Die schönsten Kinderbücher (Illustriert). Гарриет Бичер-Стоу

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Die schönsten Kinderbücher (Illustriert) - Гарриет Бичер-Стоу


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wo sie sich trennten, wieder zu erwarten.

      Noah befolgte gewissenhaft die erhaltenen Anweisungen und gelangte auch richtig in den Gerichtssaal. Er kam hier in ein großes Gedränge von Menschen, zumeist Frauen, die Kopf an Kopf den muffigen Saal füllten. Auf der Anklagebank saßen ein paar Weiber, die ihren sie bewundernden Bekannten zunickten, während der Gerichtsschreiber einigen Polizisten und einem bürgerlich gekleideten Manne, der sich über den Tisch beugte, die Zeugenaussagen vorlas.

      Noah sah sich neugierig nach dem Gannef um, konnte ihn aber nicht entdecken. Er erwartete daher ungeduldig das Urteil, welches über die Weiber gefällt wurde, die darauf mit stolzer Miene abgingen. Der Gefangene, der jetzt vorgeführt wurde, mußte nach der Beschreibung der Gannef sein. Und es war tatsächlich Jack Dawkins. Er setzte sich auf die Anklagebank mit der lauten Frage, warum man ihn hierherbringe.

      "Willst du wohl den Mund halten", sagte der Gerichtsdiener.

      "Bin ich nicht ein Engländer?" versetzte der Gannef. "wo sind meine Rechte?"

      "Wirst sie bald genug bekommen und gepfeffert noch dazu", erwiderte der Gerichtsdiener.

      "Wollen mal sehen, was der Justizminister den Kadis sagen wird, wenn man meine Rechte nicht achtet", brüllte der Gannef. "Aber nun man los. Ich bitte die Herren Richter, mich nicht mit ihrem Zeitungslesen aufzuhalten, sondern meine kleine Sache gleich zu erledigen. Ich habe mich nämlich mit einem Herrn in der City verabredet, und da ich ein Mann von Wort bin und in Geschäftssachen äußerst pünktlich, so könnte es leicht eine Schadenersatzklage gegen die geben, welche mich hier aufgehalten haben. Und das werden die Herren Richter nicht wollen."

      Da diese die Redensarten des Gannefs überhörten, so fragte der freche Junge den Gerichtsdiener "nach den Namen der beiden Hampelmänner auf der Richterbank". Durch diese Frage fühlten sich die Zuhörer so gekitzelt, daß sie fast ebenso herzlich lachten, als es sicher Herr Karl Bates getan hätte, wenn er dagewesen wäre.

      "Ruhe!" brüllte der Gerichtsdiener.

      "Was liegt vor?" fragte einer der Polizeirichter.

      "Ein Taschendiebstahl, Euer Gnaden."

      "Ist der Junge schon mal hier gewesen?"

      "Hätte er schon oft sein sollen, aber solche Burschen trifft man eher woanders. Ich kenne ihn aber, Euer Gnaden", sagte der Gerichtsdiener.

      "So, Sie kennen mich, wirklich?" rief der Gannef und tat so, als ob er sich eine Notiz machte. "Gut, das gibt eine Klage wegen Ehrabschneidung."

      Es entstand abermals ein großes Gelächter. Nachdem wieder Ruhe geboten war, fragte der Gerichtsschreiber:

      "Nun, wo sind die Zeugen?"

      "Richtig, wo sind sie, möchte sie auch gern sehen", meinte der Gannef.

      Seinem Wunsche wurde sofort willfahrt, denn ein Polizist trat vor und sagte aus, der Angeklagte hätte im Gedränge einem unbekannten Herrn das Schnupftuch aus derTasche gezogen, da es aber sehr alt gewesen, wieder in die Tasche zurückgesteckt, nachdem der Dieb es vorher an seiner eigenen Nase probiert. Er wäre deshalb zur Verhaftung geschritten und hätte bei der Durchsuchung des Festgenommenen eine silberne Schnupftabaksdose gefunden, auf deren Deckel der Name des Eigentümers eingegraben war. Die Wohnung desselben hätte man im Adreßbuch gefunden, und der Herr wäre als Zeuge anwesend. Dieser beschwor, daß die Dose sein Eigentum sei, und sie, als er aus dem Gedränge heraus war, sofort vermißte. Er fügte noch hinzu, daß im Gewühl sich ein junger Mensch auffallend viel um ihn zu schaffen gemacht habe, und daß dieser kein anderer als der vor ihm stehende Angeklagte sei.

      "Hast du den Zeugen etwas zu fragen, Junge?" sagte der Richter.

      "Ich mag mich nicht so weit erniedrigen, eine Unterhaltung mit ihm anzuknüpfen", war die Antwort.

      "Hast du überhaupt noch etwas vorzubringen?"

      "Hörst du nicht, Seine richterliche Gnaden fragen, ob du noch etwas zu sagen hättest", wiederholte der Gerichtsdiener und stieß den stummen Gannef mit dem Ellenbogen an.

      "Verzeihung, haben Sie mit mir gesprochen?" fragte der Junge zerstreut.

      "Ich habe nie einen durchtriebeneren Spitzbuben gesehen, Euer Gnaden", sagte der Gerichtsdiener grinsend.

      "Beabsichtigst du noch etwas zu bemerken, Halunke?"

      "Nein", entgegnete der Gannef, "hier nicht, denn das ist wirklich nicht der richtige Laden für Gerechtigkeit. Außerdem frühstückt mein Rechtsanwalt heute vormittag mit dem Vizepräsidenten des Parlaments. Aber anderswo werde ich reden, ebenso mein Anwalt und eine Masse anderer Bekannten, und zwar so, daß die Kadis wünschen werden, nie geboren zu sein. Daß es ihnen lieber gewesen wäre, wenn sie sich von ihren Bedienten an ihren eigenen Kleiderständern hätten aufhängen lassen, als daß sie heute mir ein Urteil gesprochen hätten. Ich – -"

      "Er ist vollständig überführt!" unterbrach der Gerichtsschreiber die Rede. "Führen Sie ihn ab."

      "Komm, Junge", sagte der Gerichtsdiener.

      "Ja, ich komme schon", sagte der Gannef, seinen Hut mit der Hand glattstreichend. "Und mit Ihnen", zur Richterbank gewandt, "werde ich kein Erbarmen haben, wenn Sie auch noch so ängstliche Mienen zeigen. Ihr Kerle sollt mir dafür büßen! Ich möchte nicht in eurer Haut stecken. Ich würde jetzt meine Freilassung nicht annehmen, und wenn Ihr mich auf den Knien darum bätet. Führt mich ab!"

      Der Gerichtsdiener packte ihn am Kragen und der Gannef drohte noch, die Sache vors Parlament zu bringen. Dann grinste er dem Gerichtsdiener mit großer Frechheit ins Gesicht.

      Herr Bolter eilte nun, so schnell er konnte, zu der Stelle, wo er Karl Bates verlassen hatte. Dieser zeigte sich erst, nachdem er sich vergewissert hatte, daß keine naseweise Person Noah folge, und die Luft rein sei.

      Beide begaben sich nun schleunigst nach Hause, um Herrn Fagin die erfreuliche Kunde zu bringen, daß der Gannef seiner Erziehung alle Ehre und sich selbst einen glänzenden Namen gemacht habe.

      Vierundvierzigstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

       Die Zeit kommt, da Nancy ihr Rosa gegebenes Versprechen halten soll. Sie wird verhindert

      So schlau und erfahren auch Nancy in allen Verstellungskünsten war, so konnte sie doch die Zerrissenheit ihrer Seele nicht ganz verbergen, die ihr gewagter Schritt erzeugt hatte. Sie dachte daran, daß beide, sowohl der verschmitzte Jude als auch der rohe Sikes, sie ohne Argwohn in Pläne eingeweiht hatten, die allen anderen Diebesgenossen unbekannt waren. Aber trotz der Schändlichkeit dieser Pläne, der Verworfenheit ihrer Urheber und ihrer Erbitterung gegen den Juden, der sie immer tiefer in Verderben und Elend geführt hatte, fühlte sie doch manchmal sogar für ihn eine weiche Regung. Sie hätte ihn nur ungern den unerbittlichen Händen überantwortet, denen er so lange entgangen war und doch am Ende anheimfallen mußte – so sehr er auch ein solches Schicksal verdient haben mochte.

      Es war Sonntagabend, die Uhr der nächsten Kirche verkündete die Stunde. Sikes und der Jude unterbrachen ihre Unterhaltung, um die Schläge zu zählen. Nancy horchte gleichfalls gespannt – Elf!

      "Eine Stunde vor Mitternacht", sagte Sikes, indem er das Fenster öffnete und hinaussah. Als er wieder zu seinem Stuhl ging, meinte er: "Eine herrliche Nacht fürs Geschäft – es ist rabenschwarz draußen."

      "Schade, Bill, daß wir sie nicht ausnutzen können", versetzte der Jude.

      "Daran dachte ich auch gerade", entgegnete Sikes mürrisch. "Es ist jammerschade, ich wäre heute gerade in Stimmung."

      Der Jude seufzte und schüttelte betrübt den Kopf.

      "Wir müssen die verlorene Zeit wieder einbringen, wenn wir etwas Gutes ausbaldowert haben", sagte Sikes.

      "So ist's recht, das ist ein Wort, lieber Freund", rief der Jude und wagte es, dem Einbrecher auf die Schulter zu klopfen. "Es


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