Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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redigiert hatte!

      »Vor der Not fürcht' ich mich nicht!« sagte Thea, den blassen Kopf erhebend ... »...die Not ist etwas Großes ... etwas Furchtbares ... Ich will gern hungern, wenn es sein muß, und arbeiten, daß mir das Blut unter den Nägeln hervorkommt ... und auch die Armut fürcht' ich nicht ... die eigentliche Armut ... Aber das, was damit zusammenhängt ...« Georg fühlte instinktiv, daß sie wieder dasselbe gedacht hatte wie er ... »...all die Niedrigkeit und Erbärmlichkeit und der Schmutz ... ach ... der Schmutz ... ich glaube ... der ist da überall und in jedem Sinn! Man muß sich vor verächtlichen Leuten bücken ... man muß sich von anderen verächtlichen Leuten als seinesgleichen behandeln lassen ...«

      »Und ob!« murmelte Georg.

      »...kurz ... eben alles, wie wir es jetzt bei Papa gesehen haben!« fuhr Thea fort ... »...was war er früher für ein stolzer, herrischer Mann ... und nun zuletzt ... du warst nicht dabei, aber ich, wie er sich hat von einem Zigarrenhändler auf die Schulter klopfen lassen und fünfundzwanzig Stück Havannas schenken lassen ... und wie er einem Kellner die Hand geschüttelt hat. Das kommt mir schrecklicher vor, als daß man im Gefängnis sitzt.«

      Georg seufzte. »Mir auch, Thea!«

      Sie war aufgestanden und trat bang vor ihn. »Wenn es uns nun auch so ginge, Georg!« flüsterte sie verstört ... »...jetzt sind wir noch freie, stolze Menschen! Aber wie wird es in ein paar Jahren ausschauen? Dann hat uns vielleicht das Leben ganz geknickt, und wir sind klein und niedrig geworden und betteln herum und machen uns verächtlich, bloß um noch ein bißchen weiter leben zu dürfen. Denn dann hängt man ja gerade daran ... wie der arme Papa ... wenn es gar keinen Wert mehr hat ...«

      Er fuhr auf und suchte mit den Blicken nach Hut und Stock ... »...So komm!« raunte er kurz und drohend.

      Da merkte er doch, daß sie zurückschauderte. Sie schaute auf die Gasse hinab und schüttelte dann den Kopf. »Jetzt nicht ... jetzt ist's finster und häßlich draußen. Da geh' ich nicht aus dem Hause. Da hab' ich nicht den Mut dazu. Erst wenn die Sonne scheint und alles freundlich ist ...«

      Er setzte sich wieder. »Siehst du wohl ...« meinte er nachdenklich ... »...das ist so eine Sache! ... ich kenne das ... Im letzten Augenblick zupft einen immer so etwas am Rockärmel und hält einen zurück!«

      Aber das glaubte ihm Thea nicht.

      »Morgen ist noch ein langer Tag ...« sagte sie sehnsüchtig ... »...und meinetwegen sorg' dich nicht! ... ich mach' die Augen zu und geh' mit dir!«

      Dann schwiegen beide. Zwischen ihnen flackerte das Licht unstät hin und her und plötzlich erlosch es.

      »Da sitzen wir nun im Dunkeln!« Georg suchte in der Tasche ... »...und Streichhölzer hab' ich auch nicht mehr, daß man eine neue Kerze ...«

      »Es ist keine mehr da!« tönte ihm gegenüber die helle Stimme aus der Finsternis ... »...das war das letzte Stümpfchen!«

      »Also Dunkelarrest!« Der Herrenreiter war halb ärgerlich, halb belustigt ... »...ein Glück, daß ich da bin! Sonst würde sich das arme, kleine Mädchen da drüben jetzt zu Tode fürchten ...«

      »Ja ... aber so ...« ihre Stimme klang weich und zärtlich ... »...so ist's recht schön! ... so heimlich ... jetzt kann man träumen ...«

      »Taste dich lieber in dein Zimmer hinüber,« sagte Georg ... »...und schlaf ein bißchen!«

      Aber er vernahm kein Rücken des Stuhls gegenüber.

      »Ich bleibe hier ...« sprach sie nach einer Weile müde ... »...wir wollen hier beisammen sitzen und warten, bis die Sonne wieder aufgeht ... wie die verirrten Kinder im Märchen ...«

      »Recht ausgewachsene Kinder ...« meinte der Sportsman.

      »Ach ...« durch ihre Worte tönte es wie ein mattes Lächeln ... »...ich glaube, für dies böse Berlin da draußen sind wir beide doch noch halbe Kinder ... du auch, trotz all deiner dummen Streiche – schlechte hast du ja nicht gemacht ... sonst wär' ich nicht bei dir! Du weißt auch noch nicht viel vom Leben und der eigentlichen Welt ... die lernt man im Kasino nicht kennen ...«

      »Ja ... darin hast du schon recht!«

      »Nun also ...« sagte sie schläfrig ... »...und verirrt sind wir doch auch ... gründlich verirrt, daß wir nicht aus noch ein mehr wissen. Wie zwei Schiffbrüchige sitzen wir da auf einer wüsten Insel ...«

      Er erwiderte nichts. Er hoffte, daß sie nun einschlafen würde.

      Eine Weile war es still. Dann hörte er durch das Dunkel ein paar schwere Atemzüge, denen langsam in langen Pausen andere folgten.

      Gott sei Dank ... sie schlief!

      Und auch ihm fielen die Augen zu. So wie sie es wohl auch getan, legte er die Arme auf die Tischplatte, den Kopf darauf ... und bald war er drüben bei ihr im Reich der Träume.

      Nach drei, vier Stunden wachte er auf. Die unbequeme Lage verscheuchte den allmählich leiser werdenden Schlummer. Die Arme waren steif wie Hölzer, der Rücken schmerzte, der Kopf war wüst und schwer.

      Er gähnte und sah verstört um sich.

      Der erste Morgen dämmerte und erfüllte das Gemach mit seinem fahlen Schein. So sah der unwirtliche Raum doppelt trostlos aus, in diesem Licht, das keine Farbe und keinen Schatten hatte und das gleiche, eintönige Grau über Tisch und Stühle, über die zerknitterten Zeitungen am Boden und die schiefgenagelten Bilder an den Wänden warf.

      Er wollte aufstehen. Da klirrte es neben ihm. Die große Redaktionsschere, an die er unversehens angestoßen, polterte auf die Dielen nieder.

      Er biß sich zornig auf die Lippen. Aber nun war das Unglück geschehen! Es bewegte sich das schwarze Lockengewirr, das, von zwei schmalen, weißen Händen umrahmt, ihm gegenüber auf dem staubigen Tisch lag, und langsam richtete sich ihr blasser Kopf empor.

      Nach einer Weile begriff Thea, wo sie sich befand.

      Sie stand auf und dehnte den schlanken Leib.

      »Hier ist's trostlos!« sagte sie leise ... »...ich hab' mich auf den Morgen gefreut. Aber sieh nur, wie grau und öde alles ist! ... Ich kann es nicht mehr sehen. Ich will fort von hier ... jetzt gleich ...«

      »Wohin denn, Thea?«

      Sie war ans Fenster getreten und schaute zu dem Himmel auf, der blaßblau über der menschenleeren Gasse schimmerte.

      »Es wird heute ein wunderschöner Sommertag ...« meinte sie ... »...wenn wir den da draußen verleben könnten, Georg ... irgendwo in Wald und Flur ... und an einem großen See ... es gibt ja welche bei Berlin ... da bringen wir den Tag so hin und essen in irgend einem freundlichen kleinen Wirtshaus ... und legen uns dann ins Gras und denken, wenn die Wolken so über uns hinziehen, das wäre alles ein böser Traum gewesen ... und wir hätten ein Rittergut und Geld in Hülle und Fülle und brauchten uns um die Zukunft nicht zu kümmern.«

      »Schön wär' das schon!« sagte Georg ... »...nur ... wenn wir abends nach Berlin zurückfahren, haben wir kein Rittergut und blutwenig Geld, dafür aber einen ganzen Tag verloren ...«

      »...Ja ... wenn wir nach Berlin zurückkehren ...« sie sprach das stockend und bang, und ihrer beiden Augen trafen sich plötzlich wieder in jäh aufleuchtendem Schrecken.

      Das meinte sie also! Darum sprach sie von dem großen See?

      »Warum willst du denn aber gerade an einen See?« fragte er.

      Thea blieb ganz ruhig. »Ich denke es mir so ...« sagte sie langsam ... »...wenn wir so einen recht schönen, goldenen Tag da draußen verbracht haben, dann wundert es niemanden, daß so ein Pärchen wie wir einen Kahn mietet und spazieren fährt ... gegen Abend, wenn es nicht mehr so heiß ist und die Sonne allmählich untersinkt und alles dämmerig wird ... und du ruderst eben weiter und immer weiter hinaus und läßt endlich die Ruder sinken ... und wenn du dann einen Strick oder sonst etwas um uns legst, daß wir beisammen bleiben, dann will ich die Augen zumachen und nur noch ein Vaterunser


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