Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung. Alfred Bekker

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Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung - Alfred Bekker


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du, was da ein Glas voll kostet?"

      "Nein."

      "Dat gaait auf keine Kuhhaut. Und ein richtiges Bier haben die auch nicht! Aber schweineteuer ist da alles!"

      Lorant hörte nur beiläufig zu und wandte sich stattdessen dem Klavier zu. Er setzte sich auf den Hocker. Die Tasten waren staubig. Aber davon ließ er sich nicht abhalten. Lorant spielte ein paar dezente Akkorde, ließ sie dann in den swingenden fünf-viertel-Takt von TAKE FIVE einmünden. Das Klavier hatte wahrscheinlich schon seit Jahren keinen Klavierstimmer mehr gesehen. Das gab Lorants Spiel eine besondere dissonante Schärfe, die im Original eigentlich nicht vorgesehen war. Immerhin verstummte der Bauer jetzt. Er saß mit offenem Mund da und hörte zu.

      "Kannst du auch Shantys?", glaubte Lorant ihn zwischendurch einmal fragen hören. Aber er antwortete nicht. Zu weit hatten ihn die Harmonielinien und Akkorde bereits aus dem Hier und Jetzt hinausgetragen. Hinein in ein Kontinuum der Töne und Stimmungen, der Klangfarben und des pulsierenden Rhythmus. Ein Land jenseits der Zeit und der konkreten Vorstellung.

      Ein Anflug von Melancholie überkam Lorant.

      TAKE FIVE.

      Seine Frau hatte dieses Stück sehr geliebt. Jahrelang hatte Lorant es nicht spielen können. Schließlich war er darüber hinweg gewesen. Jedenfalls hatte er das geglaubt. Möglicherweise ein Irrtum. Er sah ihr Gesicht vor sich, sah die Blutspuren in dem Apartment auf Cuba. Vom Fenster aus hatte man auf das Meer blicken können. Auf das Meer im hochdeutschen Sinn. Den Ozean. Die leuchtend blaue karibische See, den Traum aller Nordländer, die an Regen und Nieselwetter gewöhnt waren und insgeheim immer davon träumten, sich die frische Brise der Karibik durch die Haare wehen zu lassen. Ein traumhafter Ort, der im nach hinein zu einem Alptraumort geworden war. Lorant erinnerte sich an die hilflos wirkenden Polizisten, denen er gegenüber gesessen hatte. Er konnte leidlich Spanisch, die Polizisten ein wenig Englisch. Aber das war nicht das Problem gewesen. "En Cuba el crimen organisado no existe!", hatte ihm einer der Polizeioffiziere weiszumachen versucht. Manchmal hörte er diesen Satz im Traum. Immer wieder die Behauptung, dass es in Cuba kein organisiertes Verbrechen gäbe, nur weil es das nicht geben durfte. So wie die angeblich auch ausgerottete Prostitution. Der Kommunismus des 'Maximo Líder' Fidel Castro erlaubte es nicht, darum existierte es nicht. Punkt aus. Aber Tatsache war, dass seine Frau verschwunden und vermutlich einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Mochte der Teufel wissen, warum sie hatte sterben müssen, mit wem man sie möglicherweise verwechselt hatte und auf welcher Müllkippe man ihre Leiche abgeladen hatte. Du wirst es nie herausfinden, durchfuhr es Lorant. Es lohnt sich nicht, dass du dein Hirn weiterhin mit den Gedanken daran marterst. Du hast getan, was du konntest. Nimm es hin, wie es ist, sonst verbringst du deine Zeit wieder auf der Couch eines Psychiaters anstatt mit den Dingen, die für deinen Job wichtig sind! Also Schluss jetzt...

      "Hier, Ihre Bockwurst mit Kartoffelsalat!", riss ihn Beate Jakobs' Stimme aus seinen Gedanken heraus. Lorant war ihr dafür beinahe dankbar. Ein letzter Akkord, eine furchtbare Dissonanz, verursacht durch eine total verstimmte, scheppernde Saite, dann nahm Lorant die Finger von den Tasten. Die Kuppen fühlten sich stumpf an. Stumpf von der dicken Staubschicht, die auf den Tasten gelegen hatte. Seine Abdrücke waren jetzt ziemlich gut darauf zu sehen.

      "Danke", sagte Lorant.

      "An welchen Tisch soll ich es stellen?"

      "An den da!" Lorant streckte die Hand aus, deutete auf jenen Tisch, der am weitesten von dem Bier trinkenden Bauern mit der Prinz Heinrich-Mütze entfernt war.

      "Kartoffelsalat können Sie noch nachhaben, aber die Bockwurst..."

      "...ist die Letzte."

      "Ja, tut mir leid."

      Lorant setzte sich an den Tisch.

      Er merkte, dass Beate Jakobs noch irgendetwas auf dem Herzen hatte. Sie druckste etwas herum, dann brachte sie schließlich heraus: "Sagen Sie, ich habe Sie da gerade Klavierspielen hören..."

      "Ja."

      "Im Moment suchen wir dringend eine Orgelvertretung in der Kirche. Harm Dierksen ist ja schon seit Wochen krank und mit seinem gebrochenen Fuß kann er auch die Pedale gar nicht treten. Und sein Sohn studiert Musik in Osnabrück, der ist nicht immer hier. Ich glaube, für eine Orgelvertretung bekommen Sie zwanzig D-Mark."

      "Nun.."

      "Ich rechne immer noch in D-Mark, müssen Sie wissen."

      "Ich fürchte, ich habe leider keine Zeit, Frau Jakobs."

      "War ja auch nur eine Frage. Ich meine, so ein Choral lässt sich doch schnell lernen. Ist ja auch bei jeder Strophe wieder dasselbe, nicht wahr?"

      ––––––––

      21.

      "Ich habe schon gegessen", sagte Ubbo Sluiter, als er nach Hause kam.

      Rena verdrehte die Augen.

      "Vielleicht könnest du mir so etwas mal vorher sagen!"

      "Habe ich versucht."

      "Ach, ja?"

      "Ja, ich habe versucht, dich anzurufen, aber du hast nicht abgenommen. Offenbar warst du nicht zu Hause."

      "Spionierst du mir jetzt nach, oder was?"

      Ubbo sah seine hübsche Frau an, musterte sie einige Augenblicke lang. "Hätte ich denn Grund dazu?", fragte er dann nicht ohne scharfen Unterton.

      Rena atmete tief durch.

      Ihr Blick veränderte sich plötzlich. "Was hast du mit deiner Nase gemacht?"

      "Nicht der Rede wert."

      "Warst du schon beim Arzt?"

      "Ich hab sie gekühlt und damit war's gut."

      "Sieht mir nicht so aus. Vielleicht solltest du mal Dr. Purwin anrufen..."

      "Dr. Purwin wird jetzt wohl kaum Zeit für mich haben. Selbst für Privatpatienten nicht."

      "Ich dachte, er ist ein Freund der Familie."

      "Ein Freund meines Vaters", korrigierte Ubbo. Er ging ins Wohnzimmer, ließ sich in einen der Plüschsessel fallen. Ziemlich klobig waren die, aber schön weich. Rena hatte ihm immer schon in den Ohren damit gelegen, endlich was Moderneres anzuschaffen. Etwas, das 'hip' war. Etwas, das 'in dieses neue Jahrtausend' passte und nicht den Eindruck erweckte, von vorgestern zu sein. Aber Ubbo hatte den Wunsch bislang erfolgreich abwehren können. Er mochte diese klobigen Möbel, auch wenn er nur wenige Stunden am Tag zwischen ihnen wohnte. Schließlich war Ubbo Sluiter ein sehr beschäftigter Mann. Und seit sein Vater tot war, galt das umso mehr.

      Ubbo schloss die Augen für einige Momente.

      Rena fragte sich, ob ihr Mann vielleicht etwas ahnte. Vielleicht war Ubbo doch nicht so blauäugig, wie sie immer gedacht hatte. Mach dich nicht verrückt!, sagte sie sich. Im Augenblick war ihre Hauptpriorität die Boutique. Endlich die eigene Herrin im eigenen Geschäft sein, das war es, wovon sie träumte. Auch wenn es nicht ihr Geld war, mit dem der Plan bewerkstelligt werden sollte. Diese Tatsache konnte ihr ihren Traum keinesfalls vermiesen.

      Ohne Ubbo hatte sie keine Chance, ihre Schwiegermutter doch noch herumzukriegen. Also war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, eine Krise zwischen Ubbo und ihr. Streich ihm etwas um den Bart und er macht, was du willst!, vermutete sie. Angesichts der so glatt wie ein Babypopo rasierten Wangen ihres Mannes ein Gedanke, der sie amüsiert schmunzeln ließ.

      Sie setzte sich auf die Sessellehne.

      Ubbo spürte ihre Nähe, öffnete die Augen.

      "Es ist so ruhig zu Hause", meinte er.

      "Marvin und Kevin sind bei Freunden."

      "So spät noch?"

      "Sie übernachten bei Etzengas. Du weißt doch,


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