Herausforderungen der Wirtschaftspolitik. Dirk Linowski

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Herausforderungen der Wirtschaftspolitik - Dirk Linowski


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zu beteiligen. Sein Nachfolger Joe Biden denkt und handelt hier nicht anders. Trump lehnte – vor allem aus ökonomischen Gründen – ab, dass die USAUSA weiterhin die Rolle der (einzigen) Supermacht, die die Welt ordnet, ausfüllen. Dies korrespondiert mit einer prinzipiellen Ablehnung von „Demokratisierungsversuchen abroad“ und dem von den Demokraten verhinderten Versuch einer Neuausrichtung der US-amerikanischen Politik gegenüber Russland, um sich auf den „strategischen Rivalen“ ChinaChina konzentrieren zu können. Die erneute „Aufteilung“ in eine aus zwei Einflusszonen bestehende Welt ist wieder denkbar geworden. Erste einflussreiche Stimmen, wie z.B. der Springer-Aufsichtsratsvorsitzende Mathias Döpfner, fordern bereits, dass wir uns zwischen den USA und China (für die USA) entscheiden müssen.[4] Die Setzung von Technologiestandards (Stichwort Huawei) ist hier von zentraler Bedeutung (vgl. Kapitel 10 und 13).

      In Kulmination der genannten Punkte 1 bis 9 steht der Westen, wie er sich seit dem Ende des II. Weltkrieges darstellte und wie wir ihn kennen, zur Disposition.

      Das sehr lesenswerte und kontrovers diskutierte Buch des in Großbritannien lehrenden Historikers Christopher Clark „Die Schlafwandler“, das das „Hineinstolpern“ der europäischen Großmächte in den I. Weltkrieg äußerst detailliert beschreibt, wurde von seinem Autor 100 Jahre nach dessen Ausbruch sehr wohl mit Blick auf Analogien zu möglichen neuen globalen Krisen geschrieben (damit war nicht nur Europa, sondern ebenso Ost- und Südostasien gemeint).

      Die Beziehungen zwischen China und den meisten seiner Anrainerstaaten, insbesondere mit Japan (zu dem es keine echte Aussöhnung nach dem II. Weltkrieg gegeben hat), sind mit „angespannt“ zumeist noch freundlich beschrieben. Perception remains Reality. Während viele Nachbarn Chinas einem wirtschaftlich und militärisch starken China skeptisch gegenüberstehen, gibt es in China wiederum historisch begründete „Einkreisungsängste“ (vgl. Kissinger, 2012, Kapitel 1).

      Tatsächlich befinden wir uns heute, im Gegensatz zur Ausnahmesituation einer Bipolarität im sogenannten Kalten Krieg, der von ca. 1947 bis 1990 währte, in einer „unübersichtlichen“ Globalsituation (die zudem durch neue Methoden der Kommunikation und Überwachung gekennzeichnet ist), deren Entwicklung zu einer neuen Bipolarität zwar nicht zwingend, aber möglich ist. Mit anderen Worten: Geschichte wiederholt sich, wenn, nicht als Tragödie, sondern als Farce (frei nach Karl Marx in „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“).

      Kein europäischer Staat, von Russland einmal abgesehen, hat so viele Nationalstaaten als Nachbarn wie Deutschland, kein anderes europäisches Land erreicht auch nur annähernd die deutsche Wirtschaftskraft. Der historische „Fluch“ des jüngeren Deutschlands von der 2. Reichseinigung im Jahre 1871 bis zum Ende des II. Weltkriegs in Europa im Jahre 1945 war es, groß und wirtschaftlich stark in der Mitte Europas zu stehen, und dabei einerseits zu klein zu sein, um Europa dominieren zu können (als man das noch wollte!); dass andererseits aber ohne Deutschland „nichts in Europa ging“ und geht. Dieser „Fluch“ sollte mit der politischen und wirtschaftlichen Einbindung Deutschlands in die EU gelöst werden.

      Heute hat Deutschland mit ca. 83 Millionen von etwas über 500 Millionen Menschen in der Europäischen Union (inklusive Großbritannien) einen Anteil von etwa einem Sechstel der Gesamtbevölkerung (bzw. ca. einem Neuntel der Bevölkerung von Gesamteuropa), steht aber für mehr als ein Fünftel der Wirtschaftsleistung der EU. Während der Anteil der Industrie am BIPBIP in der EU im Jahre 2017 bei nur ca. 16% lag (Großbritannien und Frankreich noch deutlich darunter), waren es in Deutschland immer noch über 22%. Daran hat auch die seit 2018 andauernde Rezession der deutschen Automobilindustrie qualitativ (noch) nichts geändert. Dass dies so bleiben wird ist aber keineswegs klar. Die deutsche Industrie leidet gegenwärtig nicht nur an einem gesamtgesellschaftlichen Mangel an Interesse nicht nur junger Menschen für technische Berufe; sie wird gleichzeitig durch gestörte Lieferketten und den politisch befördeten technologischen Wandel hin zur E-Mobilität und alternativen Energien unter Druck gesetzt.

      Abb. 1.3:

      Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten 2007 vs. 2017 (Quelle: Bundesministerium der Wirtschaft[5])

      Der deutsche Anteil an der der EU-Industrieproduktion lag vor der Corona-Krise bei ca. 30% und bei ca. 6% der Weltindustrieproduktion. Keine andere große Volkswirtschaft – Stichwort Exportweltmeister2 – ist so mit dem Rest der Welt verwoben.

      Nicht nur in diesem Zusammenhang sei Ihnen die Abschiedsvorlesung von Hans-Werner Sinn aus dem Jahre 2015 sehr empfohlen, die Sie sich z.B. auf YouTube ansehen können.[6]

      Damit verbunden ist ein sowohl ökonomisches und soziologisches „Megathema“: der Einfluss der Niedrigzinsen der Europäischen ZentralbankEuropäische Zentralbank (EZB) und weiterer großer Nationalbanken wie der FedFed, der Bank of Japan und der Bank of England, sowie der People’s Bank of ChinaChina, auf unser individuelles Verhalten und auf die Investitionstätigkeit von Unternehmen und damit auch auf unser Gemeinwesen (s. auch Kapitel 6 und den Exkurs zu Kapitel 12).

      Dies betrifft nicht nur die Entwicklung der Vermögensverteilung, sondern ebenso die der Kapitalanlagen, es betrifft die AltersvorsorgeAltersvorsorge und auch die Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht. Die Nichtexistenz einer risikofreien Anlage in dem Sinne, dass die Nominalzinsen und die Realzinsen null oder sogar leicht negativ sind, treibt private wie geschäftliche Investoren nicht selten in Projekte, die bzw. deren assoziierte Risiken sie nicht verstehen.3

      Niedrige oder negative Zinsen begünstigen somit auch die Übernahme- und Fusionswelle bei Unternehmen; sie sind ebenso ein wesentlicher Grund für die schnelle Erholung der Aktienkurse nach dem „Corona-Einbruch“ im März 2020. Die Barreserven der größten (zumeist US-amerikanischen) Unternehmen betrugen Ende 2021 viele Hunderte Milliarden US-Dollar, wobei mangels Anlagealternativen der Druck zu Übernahmen – und damit zu Konzentration – massiv zunimmt. Gesellschaftlich relevante Beispiele waren die im Spätherbst 2015 (angekündigte aber schließlich gescheiterte) Übernahme von Allergan durch den US-amerikanischen Pharmariesen Pfizer, das Zusammengehen der Medienunternehmen Walt Disney mit der 21st Century Fox im Jahr 2017, die 2017 vollzogene Fusion von Dupont und Dow Chemical zum weltgrößten Chemieunternehmen sowie die Übernahme der Pharmafirma Celgene durch Bristol-Myers Squibb im Jahre 2019.

      Wenn in Relation zu Sachwerten und möglichen sinnvollen Investitionen zuviel GeldGeld vorhanden ist, „sucht dieses verzweifelt profitable Anlagemöglichkeiten.“ Dazu korrespondiert auch der massive Abzug von Finanzmitteln der entwickelten Staaten (bzw. deren Finanzinstitutionen) aus den sogenannten Emerging Markets zu Beginn der Finanzkrise, der Wiederanlage und dem erneuten Abzug im Zuge der Corona-Krise.

      Abbildung 1.4 verdeutlicht, dass unsere wichtigsten Handelspartner im Gegensatz zu den meisten europäischen Partnerstaaten nicht nur in Europa liegen. Wenn man von der EU als Ganzes abstrahiert, war China 2019 bereits das vierte Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner.4

      Während das lange heiß diskutierte Transatlantic Trade and Investment Partnership-Handelsabkommen (TTIP) auf absehbare Zeit erledigt zu sein scheint, bleibt es für Deutschland von besonderem Interesse, zu erahnen, welche Auswirkungen das Ende 2020 unterzeichnete Regional Comprehensive Economic Partnership-Abkommen (RECP) und eine mögliche Wiederbelebung des ebenfalls totgesagten Trans-Pacific-Partnership-Abkommen (TPP) haben können.

      Abb. 1.4:

      Exporte und Importe der wichtigsten Handelspartner Deutschlands 2019 in Mrd. Euro (Quelle: Statistisches Bundesamt[7])

      Tatsächlich sind die USA relativ gesehen gering in den WelthandelWelthandel integriert. Daran ändern auch die Militärexporte, die amerikanische Ölindustrie, weltbekannte und geschätzte Marken wie Microsoft, Apple, Google, Facebook, Coca Cola, Levi Strauss, Hollywood und Mickey Mouse und die Diskussion zum Außenhandelsüberschuss Chinas nichts. Die Summe von Importen und Exporten dividiert durch das BIPBIP betrug im Jahre 2017 lediglich 27,54% im Vergleich zu 86,53% für Deutschland bei einem Weltdurchschnitt von 58,02%. M.a.W.: Die USA können es sich bei


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