Herausforderungen der Wirtschaftspolitik. Dirk Linowski

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Herausforderungen der Wirtschaftspolitik - Dirk Linowski


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sich zumeist mit Respekt. Sie unterschieden sich, wenn man dem britisch-amerikanischen Ökonomen Roger E. Farmer, folgt, weniger als gemeinhin behauptet: Farmers Antwort auf die Frage Keynes oder Hayek? lautet Keynes und Hayek!14

      Zudem hat die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen im Westen in den vergangenen Jahrzehnten auf allen Ebenen rapide abgenommen. Niall Ferguson, einer der renommiertesten lebenden westlichen Historiker, sieht darin einen wesentlichen Grund für die im Titel seines im Jahr 2012 veröffentlichten Buches „Der Niedergang des Westens“ ausgedrückte These. Dies betrifft Eltern, die die Schulen als verantwortlich an allem ihren Nachwuchs betreffenden Übel sehen, Manager, die hohe Gehälter und Abfindungen kassieren, aber für Fehlentwicklungen in ihren Unternehmen nicht zuständig sind, u.v.m. Auf die deutsche Bundespolitik übertragen bedeutet das, dass „unangenehme“ Entscheidungen über Jahrzehnte an das Bundesverfassungsgericht und die Europäische ZentralbankEuropäische Zentralbank „abgeschoben“ wurden.

      Zentrale Thesen

      John Maynard Keynes, dem wir in diesem Buch noch des Öfteren begegnen werden, wird das Bonmot „Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung. Und was machen Sie?“ zugeschrieben. In dem Ihnen vorliegenden Buch wird die zentrale These verfochten, dass notwendige Voraussetzungen für eine insgesamt hohe gesellschaftliche „Lebensqualität“ in einer komplexen Gesellschaft, die auf einem hohen Grad an Arbeitsteilung beruht, eine hohe allgemeine BildungBildung der Bevölkerung, nicht zu große Ungleichheit in Vermögen und Einkommen und die Fähigkeit, Fehler nicht nur zu erkennen, sondern zu korrigieren, sind. Hier können und müssen wir in Zukunft mehr von anderen Ländern lernen, und das betrifft nicht nur Dänemark oder die Schweiz, sondern ebenso China mit seinem konkurrierenden Gesellschaftsmodell. Verkomplizierend kommt heute hinzu, dass es auf Grund der fortgeschrittenen Spezialisierung in jedem Teilfachgebiet nur wenige echte Experten gibt, die dann auch noch zum Teil deutlich unterschiedliche Gedanken und Empfehlungen entwickeln. Denken Sie hier z.B. an die beiden Professoren der Virologie Christian Drosten und Alexander Kekulé, die ab Februar 2020 mehrere Monate lang quasi omnipräsent in deutschen Talkshows und Broadcasts waren und die zwar oft, aber nicht immer zu den gleichen Schlussfolgerungen bzw. Interpretationen kamen. Stellen Sie sich dann vor, in der Situation der Bundeskanzlerin oder des Gesundheitsministers zu sein, und rasch Entscheidungen treffen zu müssen. Folgen Sie Professor Kekulé oder Professor Drosten? Oder gar dem Chefepidemiologen der schwedischen Gesundheitsbehörde Anders Tegnell, der eine qualitativ andere, offenere Strategie zur Bewältigung der Corona-Krise empfahl? Ausführungen zu den beiden fundamentalen Fehlern, das Falsche zu tun oder das Richtige nicht zu tun, finden Sie im Exkurs zu Kapitel 2 und in Kapitel 8.

      Praktisch kommt es mitunter noch schlimmer. Das folgende Fallbeispiel, mit dem Managementstudenten zu Beginn Ihrer Ausbildung konfrontiert werden, illustriert drastisch das Dilemma, dass persönliches Tun unvermeidbare Nachteile für Dritte nach sich ziehen kann bzw. ziehen muss. Hier in Kurzfassung eine der zahlreichen Versionen des Problems:

      Sie fahren mit dem Auto schnell (ob zu schnell oder nicht ist grundsätzlich völlig egal), als Ihnen plötzlich ein Kind, das seinem Ball hinterherläuft, vor Ihr Auto läuft. Bremsen ist keine Option, Sie haben nur die Alternative, scharf nach links auf den gegenüberliegenden Gehweg zu ziehen, um das Leben des Kindes zu retten. Dann überfahren Sie aber ein älteres Ehepaar, das dort Spazieren geht. Es würde Ihnen auch nicht helfen, über weiteres Wissen zu dem Ehepaar zu verfügen, z.B. dass es zwei Kinder, deren Eltern verstorben sind, betreut, oder selbst schwer krank ist … Egal wie Sie es drehen und wenden: Es gibt keine richtige Entscheidung! Weitergehende Überlegungen zu ethischen Fragen folgen in Abschnitt 1.2.

      Stellen Sie sich nun unabhängig von der Corona-Krise vor, Sie wären Mitglied des Deutschen Bundestages und sollten sich (rasch!) eine Meinung zum Atomausstieg, zur Gentechnologie, zum Grexit und/oder Brexit, zu den Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien oder den zukünftigen Beziehungen zu Russland bilden und danach mit Ja oder Nein über von der Regierung vorgeschlagene Entwürfe abstimmen. Ihre Meinung wird dann anschließend in ein Votum übersetzt, welches wiederum Auswirkungen auf die Geschicke Deutschlands, der EU und (vermutlich auch mindestens kurzfristig) auf Ihr eigenes berufliches Fortkommen nehmen kann.

      Das Beste, was Ihnen (bzw. dem Staat) in dieser fiktiven Situation passieren kann, sind hoch qualifizierte loyale Berater oder Staatsangestellte (die natürlich auch Fehler machen können), auf die Sie sich verlassen können. Völlig unabhängige Berater gibt es natürlich nicht, aber das gut bezahlte und geachtete Berufsbeamtentum ist sicherlich eine „vernünftige“ Art und Weise, Berater und Administratoren, die „nicht zu abhängig sind“, an einen Staat und damit an ein Gemeinwesen zu binden. Diese Aussagen können Sie übrigens bereits aus der Gedankenwelt des zweifellos einflussreichsten Philosophen der Menschheitsgeschichte ableiten, dem vor ca. 2500 Jahren lebenden Konfuzius. Wir werden Konfuzius nicht nur in Kapitel 13, das China gewidmet ist, wiederbegegnen.

      Ein Plädoyer für das Studium der Wirtschaftsgeschichte

      Aus der Mikroperspektive stellt sich die Betrachtung von Wendepunkten in der (Wirtschafts-)Geschichte äußerst schwierig dar. Während die Just-in-Time Produktion bereits in den 1970er Jahren von Toyota (als Toyota nur in Japan produzierte) eingeführt wurde, scheint mit dem Auftauchen von Computern, die leistungsfähig genug waren, um größere praktische Probleme zu lösen, in den 1980er Jahren eine echte technologische Wende eingeleitet worden zu sein. Hier begann also, lange vor dem inflationären Gebrauch des Wortes disruptiv, Quantität in Qualität umzuschlagen.

      Mathematische Laien können kaum eine Vorstellung von der „Mächtigkeit“ vieler realer Probleme haben, die erst durch leistungsstarke Computer (zumeist leicht und auch noch schnell) lösbar geworden sind. So wurde Harry Markowitz für seine Arbeiten zur Portfolio Selection (auf deutsch in etwa optimale Kombination von risikobehafteten Anlagen) aus dem Jahre 1952 im Jahre 1990 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft geehrt. Bis zum Auftauchen entsprechender Rechentechnik war seine Arbeit weitgehend „nette Spielerei“, erst in den 1980er Jahren konnte sie praktisch angewandt bzw. umgesetzt und damit überprüft werden. Anfang der 2000er Jahre führte eine Arbeit zur Optimierung der Raum- und Stundenplanung an großen Gymnasien noch zu einem Doktorgrad der Wirtschaftswissenschaft an der FU Berlin. Eine Lösung dieses Problems sollte heute gut in einer Bachelorarbeit hergeleitet werden können.

      Nachdenken darüber, ob und inwieweit es Zusammenhänge zwischen dem Zusammenbruch der Sowjetunion und damit des Ostblocks und der Technologierevolution, die bereits einige Jahre zuvor im Westen eingeleitet wurde und die Ende der 1980er Jahre rasant Fahrt aufnahm (Stichwort Moore’s Law15), kann nicht Gegenstand der hiesigen Erörterungen sein. Tatsache war aber, dass der Zugang zu Millionen neuen potenziellen Kunden und neuen natürlichen Ressourcen bei dem gleichzeitigen Technologiesprung der Rechenleistung für westliche Firmen zeitlich zusammenfielen. In diese Zeit fällt die sprunghafte Entwicklung weltweiter Lieferketten. (Vorhergehende erfolgreiche Versuche internationaler Arbeitsteilung im größeren Maßstab datieren wiederum auf die frühen 1970er Jahre, als Singapur, Hongkong und Taiwan billige Kleidung und Spielzeuge nach Nordamerika und Westeuropa zu exportieren begannen. Zu genau dieser Zeit kamen übrigens die ersten Containerschiffe in Gebrauch. Mehr dazu in Kapitel 6.)

      Jedes (wirtschaftswissenschaftliche) Modell ist eine vereinfachte Darstellung der Realität, das im Allgemeinen entweder darauf zielt, Vergangenes zu erklären und/oder Zukünftiges (hinreichend gut) zu prognostieren. Wir werden die Entwicklung des Welthandels in Verbindung mit den Konzepten der Opportunitätskosten und der komparativen Vorteile in Kapitel 5 und im Exkurs zu Kapitel 8 mit Hilfe des Ricardo-Modells des internationalen Handels diskutieren, eines Modells, das uns, weil es so einfach ist, erlaubt, den Wald vor lauter Bäumen zu sehen. Es wird uns bei der Gewinnung zahlreicher qualitativer Einsichten helfen; warum wir Schuhe tragen, die in Bangladesch gefertigt wurden, wie es zum Rust Belt in den USA gekommen ist und auch warum es in Osteuropa zur Zeit viel zu wenige Ärzte gibt. In diesem Zusammenhang werden wir uns auch mit den vier Grundfreiheiten der EU, dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen beschäftigen müssen.

      Über fünf Jahrzehnte war die Globalisierung, verstärkt durch den Eintritt ChinaChinas in die Weltwirtschaft, der Treiber des Welthandels. „Billiglohnländer“


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