Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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      Al­les, was den Gu­ten böse heisst, muss zu­sam­men kom­men, dass Eine Wahr­heit ge­bo­ren wer­de: oh mei­ne Brü­der, seid ihr auch böse ge­nug zu die­ser Wahr­heit?

      Das ver­we­ge­ne Wa­gen, das lan­ge Miss­trau­en, das grau­sa­me Nein, der Über­druss, das Schnei­den in’s Le­ben­di­ge – wie sel­ten kommt das zu­sam­men! Aus sol­chem Sa­men aber wird Wahr­heit ge­zeugt!

      Ne­ben dem bö­sen Ge­wis­sen wuchs bis­her al­les Wis­sen! Zerbrecht, zerbrecht mir, ihr Er­ken­nen­den, die al­ten Ta­feln!

      8

      Wenn das Was­ser Bal­ken hat, wenn Ste­ge und Ge­län­der über den Fluss sprin­gen: wahr­lich, da fin­det Kei­ner Glau­ben, der da spricht: »Al­les ist im Fluss.«

      Son­dern sel­ber die Töl­pel wi­der­spre­chen ihm. »Wie? sa­gen die Töl­pel, Al­les wäre im Flus­se? Bal­ken und Ge­län­der sind doch über dem Flus­se!«

      »Ü­ber dem Flus­se ist Al­les fest, alle die Wert­he der Din­ge, die Brücken, Be­grif­fe, al­les »Gut« und »Böse«: das ist Al­les fest!« –

      Kommt gar der har­te Win­ter, der Fluss-Thier­bän­di­ger: dann ler­nen auch die Wit­zigs­ten Miss­trau­en; und, wahr­lich, nicht nur die Töl­pel spre­chen dann: »Soll­te nicht Al­les – stil­le stehn

      »Im Grun­de steht Al­les stil­le« –, das ist eine rech­te Win­ter-Leh­re, ein gut Ding für un­frucht­ba­re Zeit, ein gu­ter Trost für Win­ter­schlä­fer und Ofen­ho­cker.

      »Im Grund steht Al­les still« –: da­ge­gen aber pre­digt der Thau­wind!

      Der Thau­wind, ein Stier, der kein pflü­gen­der Stier ist, – ein wüthen­der Stier, ein Zer­stö­rer, der mit zor­ni­gen Hör­nern Eis bricht! Eis aber – – bricht Ste­ge!

      Oh mei­ne Brü­der, ist jetz­t nicht Al­les im Flus­se? Sind nicht alle Ge­län­der und Ste­ge in’s Was­ser ge­fal­len? Wer hiel­te sich noch an »Gut« und »Böse«?

      »Wehe uns! Heil uns! Der Thau­wind weht!« – Also pre­digt mir, oh mei­ne Brü­der, durch alle Gas­sen!

      9

      Es giebt einen al­ten Wahn, der heisst Gut und Böse. Um Wahr­sa­ger und Stern­deu­ter dreh­te sich bis­her das Rad die­ses Wahns.

      Einst glaub­te man an Wahr­sa­ger und Stern­deu­ter: und dar­um glaub­te man »Al­les ist Schick­sal: du sollst, denn du musst!«

      Dann wie­der miss­trau­te man al­len Wahr­sa­gern und Stern­deu­tern: und da­rum glaub­te man »Al­les ist Frei­heit: du kannst, denn du willst!«

      Oh mei­ne Brü­der, über Ster­ne und Zu­kunft ist bis­her nur ge­wähnt, nicht ge­wusst wor­den: und da­rum ist über Gut und Böse bis­her nur ge­wähnt, nicht ge­wusst wor­den!

      10

      »Du sollst nicht rau­ben! Du sollst nicht todt­schla­gen!« – sol­che Wor­te hiess man einst hei­lig; vor ih­nen beug­te man Knie und Köp­fe und zog die Schu­he aus.

      Aber ich fra­ge euch: wo gab es je bes­se­re Räu­ber und Todt­schlä­ger in der Welt, als es sol­che hei­li­ge Wor­te wa­ren?

      Ist in al­lem Le­ben sel­ber nicht – Rau­ben und Todt­schla­gen? Und dass sol­che Wor­te hei­lig hies­sen, wur­de da­mit die Wahr­heit sel­ber nicht – todt­ge­schla­gen?

      Oder war es eine Pre­digt des To­des, dass hei­lig hiess, was al­lem Le­ben wi­der­sprach und wi­der­rieth? – Oh mei­ne Brü­der, zerbrecht, zerbrecht mir die al­ten ta­feln!

      11

      Diess ist mein Mit­leid mit al­lem Ver­gan­ge­nen, dass ich sehe: es ist preis­ge­ge­ben, –

      – der Gna­de, dem Geis­te, dem Wahn­sin­ne je­des Ge­schlech­tes preis­ge­ge­ben, das kommt und Al­les, was war, zu sei­ner Brücke um­deu­tet!

      Ein gros­ser Ge­walt-Herr könn­te kom­men, ein ge­witz­ter Un­hold, der mit sei­ner Gna­de und Un­gna­de al­les Ver­gan­ge­ne zwän­ge und zwäng­te: bis es ihm Brücke wür­de und Vor­zei­chen und He­rold und Hah­nen­schrei.

      Diess aber ist die and­re Ge­fahr und mein andres Mit­lei­den: – wer vom Pö­bel ist, des­sen Ge­den­ken geht zu­rück bis zum Gross­va­ter, – mit dem Gross­va­ter aber hört die Zeit auf.

      Also ist al­les Ver­gan­ge­ne preis­ge­ge­ben: denn es könn­te ein­mal kom­men, dass der Pö­bel Herr wür­de und in seich­ten Ge­wäs­sern alle Zeit er­trän­ke.

      Da­rum, oh mei­ne Brü­der, be­darf es ei­nes neu­en Adels, der al­lem Pö­bel und al­lem Ge­walt-Her­ri­schen Wi­der­sa­cher ist und auf neue Ta­feln neu das Wort schreibt »edel«.

      Vie­ler Ed­len näm­lich be­darf es und vie­ler­lei Ed­len, dass es Adel ge­be! Oder, wie ich einst im Gleich­niss sprach: »Das eben ist Gött­lich­keit, dass es Göt­ter, aber kei­nen Gott giebt!«

      12

      Oh mei­ne Brü­der, ich wei­he und wei­se euch zu ei­nem neu­en Adel: ihr sollt mir Zeu­ger und Züch­ter wer­den und Sä­e­män­ner der Zu­kunft, –

      – wahr­lich, nicht zu ei­nem Adel, den ihr kau­fen könn­tet gleich den Krä­mern und mit Krä­mer-Gol­de: denn we­nig Werth hat Al­les, was sei­nen Preis hat.

      Nicht, wo­her ihr kommt, ma­che euch für­der­hin eure Ehre, son­dern wo­hin ihr geht! Euer Wil­le und euer Fuss, der über euch sel­ber hin­aus will, – das ma­che eure neue Ehre!

      Wahr­lich nicht, dass ihr ei­nem Fürs­ten ge­dient habt – was liegt noch an Fürs­ten! – oder dem, was steht, zum Boll­werk wur­det, dass es fes­ter stün­de!

      Nicht, dass euer Ge­schlecht an Hö­fen hö­fisch wur­de, und ihr lern­tet, bunt, ei­nem Fla­min­go ähn­lich, lan­ge Stun­den in fla­chen Tei­chen stehn.

      – Denn Ste­hen- kön­nen ist ein Ver­dienst bei Höf­lin­gen; und alle Höf­lin­ge glau­ben, zur Se­lig­keit nach dem Tode ge­hö­re – Sit­zen- dür­fen! –

      Nicht auch, dass ein Geist, den sie hei­lig nen­nen, eure Vor­fah­ren in ge­lob­te Län­der führ­te, die ich nicht lobe: denn wo der schlimms­te al­ler Bäu­me wuchs, das Kreuz, – an dem Lan­de ist Nichts zu lo­ben! –

      – und wahr­lich, wo­hin die­ser »hei­li­ge Geist« auch sei­ne Rit­ter führ­te, im­mer lie­fen bei sol­chen Zü­gen – Zie­gen und Gän­se und Kreuz- und Qu­er­köp­fe vor­an! –

      Oh mei­ne Brü­der, nicht zu­rück soll euer Adel schau­en, son­dern hin­aus! Ver­trie­be­ne sollt ihr sein aus al­len Va­ter- und Ur­vä­ter­län­dern!

      Eu­rer Kin­der Land sollt ihr lie­ben: die­se Lie­be sei euer neu­er Adel, – das un­ent­deck­te, im feins­ten Mee­re! Nach ihm heis­se ich eure Se­gel su­chen und su­chen!

      An eu­ren Kin­dern sollt ihr gut­ma­chen, dass ihr eu­rer Vä­ter Kin­der seid: al­les Ver­gan­ge­ne sollt ihr so er­lö­sen! Die­se neue Ta­fel stel­le ich über euch!


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