wichtigsten ist: Sie macht uns das Herz leichter, hilft uns, Zynismus loszulassen, und zeigt uns, dass wir nicht abgeschnitten sind von uns selbst, von anderen Menschen, vom Leben insgesamt – und das sind wichtige Führungsqualitäten und Qualitäten im Leben überhaupt.

       Vermeidungsverhalten ist natürlich, schadet uns aber

      Manchmal kann Hinschauen und Fokussieren schmerzhaft sein, und was schmerzhaft ist, vermeiden wir gewöhnlich. Das ist eine natürliche Reaktion. Aber dieses Vermeidungsverhalten kann uns daran hindern, unsere Möglichkeiten auszuschöpfen, denn dazu müssen wir das Schmerzhafte benennen und transformieren. Vermeidungsverhalten ist oft ein Haupthindernis für Achtsamkeit, für achtsames Führen und für die Schaffung einer Organisationskultur, die auf gegenseitiger Unterstützung beruht.

      Wir müssen uns dafür entscheiden, hinzuschauen, die Augen aufzumachen und wach zu werden. Wenn wir das nicht tun und das Vermeidungsverhalten zur Gewohnheit wird, dann hören wir auf, uns mit ganzem Herzen auf uns selbst und das Leben einzulassen. Wir werden gefühllos, verschlafen das, was ist, und sehen nicht mehr klar. Dieses Thema ist nicht auf Mitarbeiterführung oder den Arbeitsplatz beschränkt. Es ist ein universales menschliches Problem, eines, das in uns als evolutionär entstandenen Wesen praktisch fest eingebaut ist: Wir können nicht alles gleichzeitig sehen, wir wenden uns instinktiv von dem ab, was Schmerz verursacht, und wir mögen Veränderungen nicht. Vermeidungsverhalten fühlt sich manchmal wie Selbsterhaltung an, aber tatsächlich ist es Selbstschädigung. Zu lernen, das direkt anzuschauen, was da ist, so gut es geht, auch dann, wenn wir es nicht so recht wollen, ist eine mächtige Fähigkeit, die uns herausfordert, verändert und unser Leben transformiert.

      Ich zum Beispiel halte mich für jemanden, der zu Anfang seines Lebens die meiste Zeit geschlafen hat. Ich wuchs in einer Vorstadt in New Jersey auf und lebte ein für meine Begriffe »normales« Leben. Ich hatte gute Noten, trieb Sport – Bowling, Golf, Football und Baseball. Ich sah stundenlang fern und arbeitete im Sommer als Caddy auf dem Golfplatz, als Lagerarbeiter in einem Holzlager oder in der Wäscherei eines örtlichen Krankenhauses. Was ich aß, war hauptsächlich abgepackt oder kam aus Dosen.

      Diese Stumpfheit, dieses Ignorieren, dieses Sich-Abwenden von allem, was unangenehm war, fing mit meiner Geburt an – meine Mutter wurde stark narkotisiert, als ich auf die Welt kam, damit sie möglichst wenig Schmerzen leiden musste – und setzte sich dann in der Schule fort, wo wir regelmäßig Atomalarm üben mussten (in Deckung gehen, sich zusammenkauern und den Kopf einziehen). Es setzte sich fort in meinen Besuchen im »Veterans Administration Hospital«, wo mein Vater wegen einer bipolaren Störung mit Schocks behandelt wurde; heute denke ich, dass er wahrscheinlich eine posttraumatische Belastungsstörung hatte. Mein Vater hatte im Zweiten Weltkrieg in Frankreich und Deutschland an der Front gekämpft, aber so wie meine Gefühle, Ziele und Zweifel fiel das in die Kategorie von Dingen, über die man nicht sprach.

      Als ich heranwuchs, wusste ich das noch nicht, aber es fühlte sich an wie zwischen zwei Welten: auf der einen Seite eine Welt des Isoliert-Seins, auf der anderen eine sich öffnende Welt gegenseitiger Verbundenheit; von einem Dasein im Tiefschlaf, bei dem ich mir des eigenen Schmerzes und des Schmerzes um mich herum nicht bewusst war, hin zu einer Welt intensiver Gefühle, der Tränen, der Trauer, der Freude und des Feierns. Von einer Welt, in der ich die Tiefe meiner Herzenswünsche ignorierte und so tat, als sei alles in Butter, hin zu einer Welt der Sehnsucht, des Kämpfens und des Liebens. »Die ganze Katastrophe« dieser verrückten, verworrenen Welt und die Anstrengungen, dem Ganzen einen Sinn abzugewinnen, lieben zu lernen.

      Heute spielt sich eine ähnliche Geschichte ab. Wir stehen zwischen zwei Welten, Achtsamkeit und Mindful Leadership sind so nötig wie nie zuvor. Ich denke natürlich, dass das immer schon so war, aber der historische Moment, an dem wir uns befinden, scheint in seiner Intensität und in dem, was auf dem Spiel steht, besonders brisant: Klimawandel, Atomwaffen, soziale Ungleichheit und Terrorismus stehen ganz oben auf der Liste. Große Volkswirtschaften, die Politik, das Gesundheitswesen werden umgekrempelt, Agrar- und Wassersysteme brechen zusammen und entstehen gleichzeitig wieder neu. Katalysator und transformierende Kraft ist dabei genau diese Fähigkeit – die Fähigkeit, den Autopilot-Modus, den Modus der Verdrängung abzuschalten und umzuschalten auf größere Aufmerksamkeit, Bewusstheit, ein waches Bewusstsein; die Fähigkeit, den eigenen Schmerz anzuerkennen, aber auch die Möglichkeit, diesen Schmerz zu transformieren – durch Hinschauen, Lauschen, Sich-nicht-Abwenden.

      Wir fangen an, wach zu werden für das, was ist, und für das, was möglich ist. Es ist nicht einfach. Sich bewusst zu sein – der Liebe, der Diskrepanzen, der unaufhaltsam vergehenden Zeit, der Tatsache, dass wir nicht ewig leben –, kann einem das Herz zerreißen. Gleichzeitig beflügelt mich die pure Tatsache, das Leben zu leben, beflügelt mich die Gesamtheit von Frust und Potenzial dieses Menschendaseins. Das ist es, worum es in diesem Buch und in den sieben Meditationsprinzipien geht: dass Sie Ihr Leben einschließlich aller Schmerzen und aller Möglichkeiten schätzen lernen, es voll und ganz sehen, akzeptieren und genießen.

       Die sieben Prinzipien von Mindful Leadership

      Daniel Golemans revolutionäres Buch Emotionale Intelligenz gab im Jahre 1995 den Anstoß für viele Unternehmen und Manager, sich mit der wichtigen Rolle emotionaler Fähigkeiten und Kompetenzen zu beschäftigen. Golemans Arbeit löste einen Sturm des Interesses an diesem Thema aus, wurde von Unternehmen auf der ganzen Welt schnell übernommen und in der Schulung von Führungskräften angewendet.

      Der Grund ist nicht schwer zu verstehen. Obwohl man emotionale Intelligenz nicht quantifizieren oder messen kann, wissen wir, dass sie lebenswichtig ist, und erkennen sie sofort, wenn wir ihr begegnen. Es gibt fünf zentrale Bereiche oder Kompetenzen, aus denen sich emotionale Intelligenz zusammensetzt, und es herrscht weitgehend (teilweise wissenschaftlich untermauerte) Einigkeit darüber, was es bringt, wenn diese Bereiche kultiviert werden:

      • SELBSTWAHRNEHMUNG: die eigenen innerlichen Befindlichkeiten, Präferenzen, Ressourcen und Intuitionen kennen.

      • SELBSTMANAGEMENT: Zwänge in Entscheidungen verwandeln; mit Impulsen, Ressourcen und Intuitionen umgehen.

      • MOTIVATION: wissen, was einem wichtig ist, sich an den eigenen Werten orientieren und wissen, wenn man nicht im Einklang mit den eigenen Werten steht; Widerstandskraft (Resilienz) kultivieren.

      • EMPATHIE: sich der Gefühle von anderen bewusst sein; Kultivieren von gegenseitiger Verbundenheit und Vertrauen.

      • SOZIALE KOMPETENZEN: kommunikative Fähigkeiten kultivieren, vor allem Zuhören, geschicktes Umgehen mit Konflikten und mitfühlende Führung.

      Hört sich alles hervorragend an. Wir haben das attraktive Porträt einer idealen Führungskraft vor uns. Viele prophezeiten damals, die Schulung in emotionaler Intelligenz werde die Arbeitswelt revolutionieren, weil sie genau die Art von positiver Unternehmenskultur schaffen werde, die wir laut Peter Drucker und anderen Experten und Expertinnen brauchen. Interessant ist nur: Obwohl sich Schulungsprogramme zu emotionaler Intelligenz in den USA und weltweit enorm verbreiteten, ist diese Revolution nie gekommen! Die Rolle von Führungskräften, das Arbeitsumfeld, die Mitarbeiterzufriedenheit: Sie erlebten keine Transformation.

      Zehn Jahre nach dem Erscheinen von Emotionale Intelligenz brachte Goleman ein Nachfolgewerk heraus: Working with Emotional Intelligence (»Mit emotionaler Intelligenz arbeiten«). Im Kapitel »Der Milliarden-Dollar-Irrtum« beschreibt er, was schiefgegangen war. Die Firmen hatten nämlich versucht, ihre Führungskräfte in emotionaler Intelligenz so auszubilden, als sei sie ein Fach wie jedes andere, also primär durch Vorträge und Lektüre. Sie vermittelten


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