Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
Читать онлайн книгу.»Heuer will ich die kleine Wand in der Wintermaid aufsteigen.«
Bis zum Höllenbruch unterhielten sich die beiden Männer, so gut es eben ging. Sebastian erkundigte sich nach der Familie und freute sich, zu hören, daß alle wohlauf waren.
»So, da wären wir.«
Anton Wirth hielt den Traktor an, und der Pfarrer sprang herunter.
»Dank’ dir recht schön«, winkte er zum Abschied und ging den Weg entlang, der zum Fuße des Bergmassivs führte.
*
Sebastian Trenker war mit sich und der Welt zufrieden. Hoch oben in der Südwand der Wintermaid hing der Geistliche in einem Seil und zog sich langsam, aber stetig seinem Ziel näher.
Es war endlich wieder einmal an der Zeit gewesen, eine richtige Bergtour zu unternehmen, nicht nur eine Wanderung. In wetterfeste Kleidung gehüllt, den Rucksack auf dem Rücken, und das Seil um den Körper geschlungen, so hatte er sich auf den Weg gemacht. Es war nur eine kleine Tour, die der Geistliche heute machen wollte. Für eine größere Besteigung, die auch schwieriger war, hätte er sich einen zuverlässigen Bergkameraden mitgenommen.
Weit über seinem Kopf schlug er den letzten Haken in die Wand, ließ den Karabiner einschnappen und zog sich das letzte Stück hinauf.
Mit einem lauten Jauchzer begrüßte er den heranbrechenden Tag. Sebastian gönnte sich eine kleine Atempause, dann ließ er sich ein zweites Frühstück schmecken. Dabei überdachte er die Ereignisse der vergangenen Tage und lächelte.
Die Affäre um den alten Hofthaler und seine Mühle war glücklich überstanden, wenngleich es doch erschütternd war, festzustellen, zu welchen Gemeinheiten Menschen fähig waren, wenn es darum ging, einem anderen das Geld aus der Tasche zu ziehen, oder irgendwie zu übervorteilen.
Ganz besonders freute sich Sebastian über Marias Schicksal. Nach ihrem ersten Zusammentreffen auf dem Friedhof, hätte der Geistliche diese glückliche Wendung nicht für möglich gehalten. Um so dankbarer war er, daß er mit dazu hatte beitragen können. Es war ein wunderbares Gefühl, einem Menschen zur Seite zu stehen, ihn vor Fehler zu bewahren und neue Wege aufzuzeigen, die aus einer Sackgasse herausführten.
Wieder einmal wurde Sebastian Trenker bewußt, daß er sich richtig entschieden hatte, als er damals das Theologiestudium begann. Da hatte er noch nicht geahnt, wie schwer diese Aufgabe manchmal sein konnte. Aber er wußte auch nicht, wie schön sie war.
Diese Erfahrung brachte erst seine Zeit als Bergpfarrer mit sich.
»Grüß’ dich, Xaver«, nickte Sebastian Trenker dem Förster Anreuther zu, der eiligen Schrittes aus dem Ainringer Forst kam. Brutus, der Jagdhund, lief nebenher.
Der alte Förster lüftete seinen Hut und erwiderte den Gruß.
»Was machen S’ denn hier in aller Frühe, Hochwürden?« erkundigte er sich. »Es ist ja grad’ erst Tag geworden.«
Pfarrer Trenker schmunzelte. Es kam immer wieder vor, daß die Leute sich wunderten, ihn am frühen Morgen durch die Gegend wandern zu sehen. Meistens war es der Beginn einer Bergtour, und jemand, der Sebastian nicht kannte, würde ihn unmöglich für einen Geistlichen gehalten haben. Pfarrer Trenker entsprach so ganz und gar nicht der landläufigen Vorstellung, die die Menschen von einem Diener Gottes hatten.
Das begann bei der sportlichen, durchtrainierten Figur, und endete bei der Kleidung, die Sebastian zu seinen Touren trug. Man hatte ihn schon für einen professionellen Bergführer gehalten, oder für einen Hochleistungssportler. Pfarrer Trenker indes liebte sportliche Betätigung jeglicher Art, betrieb diese aber nicht, um in einer Disziplin Weltmeister zu werden. Es war mehr ein Ausgleich für die nicht immer leichte Arbeit als
Seelsorger seiner Gemeinde.
»Ich war schon lang’ net mehr oben«, antwortete der Geistliche und deutete mit dem Kopf auf die Almspitze, oberhalb des Waldes, aus dem Xaver Anreuther gerade herausgekommen war. »Und du? Ist etwas net in Ordnung?«
Sebastian sah den Förster forschend an, der einen finsteren Eindruck auf ihn machte.
»Die hab’ ich grad’ entdeckt«, erwiderte er und hielt dem Pfarrer drei Drahtschlingen hin. »Wenn ich den Burschen erwische, dann gnade ihm Gott!«
Sebastian konnte den Zorn des Försters verstehen. Drahtschlingen zu legen, war die gemeinste Art der Wilderei. Das arme Tier, das sich darin verfing, wurde zu Tode gewürgt und verendete jämmerlich.
»Hast du eine Vermutung, wer Fallen gelegt haben könnt’?«
Der Revierförster strich seinem Hund über den Kopf. Das Tier, eine Irish-Setter-Mischung, hatte sich ohne Aufforderung neben seinen Herrn gesetzt und beobachtete die beiden Männer aufmerksam.
»Wenn ich’s net besser wüßt’, dann würd’ ich sagen, das ist ganz die Handschrift vom alten Breithammer, aber der sitzt ja im Gefängnis.«
Sebastian nickte. Er kannte natürlich die Geschichte um Joseph Breithammer, der, zusammen mit seiner Tochter, in einer Waldhütte hauste und nächtens auf Jagd ging. Xaver hatte ihn vor zwei Jahren auf frischer Tat ertappt und gestellt. Nach dem Prozeß, bei dem der Wilderer wüste Drohungen gegen den Förster ausstieß, weil er ihm den Arm steif schoß, wurde Breithammer zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die er immer noch absaß. Als Täter schied er also aus.
»Auf jeden Fall werd’ ich verstärkt meine Rundgänge durchs Revier machen«, versicherte der Forstbeamte.
»Dann geb’ nur acht. Der Bursche ist gewiß net ungefährlich«, mahnte der Pfarrer. »Und du bist auch net mehr der Jüngste.«
Xaver Anreuther nickte. Er wußte, daß der Geistliche recht hatte, immerhin war er schon im Pensionsalter.
»Keine Sorge«, meinte er und tätschelte dem Hund den Hals. »Der Brutus paßt schon auf mich auf.«
»Na, dann pfüat dich, Xaver«, verabschiedete Sebastian sich. »Ich werd’ auf jeden Fall die Augen offenhalten, und wenn ich etwas bemerk’, geb’ ich dir Bescheid.«
Die Männer winkten sich zu, und der Geistliche lenkte seine Schritte zum Waldweg hinüber, der ein gutes Stück durch das Forstrevier führte. Dahinter war ein Pfad, der führte direkt hinauf zur Alm. Diesen Weg ging Sebastian am liebsten, führte er doch an blumenübersäten Wiesen und klaren Gebirgsbächen vorbei.
Natürlich waren seine Gedanken bei dem, was er eben gehört hatte. Pfarrer Trenker hoffte, daß der Wilddieb bald möglichst gefaßt würde, bevor der Schaden, den er mit seinen Schlingen anrichtete, noch größer wurde. Er würde später mit seinem Bruder darüber sprechen. Max Trenker, der Dorfpolizist von St. Johann, kannte durch seine Tätigkeit als Ordnungshüter bestimmt ein paar Leute, die als Täter in Frage kamen.
*
»… und dann wünsche ich euch noch schöne Ferien, und hoffe, daß wir uns in ein paar Wochen alle gesund und munter wiedersehen.«
Das schrille Läuten der Pausenglocke beendete die Unterrichtsstunde. Mit lautem Gejohle drängten die Kinder der 3a aus dem Klassenraum. Verena Berger packte lächelnd ihre Tasche und räumte ein paar Dinge aus dem Schreibtisch.
»Schöne Ferien«, rief jemand durch die offene Klassentür.
Die junge Lehrerin sah auf. Es war Gerald Hoffmann, ein Kollege, der da seinen Kopf hereinstreckte und ihr zuwinkte.
»Die wünsch’ ich dir auch«, antwortete sie. »Wo soll’s denn hingehen?«
Gerald kam hereingeschlendert. Seine Aktentasche trug er unter dem Arm. Er war leger in Jeans und Pulli gekleidet.
»Ich weiß noch net«, bekannte er. »Vielleicht bleib ich daheim, es sei denn…«
Verena sah ihn neugierig an.