Die schönsten Kinderbücher (Illustriert). Гарриет Бичер-Стоу

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Die schönsten Kinderbücher (Illustriert) - Гарриет Бичер-Стоу


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Olivers, der entschiedene Spuren von Genie blicken läßt, wird eine öffentliche Persönlichkeit in der Hauptstadt

      In derselben Nacht, in der Nancy ihre Botschaft bei Fräulein Rosa Maylie ausgerichtet hatte, wanderten auf der großen, nach dem Norden führenden Straße zwei Personen nach London, denen unsere Erzählung einige Aufmerksamkeit schenken muß.

      Die eine davon gehörte dem männlichen Geschlechte an und war eine jener knöchernen Gestalten mit langen Gliedern und schlotternden Knien, deren Alter sich nur schwer erraten läßt. Die andere – ein Frauenzimmer – war jung, aber von starkem und kräftigem Bau, was ihr allerdings auch zustatten kam, da sie die Last eines mächtigen Bündels auf dem Rücken zu schleppen hatte. Ihr Begleiter war nicht sonderlich mit Gepäck beschwert, denn er trug weiter nichts als ein zusammengeknotetes Taschentuch, mit ein paar kümmerlichen Habseligkeiten drin, an einem Stock über den Schultern.

      So zogen sie den staubigen Weg dahin, bis sie an das Tor von Highgate kamen. Hier blieb der schnellere Wanderer stehen und rief seiner Gefährtin ungeduldig zu:

      "So komm doch! Du bist so langsam, Charlotte, kaum zum Aushalten."

      "Du hast gut reden, trag nur mal solche schwere Last", sagte das Frauenzimmer atemlos.

      "Schwer? Ach, rede doch nicht – wozu habe ich dich denn?" entgegnete er und warf sein kleines Bündel auf die andere Schulter. "Nun willst du schon wieder ausruhen. Wenn man bei dir nicht die Geduld verliert, dann weiß ich nicht, wo man sie verlieren sollte."

      "Ist es noch weit?" fragte sie und setzte sich auf eine Bank, ganz in Schweiß gebadet.

      "Noch weit? Wir sind so gut wie da!" sagte der langbeinige Bursche und zeigte mit der Hand geradeaus. "Siehst du jene Lichter? Das ist London."

      "Die sind wenigstens noch zwei gute Meilen entfernt", sagte das Weib verzweiflungsvoll.

      "Was macht es, ob es zwei oder zwanzig sind", erwiderte Noah Claypole (denn dieser war es). "Steh jetzt auf und komm, oder ich will dir Beine machen! Paß auf, dann geht's schneller!"

      Auf diese Drohung hin erhob sich Charlotte ohne weitere Bemerkung und ging an seiner Seite weiter.

      "Wo gedenkst du zu übernachten, Noah?" fragte sie, nachdem sie wohl eine halbe Meile gegangen waren.

      "Was weiß ich!" sagte dieser mürrisch.

      "Hoffentlich in der Nähe?"

      "Nein, nicht in der Nähe. Da ist gar nicht dran zu denken."

      "Warum nicht?"

      "Wenn ich einmal sage, ich will das nicht tun, so muß dir das genügen, und du hast nicht nach den Gründen zu fragen", entgegnete Herr Claypole würdevoll.

      "Brauchst nicht gleich so böse zu sein", sagte Charlotte.

      "So wäre es richtig, irn ersten besten Gasthaus vor der Stadt einzukehren, damit Sowerberry, falls er uns nachsetzt, uns sofort findet und mit Handschellen an den Armen gleich wieder mit nach Hause nimmt", meinte Noah ironisch. "Nein, ich werde im entlegensten Gasthaus der entlegensten Gasse Rast machen. Du kannst deinem Herrgott danken, daß du mich zum Führer hast, denn wenn wir anfangs nicht absichtlich einen falschen Weg gegangen wären, so säßest du schon seit acht Tagen hinter Schloß und Riegel. Und es wäre dir deiner Dummheit wegen nur recht geschehen!"

      "Ich weiß, daß ich nicht so pfiffig bin wie du, aber wälze nur nicht alle Schuld auf mich. Denn du würdest ebensogut eingesperrt werden, wenn man mich festsetzte."

      "Wer hat das Geld aus der Schublade genommen, du oder ich?" fragte Herr Claypole.

      "Ich nahm es für dich, lieber Noah", erwiderte sie.

      "Habe ich es etwa behalten?"

      "Nein, du vertrautest es mir an und ließest es mich tragen, Liebling", damit klopfte sie ihm unter das Kinn und legte ihren Arm in den seinigen.

      Es verhielt sich wirklich so. Er hatte ihr das Geld aber nur gelassen, damit es bei ihr gefunden würde, falls man sie verfolgte. Er konnte dann seine völlige Unschuld an dem Diebstahl beteuern und der Verhaftung entgehen. Natürlich ließ er sich bei dem jetzigen Anlaß in keine Erörterung seiner Beweggründe ein, und so wanderten sie in schönstem Einvernehmen weiter.

      Durch allerhand schmutzige Straßen schleppte der Jüngling nun Charlotte und blieb endlich vor dem elendesten Gasthaus stehen, das ihm bis jetzt zu Gesicht gekommen war. Hier beschloß er zu übernachten.

      "Gib mir jetzt das Bündel", sagte Noah, "und rede nur, wenn du gefragt wirst. Wie heißt das Wirtshaus? D-r-e-i, drei was?"

      "Krüppel", las Charlotte.

      "Drei Krüppel", wiederholte Noah. "Kein übler Name! – Bleib immer dicht bei mir, und nun los!" Nach diesen Worten stieß er die knarrende Tür auf, und sie traten ein.

      .In der Gaststube war nur ein Judenjüngling, der mit beiden Ellbogen sich auf den Schanktisch stützte und in einer schmutzigen Zeitung las. Er starrte Noah an und dieser ihn.

      "Sind dies die 'Drei Krüppel'?" fragte Noah.

      "Das ist der Name des Hauses", erwiderte der Jude, er sprach etwas durch die Nase.

      "Ein Herr, den wir draußen trafen, hat uns hierher empfohlen. Wir möchten hier übernachten."

      "Ich weiß nicht, ob es gehen wird, aber ich will fragen", sagte Barney, denn dieser war der dienstbare Geist.

      "Geben Sie uns inzwischen etwas kaltes Fleisch und 'nen Schluck Bier."

      Barney führte sie in ein kleines Hinterzimmer und brachte das Verlangte. Nach ein paar Minuten kam er mit der Nachricht zurück, daß sie über Nacht bleiben könnten. Dann ließ er das Pärchen allein. – Das Zimmer konnte von der Gaststube aus durch ein kleines Fenster, das sich unter der Stubendecke befand, beobachtet werden, auch konnte man gut hören, was in ihm gesprochen wurde. Als Barney wieder an den Schanktisch zurückkehrte, trat Fagin ein, um nach einem seiner jungen Freunde zu fragen.

      "Pst!" machte Barney, "es sind Fremde im kleinem Zimmer."

      "Fremde?" wiederholte der Alte leise.

      "Ja, komisches Volk", meinte Barney. "Sie kommen aus der Provinz, und ich müßte mich sehr täuschen, wenn sie nicht etwas für Euch wären."

      Fagin hörte diese Mitteilung mit großem Interesse und stieg sofort auf einen Stuhl, um das Paar durchs Fenster zu beobachten. Er sah, wie Herr Claypole dem Fleisch und Bier tüchtig zusprach und an Charlotte nur homöopathische Gaben verteilte.

      "Aha!" flüsterte Fagin, sich zu Bamey wendend. "Die Miene des Jünglings gefällt mir. Den können wir gebrauchen, er versteht es, mit dem Mädel richtig umzugehen. Sei jetzt mal mäuschenstille, Freundchen, damit ich hören kann, was sie sprechen." Er lauschte und hörte Noah sagen:

      "Ich denke von jetzt ab den Herrn zu spielen und will nichts mehr von alten Särgen wissen. Und du, Charlotte, kannst eine Dame werden, wenn du Lust hast."

      "Ich möchte wohl, mein Lieber", antwortete das Mädchen, "aber es gibt nicht alle Tage Schubladen zu leeren."

      "Hol der Teufel die Schubladen!" entgegnete Herr Claypole. "Es gibt noch andere Dinge, die geleert werden können."

      "Und das wäre?"

      "Taschen, Häuser, Postwagen, Banken", meinte Noah, den das Bier mutig machte.

      "Aber das kannst du doch nicht alles allein machen, Liebling", sagte Charlotte.

      "Ich werde mich nach Kameraden umsehen, die es können. Man wird uns auch brauchen können. Du selbst bist fünfzig Weiber wert, denn ich habe nie ein gerisseneres, spitzbübischeres Geschöpf gesehen als dich, sobald ich dich nur gewähren ließ."

      "Mein Gott, wie du schmeicheln kannst", rief das Mädchen und drückte einen Kuß auf seine Lippen.

      "Na, 's ist schon gut! Sei nicht zu zärtlich, wenn ich Grund habe, mit dir böse zu sein", sagte Noah, sehr würdig. "Ich möchte der Hauptmann einer Bande sein, ich würde


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