Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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Zehnmarkstück, das Georg der Schustersfrau unten im Keller in die Hand gedrückt, wirkte Wunder!

      Der Herr Baron könne ganz ruhig sein! Das Nötigste, was das Fräulein für die Nacht brauche, das wolle sie schon hinaufschaffen. Ein paar Matratzen ... freilich auf den Boden hin – denn das Bett des alten Herrn ... das wolle sie doch wohl nicht – ... aber es sei ja jetzt warmer Sommer ... und Kissen und Bezüge ... und ein paar Möbel ... und Waschgeschirr ... Jawohl ... der Herr Baron solle nur das Fräulein indessen hinaufführen ... sie käme gleich mit ihren Leuten nach!

      Oben, im Redaktionsraum des »Paprika« sahen sich die beiden eine Weile in stummem Entsetzen an. Es erschien ihnen ganz unglaublich, ganz furchtbar, daß der fidele, alte Herr, der noch vor wenigen Stunden hier gesessen und mit ihnen geplaudert hatte, daß der nun als ein starrer, ernster Mann weit von hier in einem fremden Hause liege und nie mehr wieder hierher zurückkehren sollte ... in das dürftige, kahle Nest, in das er den Rest seines gescheiterten Daseins geborgen.

      Alles sprach hier noch von ihm in diesen öden vier Wänden. Der rote Fez mit der abgerissenen Troddel, der neben der großen Schere auf alten Zeitungen prangte, die Zigarettenstummel am Boden, die schiefgenagelten Sportbilder an den Wänden, der alte Schlafrock auf dem unordentlichen Bett, darauf ein zerlesener französischer Roman – es war, als harrten alle diese verschossenen und vergilbten Dinge ihres verkommenen, brüchig gewordenen Herrn, als höre man schon seinen bedächtigen, zitterigen Schritt und sein dröhnendes Räuspern unten auf der Treppe.

      Und er würde nie mehr hier eintreten ... nie mehr seinen Rohrstock dort in die Ecke stellen, mit großartiger Handbewegung den grauen Zylinder vor dem Wegsetzen glätten und sich würdevoll mit dem buntseidenen Tuch die Schweißperlen von der kahlen Stirne trocknen ...

      »Auf nachher ... Ihr Lieben ... auf nachher...!« Das waren die letzten Worte des alten Sünders gewesen, als er ging, um für sein geliebtes Töchterchen eine Unterkunft zu suchen.

      Nun hatte er selbst die letzte, die beste Unterkunft gefunden. In bitterem, unaufhaltsamem Schluchzen lehnte sich Thea an die Brust des Freundes ...

      »So ... nu wären wir soweit fertig ...« tönte von der Türe die Stimme der Frau Kautz, die mit einladendem Lächeln nach dem Hinterzimmer wies.

      Dort war in der Tat ein Lager am Boden, und was Thea sonst brauchte, notdürftig gerichtet.

      »Ich danke Ihnen, liebe Frau!...« Thea ging langsam nach hinten ... »...nun brauch' ich nichts mehr ... und wär' am liebsten allein ... Gute Nacht...« sie drückte Georg die Hand und schloß die Türe, während sich die Schustersfrau entfernte.

      Georg Textor war in seine Räume vorn zurückgekehrt und starrte auf die dunkle Straße hinab. Da vernahm er von drüben einen leisen Ruf.

      »...Georg...!«

      Das war ihre Stimme! Hastig trat er auf den Flur.

      Sie hatte die Türe noch einmal geöffnet und stand, vom Lichtschein der innen brennenden Kerze hell umflossen, auf der Schwelle.

      Einen Blick nach rechts und links, wie um sich zu überzeugen, daß die Frau gegangen. Dann streckte sie ihm beide Hände entgegen. »Georg ... ich danke dir!« sagte sie mit tränenerstickter Stimme.

      Dann schloß sich die Türe wieder.

      Sie hatte ihm »du« gesagt!... Sie hatte ihn gern!

      Ein seliges Lächeln lag auf dem hageren Gesicht des kleinen Sportsman, während er die Kerze auf dem Redaktionstische des »Paprika« anzündete.

      Sie nahm seine Hilfe an! Er durfte bei ihr bleiben. Jetzt und vielleicht immer.

      Was war das für ein köstliches Gefühl, was für eine erwärmende, belebende Kraft, mit der dieser Gedanke ihn erfüllte.

      Er durfte für sie arbeiten .. für sie sich sorgen und mühen, welch ein Glück, welch ein großes, unverdientes Glück!

      Es kam Georg Textor vor, als sei er in diesen paar Tagen, seit er die Garnison verließ, ein ganz anderer Mensch geworden.

      Als ein verbitterter, zornmütiger Geselle war er da in die Nacht hinausgefahren. Alle Menschen waren seine Feinde! Sein »Ich«, sein Fortkommen in der Welt – das schien ihm allein beachtenswert!

      Und jetzt ... was lag jetzt an ihm? Jetzt handelte es sich um bessere Dinge. Das arme, süße Geschöpf, das unter seinem Schutze dort drüben schlummerte, das mußte gerettet, das mußte auf den Händen getragen und vor allen Fährlichkeiten und Roheiten der Welt sorgsam behütet werden.

      Wie es ihm selbst dabei erging, das war ganz gleich! Wenn er nur ihr das Leben heiter gestalten konnte! Die hageren Züge des kleinen Sportsmans verklärten sich in freundlich lächelnder Güte und Zärtlichkeit.

      Er fühlte sich so froh ... so leicht. Weiß Gott ... wie ein anderer Mensch! ... wie ein besserer Mensch ...

      Woher kam das?

      Seine Lippen gaben ihm selbst die Antwort: Jawohl ... das war die Liebe ... die reine Liebe, die das Beste aus uns herausholt, was in uns armen Menschen steckt.

      Für andere leben ..., das ist das Glück!

      Er trat vorsichtig auf den Flur, um zu sehen, ob sie noch etwas brauche. Nein! Er vernahm von innen, in langen Pausen, ihre tiefen, schweren Atemzüge. Sie schlief! Die Erschütterungen der letzten Tage, der furchtbare Schlag von heute hatten sie überwältigt. In einem bleiernen, ohnmachtähnlichen Schlummer glich die Natur das Leid und Wehe der Armen aus.

      Lange stand er da. Tiefe Stille ringsum. Kein Laut in der dunklen Nacht, in der er andächtig ihren Schlummer bewachte.

      »Du bist die Ruh – du bist der Frieden ...

       Du bist vom Himmel mir beschieden ...«

      Unwillkürlich summten seine lächelnden Lippen das alte Lied, das er so oft gedankenlos im Konzertsaal gehört, während er auf seinen Wachtposten im Vorderzimmer zurückkehrte.

      Dort starrte er träumend in das Kerzengeflacker.

      Gottes Friede mit dem alten Herrn! Es war ein Glück für ihn, daß es so kam und gerade jetzt so kam, wo noch in seinen letzten Stunden ein Strahl warmer Liebe wie der Abschiedsgruß der sinkenden Sonne sein zerfallenes Leben vergoldet hatte ...

      Jawohl ... jener war morsch und siech! Jener mußte hinüber!

      Aber er, Georg Textor, er war noch kein verlorener Mann! Seine Faust ballte sich, seine Augen blitzten freudig. Er war jung und stark und unverzagt. Er konnte kämpfen und arbeiten trotz Einem!

      Und das wollte er! denn jetzt hatte das Leben für ihn Wert ... und mehr als das ... er stieg vor sich selbst im Werte und gewann eine Achtung und ein Zutrauen zu sich selbst, das er früher nie gekannt.

      Und wieder suchten seine Blicke dankbar jenes Kämmerchen dort hinten, in dem die Geliebte schlief, und wieder klang in ihm die Erinnerung an das alte Lied:

      »Du hebst mich liebend über mich! ...

       Mein guter Geist ... mein bess'res Ich...«

      XIII.

       Inhaltsverzeichnis

      Es klirrte langsam die steile Treppe des Hauses in der Mauerstraße empor ... es stieg ins erste Stockwerk, von da ins zweite und kam unschlüssig, wie suchend, wieder auf den unteren Stiegenabsatz zurück.

      Undeutlich hörte das Georg in seinen Träumen. Er war, auf dem Stuhle sitzend, eingeschlafen. Sein Kopf ruhte auf der Kante des Tisches. Das ausgebrannte Licht stand davor. Er hätte seiner auch nicht mehr bedurft. Denn längst war es draußen heller Tag, und drang das ferne Brausen der Weltstadt in das Zimmer.

      Was dies Klirren nur bedeuten mochte? ... Es vermengte sich mit den bunten Bildern seines Schlummers ... War denn der polakische Bursche verrückt, daß er in aller Gottesfrühe seinen Säbel umschnallte,


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