Das Pfannen-Deckel-Prinzip. Bianca Nias

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Das Pfannen-Deckel-Prinzip - Bianca Nias


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richtet sie sich auf und lässt sofort den Stapel Stoffservietten, den sie in der Hand hat, auf die nächstgelegene Tischplatte fallen.

      »Tobi! Ist was passiert?« Sie eilt auf mich zu, bleibt vor mir stehen und packt mich an den Oberarmen, um mich eingehend zu betrachten.

      Ich mag Berührungen im Allgemeinen nicht sehr gern, nur die von Jasmin und Mama bilden eine Ausnahme. Schließlich ist Jassy meine kleine Schwester und ich kenne sie von Geburt an.

      »Ich hab mit einem Mann gesprochen«, platzt es stolz aus mir heraus.

      »Puh. Dann ist ja gut.« Sie schnauft, lässt mich wieder los und streicht sich eine Strähne ihres blonden Haars, das sich aus dem Pferdeschwanz gelöst hat, hinters Ohr zurück. Als sie sich mir wieder zuwendet, erhellt ein breites Grinsen ihr Gesicht. »Ein Mann? Oh, das sind ja tolle Neuigkeiten. Los, erzähl mir davon!«

      »Musst du nicht erst noch fertig eindecken?«, frage ich und deute auf die Tische, an denen sie gerade beschäftigt gewesen ist.

      Sie winkt jedoch ab. »Kann ich später noch machen. Komm, setz dich.«

      Die Tür zur Küche öffnet sich und Wilhelm, der Inhaber des Rathauscafés, kommt mit einem Tablett voller Blumenvasen in den Gastraum, das er schnaufend auf dem Tresen abstellt.

      »Hallo, Tobias«, grüßt er mich. »Willst du Jasmin abholen? Ihr könnt auch schon nach Hause gehen, den Rest schaffe ich heute allein. Ist ja sowieso nix mehr los, da kommt jetzt bestimmt keiner mehr.«

      »Nein, ich helfe euch noch«, wehre ich ab.

      Tische eindecken gehört neben dem Einräumen der Spülmaschine zu meinen liebsten Tätigkeiten, wenn ich ab und zu meiner Schwester helfen darf. Was sie zu meinem Bedauern allerdings viel zu selten zulässt, weil ich ihr dabei zu langsam bin. Jetzt aber nimmt sie meine Hand, zieht mich zu den halbfertigen Tischen hinüber und drückt mir den Stapel Servietten in die Hand.

      »Nun gut, du darfst ausnahmsweise die Servietten übernehmen. Aber nur, wenn du mir dabei alles erzählst. Ich will jede Kleinigkeit hören!«

      Während ich die Stoffservietten ordentlich falte und sie auf den Tischen verteile, berichte ich ihr ausführlich vom Besuch meines neuen Agenten. Wie immer lässt mich Jassy zunächst ausreden, dann erst unterbricht sie ihre Arbeit und wendet sich mir wieder zu.

      »Hey, das klingt doch super. Du scheinst ihn zu mögen«, stellt sie fest.

      »Weiß nicht«, brumme ich abwehrend, während meine Hände die vielfach trainierten Bewegungen ausführen, um die starren Stoffservietten in die gewünschte Form zu bringen. Mich gleichzeitig dabei zu unterhalten, hat viel Übung gebraucht und gelingt mir auch nur in einem ganz bestimmten Umfeld, wenn ich entspannt bin und mich wohlfühle.

      »Und er hat dir nicht verraten, was er von dir will?«, fragt Jasmin nach.

      Ich schüttele den Kopf. »Noch nicht. Vermutlich aber genau das, womit Irina mich schon seit Wochen belabert.«

      »Die wollen noch immer, dass du mit einem Bühnenprogramm auftrittst?« Meine Schwester schnaubt, während ich ungehalten seufze.

      »Ja, ich schätze, genau das.«

      »Du musst diesem neuen Agenten die Wahrheit sagen«, ermahnt Jasmin mich nun, doch ich schüttele sofort wieder heftig den Kopf, weil ich genau weiß, was sie meint. Schließlich hat sie mir das oft genug gesagt.

      »Nein. Das geht niemanden etwas an.«

      »Okay. Es ist allein deine Entscheidung.« Sie breitet eine blütenweiße und saubere Decke über den Tisch, den sie gerade mit einem nassen Lappen abgewischt hat, und zupft sie zurecht. »Ich denke trotzdem, dass deine Agentur darüber Bescheid wissen muss«, fährt sie dann allerdings fort. »Tobi, du bist ein toller Mann und ein noch besserer Bruder. Ich liebe dich genau so wie du bist, aber ich will nicht, dass du missverstanden und dann falsch behandelt wirst, nur weil die Leute es nicht wissen.«

      »Und ich will nicht als behindert abgestempelt werden«, knurre ich ungehalten.

      Diese Diskussion haben wir zu meinem Leidwesen schon oft geführt, dennoch vertreten wir dabei jedes Mal einen gegensätzlichen Standpunkt. Ich komme gut zurecht, habe jahrelang geübt und das Verhalten meiner Mitmenschen studiert. Meine Psychologen haben mir geholfen, eine Taktik zu entwickeln, wie ich den Situationen aus dem Weg gehen kann, die mich überfordern oder von denen ich weiß, dass ich sie nicht bewältigen kann.

      Reflexion, Selbsteinschätzung und die Fähigkeit zur Konfliktbewältigung sind Dinge, die mir niemand zugetraut hat und die ich mir Stück für Stück hart erarbeitet habe, indem ich mich ständig hinterfragt, analysiert und kritisiert habe. Wenn aber andere Leute mitbekommen, dass ich ein Asperger bin, behandeln sie mich wie ein Kleinkind. Das kann ich weiß Gott nicht ertragen.

      »Du bist auch nicht behindert«, meint Jasmin, kommt zu mir herüber und tätschelt mir über den Rücken. »Du bist der intelligenteste Mensch, den ich kenne. Bei manchen Sachen reagierst du einfach anders, das ist alles.«

      »Bei ziemlich vielen Sachen«, korrigiere ich sie selbstkritisch. Ich schaue mich im Gastraum um. Die Tische sind fertig. »Kann ich noch die Spülmaschine einräumen?«, frage ich hoffnungsvoll, aber auch, um endlich das Thema zu wechseln.

      Jasmin kichert. Warum auch immer. Habe ich gerade etwas Lustiges gesagt?

      »Sorry, das habe ich vorhin schon erledigt, du kommst zu spät«, erwidert sie jedoch nur. »Aber du kannst mich gerne nach Hause begleiten und mir auf dem Weg erzählen, welches Thema du für den Podcast morgen vorbereitet hast.«

      Wir verabschieden uns von Wilhelm und ich bringe Jassy noch bis zu ihrer Wohnungstür. Sie wohnt ebenfalls nur ein paar Straßen vom Rathauscafé entfernt, in dem sie seit drei Jahren als Kellnerin arbeitet. Dabei hat sie einen guten Schulabschluss und hätte einen weitaus besser bezahlten Beruf erlernen können, aber sie wollte weder Bankangestellte, Arzthelferin noch Kindergärtnerin werden. Ihr gefällt es, den ganzen Tag herumzurennen, die Leute zu bedienen und es tagtäglich mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun zu haben.

      Wie kann man so etwas nur mögen?

      Das ist allerdings nicht das Einzige, was ich an meiner Schwester nie begreifen werde.

      Luíz

      Guter Dinge mache ich mich am nächsten Nachmittag wieder auf den Weg in die Goldbachstraße, wo Kämmerer wohnt. Das Viertel wirkt dank der sonntäglichen Ruhe wie ausgestorben, aber da die meisten Menschen bei diesem Mistwetter zu Hause geblieben sind, muss ich ziemlich lang nach einem Parkplatz suchen.

      Mit viel Glück entdecke ich am Ende der Straße eine Parklücke, in die ich meinen BMW gerade so hineinquetschen kann, ohne den Vordermann zu sehr einzuparken. Ich grummele ungehalten. Vor meinem Umzug in diese Stadt habe ich wohlweislich nach einem Appartement gesucht und auch eines gefunden, zu dem ein Tiefgaragenstellplatz gehört. Mein heiß geliebtes Auto ist nämlich für die hiesigen Verhältnisse zu groß, aber ich habe es größtenteils finanziert und zahle es noch immer ab. Daher wäre es blöd, jetzt auf ein kleineres Modell zu wechseln, bloß weil es für den Stadtverkehr praktischer ist.

      Pünktlich stehe ich vor Kämmerers Wohnungstür, die mir dieses Mal auch sofort nach dem ersten Klingeln aufgemacht wird.

      »Hallo«, sagt Kämmerer zurückhaltend, wobei er meine zur Begrüßung dargereichte Hand ignoriert und einem direkten Blickkontakt ausweicht. Stattdessen fixiert er einen Punkt irgendwo neben meinem rechten Schuh.

      Oh Mann, der Typ ist wirklich mehr als nur schüchtern! Das habe ich von ihm als Comedian nicht erwartet.

      »Hallo, Tobias.« Möglichst unauffällig ziehe ich meine Hand zurück und betrachte ihn nachdenklich. Er hat Schuhe und Jacke an, als würde er gerade das Haus verlassen wollen. »Bin ich zu spät?«

      Mit einem Stirnrunzeln zieht er sein Handy aus der Jackentasche hervor und entsperrt das Display.

      »Nein, zu früh«, stellt er dann fest. »Wir hatten siebzehn


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