Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


Скачать книгу
schritten durch die Vorstädte dahin, umbrandet vom Gewimmel des Verkehrs. Schlecht gekleidete Gestalten stießen sie auf dem Bürgersteig an, saloppe Menschen drängten sich, ohne ein Wort der Entschuldigung, an ihnen vorbei, vor den Grünkramkellern stierten alte Weiber Thea mit frecher Neugier ins Gesicht, schmutzige Kinder huschten um sie her und johlten in den Torwölbungen und düsteren Höfen, ein Schutzmann fluchte auf einen abgerissenen Kutscher, der mit seinem triefenden Mörtelfuhrwerk einen milchbeladenen Hundekarren umgestoßen hatte, der Polacke radebrechte peitschenknallend wider, die Köter kläfften, ein paar Frauen zeterten dazwischen ... übler Dunst lag über der ganzen glühendheißen Straße, die ihren Staub und Rauch bei jedem Atemzug in die Lungen mitgehen ließ ... ein ewiger, wüster Lärm ... Pferdebahngeklingel ... rauchende Schlote ... ein verkrüppelter Streichholzhändler am Boden ... die Töne eines verstimmten Klaviers aus der Eckdestille ...

      »O pfui! ...« sagte Thea plötzlich und machte eine schaudernde Bewegung.

      Er antwortete nicht.

      »O pfui!« wiederholte sie nach einer Weile in sehnsüchtiger Klage ... »...wie häßlich ... wie häßlich!«

      ... Schau die Menschen alle an, Georg! ... wie freudlos und schmutzig sehen sie alle aus ... wie gemein ist das alles! ... kein schönes Gesicht unter den Hunderten, die an uns vorbeigehen ... kein freundlicher Laut ... alles roh und wüst ... wie soll man da leben! ...«

      Er zog sie mit sich. »Komm jetzt nur, Thea!«

      »Wohin?«

      »Wohin?« Er lachte bitter auf ... »...auf die Redaktion des seligen »Paprika«! Das ist vorläufig unser einziger Schlupfwinkel in der weiten Welt!«

      XV.

       Inhaltsverzeichnis

      Mitternacht!

      Draußen auf der Gasse regte sich nichts mehr, und auch drinnen, in dem öden, halbdunklen und halbleeren Raum, war es still.

      Sie saßen einander am Tisch gegenüber und sahen sich über die flackernde Kerze hin an, zwei schweigsame, traurige Menschen ...

      Er hatte ihr zugeredet, sich hinzulegen. Fühlte er sich doch selbst todmüde! Aber sie schüttelte den Kopf ... »...für die paar Stunden ...« meinte sie träumerisch, und ein seltsamer Ausdruck glitt über ihr blasses Gesicht.

      Er stand ärgerlich auf. »Was heißt denn das ... Thea ... mit den paar Stunden ...?«

      »...Das mußt du wissen ...« sie schaute zu ihm auf ... »...das hast du zu bestimmen ... nicht ich! ... ich sage dir eben nur: auf mich nimm keine Rücksicht! Ich folge dir überallhin, wohin du willst ...«

      Immer und immer wieder diese Lockung ... dies leise, wollüstige Grauen ... dies vorsichtige, bebende Spiel mit der Vernichtung ...

      Vernichtung ... das war auch nur so ein Wort. Man ging eben einfach weg! ... Wie man aus einer Gesellschaft weg geht, die einem nicht paßt! Dazu brauchte man keine Sentimentalität ... keinen Zorn ... keine Verbitterung und Aufregung ... nichts! Das ließ sich in aller Ruhe erledigen! Man schrieb einfach einen Zettel an Heerwaldt oder Hanitz oder sonst einen guten Kameraden in der Garnison: »Ich und meine liebe Freundin Thea – wir haben gefunden, daß die Welt für Menschen ohne Geld eine ganz fabelhaft unanständige Einrichtung ist. Darum entfernen wir uns in aller Stille und raten euch nur: Unterschreibt keine Ehrenscheine und habt keine Wechselfälscher zu Vätern. Sonst kriegt euch der alte, ehrliche Heinlein beim Wickel und jagt euch mit seiner Meute über Stock und Stein ... und ihr könnt ...«

      »...Schließlich ...« sagte Thea, ganz plötzlich, seine Gedanken unterbrechend und wie zu sich selbst ... »...ein bißchen Angst ... ein bißchen Schmerzen ... das ist doch nicht so schlimm ... Das geht ja schnell vorbei ...« sie starrte mit großen Augen in das Kerzenlicht ... »...Papa hat es doch gewiß jetzt weit besser als wie er lebte ...«

      Natürlich ... sie hatte wieder dasselbe gedacht wie er. Ihre scheuen Blicke kreuzten sich über der Flamme. Es war doch wirklich entsetzlich, daß man von diesem Gedanken nicht los kam! Einer warf ihn immer wieder dem andern zu. Hatte man ihn aus dem eigenen Kopf verdrängt, so huschte er behende über den Tisch in das Hirn des Gegenübers und kam unversehens von dort wieder zurück.

      Georg, der die Zeit über unruhig durch das Zimmer geschritten, blieb vor Thea stehen und beugte sich hinab. »Thea!« sprach er gedämpft »...wir müssen aus dieser Kirchhof-Stimmung heraus! Es ist die höchste Zeit. Sonst gibt's ein Unglück!«

      »Ja.« Sie neigte das Haupt ... »...wir wollen es versuchen!«

      »Na also ...« Er setzte sich ihr wieder gegenüber und zwang sich zu einem sorglosen Lächeln. »...dann überlegen wir also jetzt einmal, was in Zukunft werden soll. Erste Frage: Wo gehen wir hin?«

      »Wir müssen in Berlin bleiben!« sagte Thea ... »Wir haben ja kein Geld, anderswohin zu fahren!«

      »Schön! Zweite Frage: Bleiben wir in dieser Wohnung?«

      »Sie gehört ja nicht uns!« sagte Thea ... »...und bezahlt ist sie für das letzte Quartal auch noch nicht. Frau Kautz meint, daß der Hauswirt morgen kommt und sie an irgend jemand vermietet ...«

      »Gut! Dann nehmen wir uns also eine andere Wohnung!«

      »Wir haben ja keine Möbel!« sagte Thea. »In den leeren Zimmern können wir doch nicht hausen.«

      »Also nehmen wir möblierte Zimmer!« stieß Georg ärgerlich hervor.

      »Wir sind doch nicht verheiratet ...« sagte Thea ... »...das paßt sich für mich nicht und ich glaube nicht, daß man in einem anständigen Hause uns beide aufnimmt! Und zusammen wollen wir doch bleiben, Georg!«

      »Dann ziehen wir also ins Hotel ... Tür an Türe!«

      »Da wird unser bißchen Geld bald alle werden!« sagte Thea traurig.

      Er stand zornig auf. »Ach was! ... ich werde arbeiten!«

      »Ja ... wenn du nur Arbeit findest ...« sagte Thea ... »...ich will ja auch arbeiten, soviel ich kann ... aber ich fürchte ... es ist schwer!«

      Mehr als schwer! Beinahe unmöglich! Georg sah es wohl ein. Aber er sprach es nicht aus.

      »Es muß gehen!« entschied er mit unsicherer Stimme ... »...irgend eine Brotstelle gibt es sicherlich. Und dann mieten wir uns eine kleine, billige Wohnung und kaufen Möbel auf Abzahlung und ...«

      Er brach jäh ab. So sehr erschreckte ihn selbst der Gedanke. Sie beide, die hochmütigen Aristokraten, in einem Hinterhaus, mit der Aussicht auf einen schmutzigen Hof, in Stube und Kammer eingepfercht, um sie herum kleine armselige Existenzen, vielleicht ein Schutzmann mit Familie auf dem Nebenflur, ein Monteur oder so etwas über ihnen, unter ihnen der Vizewirt, ein grobknochiger, polternder Kerl – und über alles hin aus Winkelküchen und dunklen Schlafzimmern der abscheuliche Armeleutgeruch, der Dunst von Niedrigkeit und Gemeinheit ... o pfui! ... Es fiel ihm ein, wie energisch schon am Abend Thea dies »o pfui!« herausgestoßen hatte.

      Und Thea selbst! Das feine, zarte Geschöpf in der Wirtschaft hantierend ... womöglich ohne Dienstmädchen ... natürlich ohne Dienstmädchen! Wo sollte man es denn hernehmen? – ... sie, die geborene Freiin von Hoffäcker, etwa mit den Weibern des Hinterhauses über die Benutzung der Waschküche verhandelnd oder eigenhändig, wenn die Reihe an ihr war, den Treppenflur scheuernd – das war ja undenkbar, das war ja einfach lächerlich!

      Und ein anderes Heim als das konnte er ihr für den Anfang wenigstens nicht bieten. Soviel hatte er von Berlin jetzt schon gesehen. Es war schon ein großes Glück, wenn er auch nur einen solchen bescheidenen Broterwerb in absehbarer Zeit finden konnte.

      Wenigstens wenn er auf ehrliche Weise sein Brot erwerben wollte! Und dann waren noch Heinlein und seine Spießgesellen hinter ihm her, bis ihn vielleicht die bittere Not dazu trieb, bei einem andern Heinlein und seiner Horde Unterschlupf zu suchen.


Скачать книгу