Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
Читать онлайн книгу.weiß es net«, sagte sie.
»Wie, du hast es noch gar nicht gelesen?« fragten die Freundinnen, wie aus einem Mund.
»Zu blöd«, murmelte Sandra. »Ich hab’s einfach vergessen.«
Sie drehte sich um und ging ins Haus zurück. Der Brief steckte natürlich immer noch in der Tasche des Morgenmantels. Das Madel nahm den Umschlag und las den Absender darauf.
Es war der Name eines Rechtsanwalt!
Du liebe Güte, was habe ich denn mit einem Rechtsanwalt zu tun? durchfuhr es die Einundzwanzigjährige.
Aufgeregt öffnete sie das Kuvert und zog das Schreiben heraus. Sie überflog es, stutzte und las noch einmal.
»Das gibt’s doch gar net!« entfuhr es ihr.
Sie zwang sich, das Schreiben erneut zu lesen, diesmal langsam und Zeile für Zeile, doch immer noch konnte sie es nicht fassen, was sie da las – sie wurde gebeten, sich in einer Erbschaftsangelegenheit in der Anwaltskanzlei zu melden…
*
Montagmorgen. Sandra hatte das ganze Wochenende überlegt, wer sie wohl in seinem Testament bedacht haben könnte. Aber so sehr sie sich auch den Kopf zerbrach, es wollte ihr niemand einfallen. Ihre Eltern lebten nicht mehr, und außer ein paar Verwandten, von denen sie in all den Jahren nichts mehr gehört hatte, gab es keine näheren Angehörige, von denen sie etwas wußte.
Jetzt war sie auf dem Weg in die Anwaltskanzlei, um die Angelegenheit zu klären. Möglicherweise war es ja auch ein Namensverwechslung, und der Brief war gar nicht für sie bestimmt gewesen.
Das Büro befand sich in der Bäckerstraße, in der Nähe des Markplatzes. Sandra wurde von einer freundlichen Sekretärin empfangen.
»Dr. Weber wird gleich Zeit für Sie haben«, sagte die Frau und führte die Besucherin in einen Raum, der mit Schreibtisch, Sitzecke und einer Unmenge von Aktenordnern ausgestattet war.
Die Studentin setzte sich in einen der Sessel und wartete ab. Schon nach wenigen Minuten erschien der Rechtsanwalt und Notar, ein älterer, sehr ergrauter Herr.
»Frau Haller, nicht wahr?« begrüßte er sie. »Ich bin Dr. Weber. Schön, daß Sie so rasch herkommen konnten.«
Er setzte sich zu ihr.
»Worum geht es eigentlich?« erkundigte sich Sandra. »In dem Scheiben steht etwas von irgendeiner Erbschaftsangelegenheit, ich weiß gar nicht…«
»Warten Sie«, sagte der Anwalt. »Ich habe den Vorgang hier auf meinem Tisch liegen.«
Er holte einen Ordner und schlug ihn auf.
»Sagt Ihnen der Name Waltraud Brunnengräber etwas?« fragte er, während er sich wieder setzte.
»Brunnengräber?«
Sandra dachte angestrengt nach. Ja, da war etwas, ganz tief unten in ihrem Gedächtnis verborgen. Tante Waltraud, die irgendwo einen Bauernhof besaß. Aber war die net schon ganz lange tot…?
»Nun ja«, meinte der Anwalt. »Ihre Tante ist vor etwa einem halben Jahr gestorben, und da sie keine Nachkommen hatte, hat sie Sie in ihr Testament als Erbin eingesetzt.«
Sandra schluckte unwillkürlich. Ich habe wirklich geerbt? dachte sie und konnte es noch immer nicht fassen.
»Ihre Frau Tante hinterläßt Ihnen den Hof, mit allem lebenden und toten Inventar, sowie mehrere Morgen Land. Das ganze Anwesen befindet sich in der Nähe von St. Johann.«
St. Johann – langsam dämmerte es ihr. Sandra erinnerte sich, als kleines Kind öfter mal auf dem Hof gewesen zu sein. Aber das schien eine Ewigkeit zurückzuliegen. Waren da nicht auch Pferde gewesen?
»Ponys«, erklärte Dr. Weber. »Das Anwesen ist ein Ponyhof. Die Tiere werden dort gezüchtet, und soviel ich den Unterlagen entnehmen kann, ist das ganze auch so eine Art Ferienpension.«
Der Anwalt beugte sich vor und musterte das junge Madel eindringlich.
»Meine liebe Frau Haller«, sagte er. »Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß es mit dem Hof nicht zum besten steht. Es gibt erhebliche Lasten, finanzieller Art, und ich weiß nicht, ob Sie nicht besser beraten sind, wenn Sie sich dazu entschließen könnten, den Hof zu verkaufen.«
Er lächelte und hob dabei die Hände.
»Sie sind jung, Sie studieren, nicht wahr. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie ihr ganzes Leben auf einem Bauernhof in den bayerischen Alpen verbringen wollen.«
Sandra war völlig ratlos. Sie wußte beim besten Willen nicht, wie sie sich entscheiden sollte.
»Natürlich müssen Sie die Erbschaft erst einmal annehmen, bevor Sie sich zu diesem Schritt entscheiden. Selbstverständlich können Sie diese allerdings auch ausschlagen. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.«
*
»Grüß’ dich, Resi«, grüßte Sebastian Trenker die alte Magd vom Ponyhof. »Ich wollt’ mich mal wieder erkundigen, wie’s euch so geht.«
Seit dem Tod der Besitzerin war das Anwesen verwaist. Der Nachlaßverwalter war immer noch bemüht, die Anschrift der Nichte herauszufinden, die Waltraud Brunnengräber als Alleinerbin in ihr Testament eingesetzt hatte.
Resi Angermeier, die seit mehr als vierzig Jahren auf dem Hof war, freute sich, den Geistlichen zu sehen.
»Das ist aber schön, Hochwürden, daß Sie sich nach uns erkundigen.«
Sie schaute über den Hof, auf die Weiden dahinter. Es sah alles ein wenig heruntergekommen aus.
»Der Hubert wird wohl draußen bei den Ponys sein«, sagte sie.
»Wie viele Tiere sind’s denn eigentlich?«
»Zwölf«, antwortete die Magd. »Aber wenn net bald die Erbin auftaucht, dann seh’ ich schwarz für den Hof und die Tiere.«
»Hat sich der Nachlaßverwalter denn noch net gemeldet?«
»Doch. Letzte Woch’ war er hier. Er hat jetzt einen Anwalt aus Nürnberg beauftragt, nach dem Fräulein zu suchen. Angeblich soll’s dort studieren.«
Sebastian Trenker machte ein nachdenkliches Gesicht. Resi schien zu wissen, was er dachte.
»Gell, Hochwürden, Sie denken dasselbe wie ich – so ein junges Madel wird den Hof kaum behalten wollen. Noch dazu, wo er in so einem Zustand ist. Überall in den Ställen klaffen Löcher, das Dach vom Haus müßte neu gedeckt werden, und Geld ist auch keins mehr da. Und das Madel studiert – da wird’s kaum Lust haben, hier einen heruntergekommenen Ponyhof zu leiten.«
Der Pfarrer schmunzelte, als er die klaren Worte hörte. Resi Angermeier war dafür bekannt, daß sie sagte, was sie dachte.
»Allerdings tät’s mir schon leid, wenn ich nach all den Jahren, die ich nun hier bin, irgendwo andershin sollte«, fuhr die alte Frau fort. »Ich hab’ immer gedacht, daß ich eines Tag’s hier sterben würd’.«
»Na, na, bis dahin ist’s hoffentlich noch weit«, meinte Sebastian. »Und wer weiß – vielleicht ist es ja ein ganz patentes Madel, das genau weiß, was es an solch einem Hof hat. Er war ja mal ein Schmuckstück und könnt’s wieder werden. Wart’ erst einmal ab, ob der Anwalt in Nürnberg etwas herausfindet.«
Wann immer es sich einrichten ließ, verzichtete der Seelsorger von St. Johann darauf, sein Auto zu benutzen. Entweder ging er zu Fuß, oder er fuhr mit dem Rad, so wie heute. Auf dem Rückweg vom Ponyhof ins Dorf, war er mit seinen Gedanken bei der alten Resi und dem Hubert Bachmann, der wohl schon genauso lange in den Diensten der Verstorbenen gestanden hatte wie die Magd. Natürlich würde es für die beiden alten Leute schwer werden, irgendwo neu anzufangen, sollte sich die Erbin entschließen, den Hof gleich wieder zu verkaufen. Sebastian konnte nur inständig hoffen, daß die junge Frau – sollte sie gefunden werden – den Hof behielt.
Das würde nicht leicht für sie werden. Wie