Die Leihmutter. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.Sie tun kann.« Beate ging zur Tür.
»Kommen Sie bestimmt zurück?«
»Sie können sich darauf verlassen.«
Beate lief zum Schwesternzimmer. Noch während des Gesprächs hatte sie über die Schauspielerin nachgedacht. Als Schauspielerin führte die Rotor wahrscheinlich ein sehr unregelmäßiges Leben. Es war möglich, daß sie Mißbrauch mit Aufputsch- und Beruhigungsmitteln trieb. Das konnte der Grund dafür sein, daß die wirklich sehr starke Dosis, die sie erhalten hatte, keine Wirkung zeigte. Andererseits konnte es aber auch sein, daß ihre innere Erregung die Wirkung aufhob. Es waren auch wohl nicht so sehr die Schmerzen, unter denen sie litt und sie nicht schlafen ließen, als die Angst um ihre Schönheit und damit um ihren Erfolg. Beate beschloß, es mit einem Placebo zu versuchen, einer großen rot-grünen Kapsel, die mit Puderzucker gefüllt war.
Als sie zurückkam, hatte die Patientin einen Hunderter auf den Nachttisch gelegt.
»Nein, Frau Rotor«, erklärte Beate, »ich will kein Geld. Das würde für mich die Sache noch gefährlicher machen. Falls es rauskommen sollte, daß ich etwas Verbotenes getan habe, wäre das schlimm genug für mich. Falls es sich dann noch rumspricht, daß ich mich dafür extra bezahlen lassen habe, fliege ich bestimmt.«
»Niemand wird davon erfahren.«
»Versprechen Sie mir das?«
»Ist doch ganz klar. Jetzt geben Sie mir endlich das Morphium!«
Beate zögerte. »Ich muß ganz sichergehen. Sehen Sie, Frau Rotor, es ist wahrscheinlich, daß Sie morgen eine bessere Nacht haben. Ich wünsche es Ihnen. Vielleicht können Sie aber auch morgen nicht schlafen. Dann bin ich aber nicht da. Also werden Sie meine Kollegin herbeizitieren, und sie wird sich, genau wie ich, sträuben, Ihnen etwas zu besorgen. Das macht mir angst.«
»Wieso denn?«
»Daß Sie ihr sagen werden: ›Aber Schwester Beate hat es getan !‹«
»Nie im Leben! Wer denkt denn an so etwas!«
»Ich. Jede andere an meiner Stelle würde es auch tun.«
»Ich schwöre Ihnen ...«
»Also gut. Ich werde es tun. Aber wohl ist mir nicht dabei zumute.« Beate legte der Patientin die Kapsel in die Hand.
Lilian Rotor betrachtete sie mißtrauisch. »Sieht komisch aus.«
»Ich habe es geklaut!« behauptete Beate.
»Wird man es nicht merken?«
»Doch. Die Oberschwester kontrolliert den Medikamentenschrank regelmäßig. Aber man wird es mir nicht nachweisen können. Wenn Sie den Mund halten.« Sie reichte der Patientin das Wasserglas. »Also runter damit! Oder ist es Ihnen doch zu gefährlich?«
»Quatsch!« Lilian Rotor schluckte die Kapsel. »Nehmen Sie das Geld! Ich möchte nicht in Ihrer Schuld stehen.«
»Später. Jetzt versuchen Sie sich zu entspannen. In einer halben Stunde werde ich noch einmal nach Ihnen schauen.« Sie hatte das Zimmer noch nicht ganz verlassen, als die Patientin schon das Licht löschte.
Auf der Liste trug Beate ein: »24 Uhr 20. Ein Placebo gegeben.«
Eine Stunde später schlich sie sich, ohne Licht anzuknipsen, in das Zimmer Nummer 20. Nur kurz ließ sie den Schein ihrer kleinen Taschenlampe über das Gesicht der Patientin gleiten. Lilian Rotor schlief tief und fest. Beate nahm den Geldschein an sich.
Sie notierte diese Tatsache auf der Patientenliste. Das wäre nicht nötig gewesen, aber sie wollte sich rückversichern. Sie nahm sich vor, am Morgen der Tagesschwester den Vorgang genau zu berichten.
Plötzlich fühlte sie sich erschöpft. Die Versuchung, sich eine Weile hinzulegen, war groß. Aber Beate widerstand. Aufrecht in ihrem kleinen Sessel sitzend, dämmerte sie ein wenig vor sich hin.
Doch in den nächsten Stunden geschah nichts.
Danach wurde es auf der Station lebendig. Leibschüsseln mußten gebracht, Bettlaken gewechselt, Erbrochenes weggewischt werden. Wenn auch ein guter Teil der Patienten bis zum Wecken durch die Tagesschwester schlief, oder sich doch wenigstens ruhig verhielt, fühlte Beate sich fast überfordert. In diesen frühen Morgenstunden wünschte sie sich immer eine Hilfe, denn sie konnte nicht alle Anforderungen gleichzeitig erfüllen.
Kurz vor sieben Uhr kamen die Tagesschwestern. Während zwei von ihnen gleich mit der täglichen Routine begannen – Fieber messen, Betten richten, Morgenpflege der Kranken, die zu schwach waren, aufzustehen –, erstattete Beate der Oberschwester Bericht.
Oberschwester Anna war eine streng blickende Frau, vom langjährigen Krankenhausdienst abgestumpft. »Sie haben es also mit einem Placebo geschafft. Gut so. Ich werde es der Nachtschwester weitersagen. Aber daß Sie gleich hundert Mark eingesteckt haben, war ziemlich happig, wie?«
»Die Patientin glaubt ja, daß ich ihretwegen meine Kompetenzen überschritten habe. Sie würde mich für schön blöd halten, wenn ich es ohne Entgelt getan hätte.«
Die Oberschwester musterte Beate kritisch. »Ist das der wahre Grund?«
Beate zuckte die Achseln. »Zugegeben, ich bin momentan etwas knapp bei Kasse. Ich habe mir lange überlegt, sollte ich oder nicht.«
»Und dann hat Ihre Raffgier gesiegt.«
»Man hat nicht oft Gelegenheit, sich auf die Schnelle einen Hunderter zu verdienen.«
Die Oberschwester legte Beates Aufzeichnungen aus der Hand. »Na, jedenfalls haben Sie es mir mitgeteilt. Wollen wir es dabei bewenden lassen.«
»Danke, Oberschwester!«
Beate war froh, als das unerquickliche Gespräch beendet war. Sie hatte es jetzt sehr eilig, nach Hause zu kommen. Wir nach jeder Nachtwache hoffte sie inständig, daß ihr kleiner Sohn noch nicht erwacht sein würde, bevor sie bei ihm war.
Professor Meyers Ordination war ein Eckraum, sehr hoch wie alle Zimmer und Gänge der »Internen Ambulanz«, die um die Jahrhundertwende gebaut worden war. Trotz der großen Fenster wirkte er ein wenig düster durch die schweren Vorhänge und geschnitzten Möbel. Es war ein Zimmer, ganz dazu gemacht, die Macht und Würde des Professors zu unterstreichen und die Patienten einzuschüchtern.
Der Professor selber saß hinter seinem Schreibtisch, blickte kurz auf, als Beate und Frank eintraten und wies sie mit einem Kopfrucken an, in der Sitzecke Platz zu nehmen. »Wenn Sie mich noch einen Augenblick entschuldigen wollen ...« Er beschäftigte sich weiter mit einigen Krankenbogen.
Beate, die den Umgang mit Ärzten gewohnt war, ließ sich nicht beeindrucken. Aber sie spürte, daß Frank zitterte. Sie nahm seine Hand und umschloß sie mit festem Druck.
Er mimte Galgenhumor. »Alles halb so schlimm«, behauptete er halblaut mit einem gezwungenen Grinsen.
Professor Meyser erhob sich und zog seine Weste straff. Unter dem offenen weißen Ärztemantel trug er eine tadellose graue Flanellhose mit dazu passender Weste.
Frank stand auf.
»Bleiben Sie sitzen, bleiben Sie sitzen, nur keine Umstände!« Der Professor reichte Beate eine weiche, fleischige Hand und drückte Frank mit der anderen in den Sessel zurück. »Sie sind also das Ehepaar Werder.«
»Ja«, sagte Beate, »und Sie wollten uns von dem Ergebnis der röntgenologischen Untersuchung berichten.«
Der Professor setzte sich. »Ich glaube, da sollte ich erst einmal etwas weiter ausholen und Ihnen beiden etwas über die Funktion des Herzens berichten. Es ist nicht der Sitz der Seele und hat auch nichts mit der Individualität des Menschen zu tun, sondern ist ganz einfach ein Muskel, ein Muskel, der von zwei Hauptarterien mit Blut versorgt wird. Sie entspringen aus der großen Hauptschlagader, der Aorta, und zwar unmittelbar, nachdem diese die linke Herzkammer verläßt. Zur Versorgung der verschiedenen Gebiete des Herzmuskels teilen sich die Coronararterien in einige Haupt- und sehr viele Nebenäste.« Er machte eine kleine Pause.
Beate