Herausforderungen der Wirtschaftspolitik. Dirk Linowski

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Herausforderungen der Wirtschaftspolitik - Dirk Linowski


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HSBC (GB) 164 12 Nestlé (CH) 250

      Tab. 1.1.

      Die teuersten Unternehmen der Welt 2004 vs. 2014 (Quelle: FAZ[15])

      Insgesamt konstatieren wir innerhalb dieser 10 Jahre eine Bewegung von Industrie, Banken und Versicherungen sowie Rohstoffexploration hin zu IT, Pharma, Gesundheit und Nahrungsmitel, was uns nach den Betrachtungen zur Demografie noch weniger überraschen wird.

      Die Weichenstellung für den weltweiten Erfolg der US-Technologiefirmen erfolgte im Mutterland des Kapitalismus bereits in den späten 1990er Jahren3. Lediglich den chinesischen Internetfirmen Tencent und Alibaba und dem südkoreanischen Unternehmen Samsung gelang es zwischenzeitlich (?) – durch nationale Industriepolitik – in den vergangenen Jahren in die Phalanx der teuersten Unternehmen einzudringen (mehr dazu in Kapitel 6).

      1.3 Positive vs. Normative Theorie

      WirtschaftspolitikWirtschaftspolitik basiert auf ökonomischen Kriterien und Normen, die auf Werturteilen beruhen.

      Im Unterschied zu den Naturwissenschaften, den Ingenieurwissenschaften, der Mathematik und mit Abstrichen der Medizin, können Sie in den Sozialwissenschaften nicht einfach die Versuchseinstellungen variieren und zum Beispiel schauen und messen, was passiert (Konkreter: Wie werden Zielgrößen wie z.B. die Beschäftigung, Inflation, Staatsverschuldung etc. beeinflusst?), wenn Sie die Einkommensteuertarife absenken, die Körperschaftssteuer abschaffen und dafür die Mehrwertsteuer erhöhen. Daran ändert auch die Tatsache wenig, dass die Simulationstechnik, die „digitale Experimente“ mit Hilfe von Computern vornimmt, in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht hat. Was praktisch immer fehlt, ist eine reale Vergleichsgruppe. Wir können damit nur ahnen bzw. prognostizieren, welche Auswirkungen eine politische Maßnahme im Zeitverlauf haben wird.

      Tatsächlich hat die Anwendung von Methoden der mathematischen Statistik und Ökonometrie vor allem aufgrund gestiegener Computerrechenleistung in den beiden vergangenen Jahrzehnten stark an Bedeutung zugenommen, insbesondere dann, wenn es darum geht, Annahmen oder Politikansätze „zu beweisen“.

      Normative Wirtschaftspolitik wie FinanzwissenschaftFinanzwissenschaft beschäftigt sich mit dem anzustrebenden Zustand einer Volkswirtschaft. Sie basiert somit auf Werturteilen und damit (nicht nur in Demokratien) auf (vermuteten) Zielpräferenzen, die eine hinreichende Anzahl der Bürger bzw. Bewohner einer territorialen Einheit teilt.

      Die Aussage, dass ein MindestlohnMindestlohn wichtig ist, um ein selbstbestimmtes Dasein führen zu können, ist normativ. Verinnerlichen Sie auch hier, dass dominierende bzw. weitgehend akzeptierte gesellschaftliche Werte sich im Zeitverlauf verändern.

      Die positive WissenschaftFinanzwissenschaft beschreibt und untersucht Zusammenhänge, ohne Werturteile zu fällen. Beispielfragen lauten im obigen Zusammenhang: Wie wirken finanzpolitische Maßnahmen wie der MindestlohnMindestlohn auf die Einkommensverteilung, den Einkommensmedian, den Gini-Index, etc.?

      Bemerkung:

      Es gibt zum Thema Mindestlohn Abertausende von Studien und inzwischen auch mehr als eine Handvoll Metastudien. Der zu verallgemeinernde Erkenntnisgewinn ist beschränkt. Während etwa die Hälfte der Studien „nachweist“, dass ein Mindestlohn einen negativen Effekt auf die BeschäftigungBeschäftigung hat, wird diese Aussage in der verbleibenden Hälfte der Studien negiert. Je eine Hauptquelle pro „Richtung“ sind David Neumark und William Wascher „Minimum Wages and Employment: A Review of Evidence from the New Minimum Wage Research” vs. Dale Belman und Paul J. Wolfson „What does the Minimum Wage do?“

      Klar ist jedoch geworden: Den eindeutigen Einfluss eines Mindestlohnes gibt es nicht. So wird ein Unternehmen, wie durch das klassische Angebots- und Nachfragediagramm für den Arbeitsmarkt suggeriert, nicht notwendigerweise weniger Arbeit nachfragen, wenn der Preis der Arbeit steigt. Relevant sind ebenfalls die Arbeitseffizienz der Mitarbeiter, die Möglichkeit, die eigenen Kosten für hergestellte Güter bzw. Dienstleistungen an Kunden weiterzugeben u.v.m.

      Ergebnis „normativer Forschung“ ist üblicherweise ein Vorschlag. Hier ist sehr allgemein Vorsicht angebracht: Die vorschlagende Seite hat üblicherweise ein Interesse, ihre Pro-Argumente zu überzeichnen und Gegenargumente zu ignorieren bzw. zu diskreditieren. Das bedeutet nicht, dass es keinen intellektuellen Anstand wie in der guten alten Zeit (die übrigens nicht so gut war) mehr gibt, es genügt an dieser Stelle eine Erinnerung an die mehr als 2000 Jahre alte Frage „Cui bono?“, auf Deutsch „Wem nützt es?“, und der Hinweis, dass es in der Wirtschaft keine Monokausalität gibt. Zudem werden viele Gesetze, wie übrigens auch Autos (Stichwort Rückrufaktionen) oft schnell produziert und sie weisen somit leider ebenso oft handwerkliche Mängel auf.

      Wichtig ist in diesem Zusammenhang die enge Beziehung der WirtschaftspolitikWirtschaftspolitik zurFinanzwissenschaft Rechtswissenschaft, da diese den Rahmen vorgibt, „was erlaubt ist“. Denken Sie in diesem Zusammenhang zum Beispiel an das NetzdurchdringungsgesetzNetzdurchdringungsgesetz (NETZDG) und die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und machen Sie sich klar, dass rechtliche Aspekte bzw. Urteile die (Finanz-)PolitikFinanzpolitik leiten können.

      Der auf den ersten Blick erfolgversprechendste Weg, um herauszufinden, inwieweit Regierungshandeln die Bürger betrifft, ist selbige zu befragen. Das geschieht auch fast ständig; es werden im Stakkato Studien veröffentlicht, die aber oft Diametrales zu sagen scheinen. Dabei werden nicht selten Suggestivfragen gestellt.

      Wenn Menschen ihr Verhalten beschreiben, sagen bzw. schreiben sie noch lange nicht die Wahrheit. Beachten Sie, dass Umfragen bzw. deren Ergebnisse das Verhalten vieler Menschen wiederum beeinflussen. Die Konzeption von Interviews und psychologischen Tests sowie deren Auswertung erfordern somit nicht nur viel Wissen, sondern auch Vorsicht. Um wirtschaftliches Verhalten zu studieren, werden seit den 1990er Jahren verstärkt soziale Experimente verwendet: Aber auch diese haben Grenzen; Menschen wissen fast immer, dass sie an einem Experiment teilnehmen. So ist es praktisch dauerhaft unmöglich, echte Zufallsstichproben (englisch: random sample) zu erhalten.

      Exkurs: Ökonomie als Wissenschaft

      Für die historisch junge Disziplin Volkswirtschaftslehre gibt es eine fast unüberschaubare Anzahl von Definitionen oder Definitionsversuchen (genau wie für die „alte Religion“). Dies ist insoweit nicht überraschend, als die drei wichtigsten ökonomischen Denker Adam Smith und Karl Marx Philosophen waren und John Maynard Keynes aus der Mathematik kam.

      Eine Hauptrichtung der Volkswirtschaftslehre stellt auf sozialwissenschaftliche Aspekte ab, indem z.B. neben der Produktion ebenso auf die Verteilung Bezug genommen wird. Die in der Lehre an Hochschulen dominantere Strömung – jedenfalls für die Studenten, für die VWL nur ein Nebenfach ist – geht auf Lionel Robbins aus den frühen 1930er Jahren zurück: Ökonomie ist hier „die Wissenschaft, die das menschliche Handeln als Verhältnis zwischen Zwecken und knappen Mitteln, für die es alternative Verwendungen gibt, untersucht.“[16]Anders ausgedrückt: Ökonomie wird verkürzt auf knappe Ressourcen, die eingesetzt werden in dem Bestreben, a priori grenzenlose Begierden zu befriedigen. Beachten Sie, dass Argumentationen, die auf Knappheit beruhen, keiner Werturteile bedürfen.

      Die Volkswirtschaftslehre wird klassischerweise in die Teilgebiete Mikro- und Makroökonomie unterteilt. Eine alternative „Aufteilung“ der Volkswirtschaftslehre ist die in WirtschaftstheorieWirtschaftstheorie, WirtschaftspolitikWirtschaftspolitik und FinanzwissenschaftFinanzwissenschaft. An deutschen Hochschulen wird üblicherweise die Mikroökonomie zuerst gelehrt, bevor die Makroökonomie Gegenstand des Studiums wird. Der Begriff Makroökonomie ist historisch gesehen noch sehr jung; er wurde das erste Mal in den 1930er Jahren verwendet.

      Bemerkung:

      Es ist in der Tat immer eine Frage der Perspektive(n), wie sich einem Gegenstand wissenschaftlich genähert wird: Die Steuerwissenschaft


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