WILDER FLUSS. Cheryl Kaye Tardif

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WILDER FLUSS - Cheryl Kaye Tardif


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sahen sie eindringlich an. »Dass du mich brauchen würdest.«

      Del machte ein finsteres Gesicht.

      Eher würde die Hölle gefrieren, bevor sie TJ jemals wieder brauchen würde.

       Nach dieser Reise, versteht sich.

      TJ seufzte frustriert. »Sie meinte, du seist überzeugt, dass dein Vater noch am Leben ist – irgendwo im Norden. Und dass du eine Karte hast oder irgend so was.«

       Irgend so was.

      »Wann willst du aufbrechen, Del?«

      Sie hielt den Atem an.

      »Zwei Wochen?«

      »So bald schon?« Er hob vor Schreck die Augenbrauen. »Das lässt uns nicht gerade viel Zeit, um Vorbereitungen zu treffen. Wir werden einen Wegführer brauchen. Jemand, der sich in den Bergen auskennt. Und ein paar mehr Leute, das ist sicher. Jemanden, der den Code entschlüsseln kann und jemanden, der weiß, wie man mit einem Kanu umgeht. Irgendwelche Vorschläge?«

      »Peter Cavanaugh. Erinnerst du dich an ihn?«

      »Ist das nicht der Kleine, der in dich verschossen ist?«

      Del errötete. »Er hat mir erzählt, dass er letzten Sommer an einer Wildwassertour teilgenommen hat. Sagt, er sei ziemlich gut, und er scheint wirklich interessiert zu sein, mitzukommen. Vielmehr hat er darauf bestanden.«

      »Mann! Den hat’s ja schlimm erwischt. Hörst du dich nach weiteren Leuten um oder soll ich?«

      »Nein, mach du nur. Frag, wen immer du willst. Was immer vonnöten ist, meinen Dad zurückzubringen.«

      In betretenem Schweigen tranken sie ihre Cappuccinos zu Ende.

      Als sie sich von ihrem Platz erhob, um aufzubrechen, hielt er sie zurück. Er öffnete den Mund, als ob er etwas sagen wollte, gab dann aber wortlos ihren Arm wieder frei.

      »Ich kann nicht auf dich warten«, mahnte sie. »Wenn du das also tun willst …«

      »Ruf mich am Montag an«, schnitt er ihr das Wort ab. »Ich sehe zu, dass ich ein paar Leute auftreibe, die mitkommen.«

      Er folgte ihr zum Ausgang, und sie blickte ihm nach, als er die Straße überquerte. Auf der anderen Seite angekommen, hob er eine geschlossene Faust an sein Ohr, streckte Daumen und kleinen Finger ab und wackelte mit der Hand. »Ruf mich an!«

      Auf dem Weg nach Hause spürte Del ein Brennen in der Kehle. Sie straffte ihre Schultern und kämpfte gegen den Drang an, zusammenzubrechen. Keine Zeit für Tränen. Das Leben ihres Vaters hing von ihrer Stärke und Entschlossenheit ab. Sie würde ihn nicht im Stich lassen.

      Zurück in der Vertrautheit ihrer kleinen Dreizimmerwohnung, suchte ihr Blick den Kaminsims und verweilte auf einem Foto ihres Vaters. Sie erinnerte sich an sein ansteckendes Lachen und die platten Witze.

      Dann brachen alle Dämme.

      Sie trauerte um ihren Vater – einen Mann, der von allem fortgerissen wurde und jedem, den er liebte. Ein Mann, der auf sein Schicksal in Form von Gott-weiß-was wartete. Sie beweinte all die verlorenen Jahre und die junge Frau, die an seinem Grab gestanden und fest geglaubt hatte, ihr Vater wäre für immer von ihr gegangen. Als ihre Tränen nachließen, verfiel sie in düstere Schwermut. Sie sehnte sich nach ihrem Vater, verängstigt, es könnte bereits zu spät sein.

      »Dad?«, rief sie in den leeren Raum. »Ich komme dich holen.«

      Erschöpft und emotional völlig aufgelöst schlief sie auf dem Sofa ein und träumte von ihrem Vater – jung und voller Leben. In ihrem Traum täuschte er Verärgerung vor, als sie ihn und seine Pokerkameraden eines Nachts besiegte, obwohl sie genau wusste, dass er insgeheim stolz auf sie gewesen war. Dann sprang der Traum zu dem Abend, an dem sie ihre Eltern zum Abendessen in ihr kleines Zweizimmerappartement eingeladen hatte. Ihr Vater hatte sie wegen ihrer Yorkshire Puddings aufgezogen, weil diese immer wie Hockeypucks aussahen. Er hatte sie immer Türstopper genannt.

      Sie lächelte im Schlaf.

      Plötzlich wurde sie vom schrillen Klingeln ihres Telefons jäh aus den Träumen gerissen.

      »J-Ja?«

      »Delly?«

      Sie setzte sich abrupt auf und klammerte sich an das Telefon.

      »Professor Schroeder? Wie haben …«

      »Delly, ich … keine Zeit. Du musst … Herzen folgen. Und vergiss nicht, … jeden Stein … Ker … Bio-Tec.«

      »Professor, ich kann Sie kaum verstehen! Ich war bereits bei Bio-Tec. Sie wissen dort von nichts.«

      »Gehe zurück! Nimm Ker… gan…«

      Die Verbindung riss ab.

      Voller Panik ließ sie das Telefon fallen, schnappte sich einen Notizblock und kritzelte hastig Schroeders Worte auf eine leere Seite.

      Verdammt! Sie musste Bio-Tec am Morgen noch einmal einen Besuch abstatten. Und todsicher würde Edward Moran da sein – mit seinen widerlichen, glitschigen Lippen –, um Del zu empfangen.

      ***

      Edward schlug wütend die Faust auf den Tisch.

      »Wo zum Teufel sind sie, du Scheißteil?«

      Es war sehr früh am Morgen und Moran saß im NB-Labor und hämmerte wie wild auf die Tastatur vor ihm ein. Der Bildschirm zeigte ihm immer wieder nur dieselbe Meldung.

       Keine Dateien gefunden!

      Es war schon sieben Jahre her, seit Lawrence Hawthorne verschollen gegangen und für tot erklärt worden war. In dieser Zeit hatte Moran einen Großteil der Forschung von Lawrence übernommen, doch er war sich absolut sicher, dass da noch mehr war. Er vermutete, dass der Mann einen Verschlüsselungsexperten beauftragt hatte und seine Dateien so encodieren ließ, dass sie so gut wie unsichtbar waren. Doch sie waren da. Irgendwo. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er sie finden würde.

      Hawthorne hatte an etwas Großem geforscht, bevor er verschwand. Und offenbar wusste noch jemand davon. Vor vier Jahren war in das NB-Labor eingebrochen und alles auf den Kopf gestellt worden. Wer auch immer der Einbrecher gewesen war, er hatte sich mit einer Reihe Akten und Notizbüchern davongemacht … und mit Hawthornes Laptop.

      »Suchen Sie nach etwas Bestimmtem?«

      Edward warf dem Doktor im weißen Kittel, der in einer Ecke stand und mit Reagenzgläsern hantierte, einen scharfen Blick zu. »Wie bitte, Jake?«

      Der Doktor kam näher, während Edward auf die Tastatur tippte und hastig das Dateiverzeichnis des Labors verließ.

      »Hab mich nur gefragt, ob Sie nach etwas Bestimmtem suchen.«

      »Ich wäre Ihnen wirklich sehr dankbar, wenn Sie sich einfach wieder dem widmen würden, mit was Sie sich auch immer gerade beschäftigt hatten, und mich einfach meine Arbeit machen ließen.«

       Vollidiot!

      Edward suchte angestrengt nach dem Nachnamen des Doktors. Er fiel ihm nicht ein. Jake wie-auch-immer war bereits seit fast zehn Jahren bei Bio-Tec – nur zwei Jahre weniger als Edward selbst –, aber sie hatten nie zusammengearbeitet. Als der Vorstand nach Lawrences Verschwinden einen neuen Geschäftsführer gewählt hatte, war Jake nur um Haaresbreite auf dem zweiten Platz gelandet. Edwards Dienstalter hatte sich letztendlich durchgesetzt.

      Edward verkniff sich ein hinterhältiges Lächeln.

      Mit höchst moderner Ausstattung und Spitzentechnologie strahlte das Labor Leistung und Erfolg aus. Er war umgeben von zahlreichen Mitarbeitern, die geschäftig über Testergebnisse plauderten. Für Edward hörte es sich an wie eine Art interner Code einer geheimen Organisation.

       Meine Einladung muss wohl in der Post verloren gegangen sein.

      Als Geschäftsführer eines Topunternehmens


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