Herausforderungen der Wirtschaftspolitik. Dirk Linowski

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Herausforderungen der Wirtschaftspolitik - Dirk Linowski


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nachdem die Wahl vorbei ist.“[12]

      Wir – jeder von uns – haben per se die Angewohnheit, Wertungen zu treffen, ohne die Voraussetzungen zu hinterfragen. Interessante Ausführungen dazu und vieles mehr finden Sie im gut lesbaren Buch des einzigen Nichtökonomen, der bisher den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft erhalten hat: in Daniel Kahnemans „Schnelles Denken, langsames Denken“. Sehr verkürzt und salopper, frei nach dem englischen Philosophen John Locke ausgedrückt: Die wahren Verrückten sind diejenigen, die auf den falschen Voraussetzungen basierend die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.

      Im davor liegenden Bereich der WirtschaftstheorieWirtschaftstheorie sind es die Konstrukte des homo oeconomicus, der Rationalität, des Wettbewerbs und der Regulierung, die in der vorherrschenden volkswirtschaftlichen Lehrbuchliteratur zumeist quasi-axiomatischen Charakter besitzen (die Forschung ist hier zum Teil allerdings schon deutlich weiter).

      Die klassische Lehrbuchargumentation steht nicht nur im Widerspruch zu dem, was Sie täglich wirtschaftlich erleben. Ein intellektueller Vordenker der sogenannten Libertaristen, Peter Thiel, wird unter anderem derart zitiert: „Kreative MonopolMonopole ermöglichen neue Produkte, von denen alle profitieren. WettbewerbWettbewerb bedeutet keinen Profit, für niemanden.“ Weiter: Monopole haben „einen schlechten Ruf“ jedoch nur, „weil Wettbewerb eine Ideologie ist.“[13]

      Literaturtipp:

      Zur qualitativ gleichen Schlussfolgerung, wenngleich auf anderen Wegen, kommt der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger. Ausgangspunkt von Binswangers Überlegungen ist die Beobachtung, dass der Preismechanismus für (eine gewisse) Effizienz sorgt, wenn Markt und Wettbewerb zusammenfallen. Markt und Wettbewerb sind aber verschiedene Dinge, die sich keinesfalls bedingen. So gibt es im Sport zumeist Wettbewerb, aber keinen Markt und Kartelle oder Monopole kontrollieren einen Markt, auf dem kein Wettbewerb herrscht. In seinem Buch „Sinnlose Wettbewerbe: Warum wir immer mehr Unsinn produzieren“ aus dem Jahre 2010 legt Binswanger dar, dass gerade Kennzahlensysteme, die im Hochschulbereich und im Gesundheitswesen angewendet werden, zumeist das Gegenteil dessen bewirken, was sie tatsächlich bewirken sollen. Indem hoch qualifizierte Ärzte und Universitätsprofessoren permanent nachweisen müssen, dass sie erfolgreich tätig sind, werden sie nicht nur Teil einer BürokratieBürokratie, sondern sie haben vor allem weniger Zeit für ihre eigentliche Kerntätigkeit zur Verfügung. Aus der Tatsache, dass Teilaspekte von Qualität messbar sind, folgt nicht, dass Qualität als Ganzes messbar ist! Um zu entscheiden, ob etwas insgesamt gut ist oder nicht, gibt es zumeist nur ein „Gefühl“ (vgl. wiederum Erkenntnisse des altchinesischen Philosophen Menzius, auf die in Kapitel 13 kurz Bezug genommen wird).

      Binswanger verweist darauf, dass Albert Einstein heute nie mehr Professor hätte werden können (wie zahlreiche andere Geistesriesen in der Mathematik und Physik ebenso nicht): Er zeigt, dass der permanenten Kontrolltätigkeit bzw. der Kennziffernverwendung ein bedenkliches Menschenbild zugrunde liegt, das vereinfacht besagt, dass Menschen nur auf Zuckerbrot und Peitsche reagieren. Aus der Tatsache, dass vielleicht 5% oder 10% der Richter, Ärzte oder Lehrer faul sind, werden die verbleibenden 90% oder 95% von ihrer Organisation mit einem „mechanisierten Misstrauen“ konfrontiert, das oft die Freude an der Arbeit verdirbt. Intrinsische Motivation oder Freude kommt in diesem System nicht vor. Ohne Freude an der Arbeit sinkt aber die Qualität geistiger Arbeit.

      Letztlich wird mit Verweis auf Kennzahlensysteme versucht, persönliche Verantwortung zu reduzieren, da Entscheidungen, so falsch sie ex post gewesen waren, (pseudo-)objektiv begründet wurden. Gerade im Gesundheitssystem wurden Ziel (Menschen gesund machen) und Nebenbedingung (die Kosten dafür dürfen nicht aus dem Ruder laufen) bisweilen ins Groteske vertauscht. Karitative Dinge wie Blutspenden wurden durch bezahlte Blutspenden ersetzt, welche insgesamt durch eine schlechtere Blutqualität als zuvor charakterisiert waren usw., usw.

      Es ist eine Folge der unveränderlichen Grundprinzipien der Ökonomie, dass Industrien bzw. Produkte, die durch hohe Fixkosten (die zumeist und dann zum größten Teil Sunk CostsSunk Costs sind) und niedrige variable Kosten charakterisiert sind, zur Bildung von temporären Monopolen tendieren müssen. Dies kann u.a. hervorragend in den ersten beiden Kapiteln des vor mehr als 20 Jahren erschienen Buches „Information Rules“ von Hal Varian und Carl Shapiro nachgelesen werden.

      Eine Konsequenz dieser technologischen Entwicklung ist, dass einzelne Unternehmen finanziell und intellektuell (!) derart mächtig geworden sind, dass es selbst größeren Staaten schwerfällt, mit ihnen auf Augenhöhe zu verhandeln. Ende 2021 betrug die Marktkapitalisierung des auf 40 Werte erweiterten DAX’ ca. 2.000 Mrd. Euro und damit nicht einmal die Marktkapitalisierung von Apple oder Microsoft. Zudem machten diese beiden Unternehmen mit Amazon, Google und Facebook im wichtigsten US-Börsenindex S&P 500 ca. ein Viertel der gesamten US-Marktkapitalisierung aus.[14]

      Diese Entwicklung kam natürlich nicht aus dem Nichts. In Tabelle 1.1 werden die Börsenkapitalisierungen der teuersten Firmen weltweit im Jahr 2004 und im Jahr 2014 gegenübergestellt.

2004 2014
Börsenwert in Mrd. US-Dollar Börsenwert in Mrd. US-Dollar
1 General Electric (USA) 331 1 Apple (USA) 612
2 Microsoft (USA) 308 2 Exxon Mobil (USA) 425
3 Exxon Mobil (USA) 290 3 Google (USA) 390
4 Pfizer (USA) 262 4 Microsoft (USA) 370
5 Citigroup (USA) 240 5 Berkshire Hathaway (USA) 336
6 Wal-Mart (USA) 225 6 Johnson & Johnson (USA) 291
7 BP (GB) 193 7 Wells Fargo (USA) 268
8 AIG (USA) 186 8 General Electric (USA) 262
9 Intel (USA) 179 9 Royal Dutch Shell (NL) 262
10 Bank of America (USA) 173 10 Roche (CH) 252
11 Johnson & Johnson (USA 165 11 China Mobile (CN)
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