Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung. Alfred Bekker
Читать онлайн книгу.ja..."
"Morgen habe ich einen Gesprächstermin mit dem Rektor von Marvins Schule."
"Worum geht's?"
"Angeblich hat unser Kleiner einer Lehrerin vor das Schienbein getreten."
"Oh."
"Ich glaube kein Wort davon."
"Aber, wenn die Schule es behauptet? Meinst du, dieser Schulleiter denkt sich das nur aus?"
Was für ein Waschlappen ist Ubbo doch!, dachte Rena. Immer noch der brave Schüler, der er sicherlich einst war. Wagt noch nicht einmal gegen die Schule aufzumucken, wenn seinem Kind Unrecht geschieht und es zum Sündenbock gemacht wird! Rena hatte immer zu ihren Söhnen gehalten. Egal, was sie ausgefressen hatten. Den Lehrern hatte sie prinzipiell nicht geglaubt. Die wussten doch ihre Jungs nur nicht richtig zu nehmen. Rena Sluiter galt daher in der Schule als uneinsichtig, aber das war ihr gleichgültig. Auch den vorsichtigen Hinweis, dass Kevin und Marvin die Nibelungentreue ihrer Mutter vielleicht geschickt auszunutzen wussten, ließ sie nicht gelten. Wenn jemand ihr riet, die Hilfe des schulpsychologischen Dienstes oder von Erziehungsberatungsstellen in Anspruch zu nehmen, konnte sie ziemlich laut werden.
Ursprünglich hatte Rena vorgehabt, ihrem Mann ein schlechtes Gewissen zu machen, ihm einzureden, dass er sich doch auch mal ein bisschen mehr in die Erziehung einbringen und sie zu dem Gesprächstermin mit dem Rektor begleiten könnte. Schließlich brachten andere Mütter auch ihre Männer mit, wenn es in der Schule richtig Ärger gab.
Aber dieses Vorhaben hatte Rena inzwischen ad acta gelegt.
Sie dachte an die Boutique. Und daran, dass sie Ubbo als Verbündeten gegen dessen Mutter brauchte. Und dahinter musste alles andere zurückstehen. Selbst die Treue zu ihren rüpelhaften Jungs.
"Hör mal, Ubbo, das sieht aus, als hätte dir jemand voll auf die Nase geschlagen."
"Können wir über etwas anderes reden?"
"Waren das diese Russen?"
"Ja."
"Willst du was unternehmen?"
"Was denn?"
"Aber das kann doch nicht so weitergehen."
"Wird es auch nicht."
Und dann sprudelte es aus Ubbo heraus. Er beichtete ihr alles, was sich am Morgen ereignet hatte. Auch, dass Lorant eingegriffen hatte, erwähnte er.
Rena hörte interessiert zu.
"Vielleicht könnte dieser Lorant..."
"Bist du verrückt? Ich habe ihm verboten, weiter in der Russensache herumzurühren."
"Wird er sich dran halten?"
"Weiß ich nicht, ich werde mit Ma sprechen müssen."
Oh, ja - und ich kann mir richtig vorstellen, was dabei herauskommt!, ging es Rena Sluiter durch den Kopf. Nichts nämlich! Ganz einfach nichts! So wie immer!
Unterdessen fuhr Ubbo fort: "Dieser Detektiv hat für meinen Geschmack schon viel zu viel herumgeschnüffelt. Es war keine gute Idee von Ma, ihn zu engagieren."
"In diesem Punkt sind wir vollkommen einer Meinung", erklärte Rena.
––––––––
22.
Als Lorant sich frisch gestärkt auf den Weg zum X-Ray nach Aurich machen und in den Wagen steigen wollte, traf gerade der Tätowierte mit seinem Feuerstuhl ein. Er ließ die Maschine noch mal richtig aufheulen, bevor er den Motor ausschaltete und vom Bock stieg.
Er setzte den Helm ab, schüttelte sich wie ein Hund, der ins Wasser gefallen war.
"Na, den ganzen Tag durch das Land gurken?"
Er starrte Lorant an.
"Ey, was laberst du mich an?"
"Kein Grund zur Aufregung. Ich dachte nur..."
"Was dachtest du?"
"Du warst nicht zufällig bei einem ganz bestimmten Arzt in Moordorf?"
"Wovon redest du?"
"Ich frage ja nur."
"Ja, habe ich gehört."
"Da war nämlich eine ziemlich dicke Bremsspur, die von so einer Maschine stammen könnte."
Lorant trat an das aufgebockte Motorrad heran, sah sich dabei das Profil näher an, strich mit dem Finger über das Gummi.
"Ey, fass mein Eigentum nicht an, woll?"
"Keine Sorge!"
"Wenn du mal mitfahren willst, dann frag mich!"
"Ich werde vielleicht darauf zurückkommen!", versprach Lorant.
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23.
Als Lorant das X-Ray erreichte, tobte dort bereits das pralle Leben. Eine Reihe von Wagen unterschiedlicher Preisklasse standen auf dem Parkplatz. Die teuersten Modelle waren zweifellos die Trecker. Lorant musste grinsen. Er stellte seinen Wagen ans Ende der Reihe, stieg aus und ging auf den Haupteingang zu. Neonbuchstaben verkündeten großspurig, dass es im X-Ray alles gab, was der moderne Landmann so brauchte: GIRLS, BEERS & FOOD. Das war zwar weder Hoch- noch Plattdeutsch, aber offenbar wurde es über alle Sprachgrenzen hinweg verstanden.
Lorant erreichte den Eingang.
Zunächst bemerkte er den Kerl mit den weißblonden Haaren nicht gleich. Aber dann fiel das grelle Neonlicht eine Sekunde lang auf dessen bleichen Haare. Victor, so hatte Ubbo Sluiter ihn genannt. Victor irgendwas.
Lorant blieb breitbeinig stehen. Auf einen erneuten Zweikampf mit diesem Kerl hatte er keine Lust. Schon deswegen nicht, weil das Reizstromaggregat in Dr. Purwins Praxis fürs Erste wohl nicht zu seiner Verfügung stand.
Victor erstarrte zur Salzsäule.
Die einzige Waffe, die Lorant besaß, war ein kleinkalibriger Revolver, der sich in seinem Wagen befand. Für äußerste Notfälle. Er hatte die Waffe illegal in der Schweiz erworben und dachte auch gar nicht daran, sie offiziell zu beantragen. Es war verdammt schwer in Deutschland, einen Waffenschein zu bekommen. Und Lorant ging unnötigen Schwierigkeiten gerne aus dem Weg.
Aber im Augenblick hatte er die Waffe nicht dabei, während unter Victors Jacke wahrscheinlich noch immer der Revolver steckte, mit dem der Kerl auf ihn geschossen hatte.
In der Seitentasche von Lorants Jackett befand sich nichts weiter als das Handy. Er hatte es lieber im Jackett als am Gürtel, weil es immer die Hose so runterzog.
Lorant konnte sich an den Fingern einer Hand ausrechnen, was als nächstes passieren würde.
Sofern Victor seine Waffe bei sich hatte -—und es gab keinen Grund, daran zu zweifeln -—war davon auszugehen, dass er sie als nächstes aus seiner Jacke herausriss.
Lorant wusste, dass er schneller sein musste.
Schneller ziehen, darauf kam es an. Wie bei den guten alten Cowboys im Western-Film. Nur, dass Gary Cooper in HIGH NOON wenigstens etwas gehabt hatte, was er ziehen konnte, während Lorant unbewaffnet war.
Lorants Entschluss war spontan, aber nicht unüberlegt.
Er setzte alles auf eine Karte.
Bluff hieß das Gebot der Stunde. Er griff in die Jackettseitentasche, umfasste das Handy, hob die Hand und ließ es so erscheinen, als hielte er eine Waffe in der Hand.
"Keine Dummheiten, Victor."
Der