Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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Was nun weiter?«

      »Das wird sich finden! Vor allem müssen wir Papa die große Neuigkeit mitteilen!«

      »Sie wollten ihn ja ohnedies treffen?«

      Er nickte: »In der American-Bar! Vorher hatt' ich die Absicht, mir hier möblierte Zimmer anzusehen. Und dabei dacht' ich: »Jetzt sitzt die arme, kleine Thea ganz verlassen dort oben. Du springst mal rasch einen Augenblick hinauf und siehst, wie es ihr geht!« ... Na ... und da kam ich ja gerade recht ... Herr Heinlein wird die nächsten Wochen vom Bett aus wuchern müssen!«

      »Und Sie vom Bette aus verklagen und einsperren lassen!«

      »Er wird sich hüten!« Der Sportsman öffnete ihr die Türe ... »...eher bringt man ein altes Huhn ins Wasser als Herrn Heinlein freiwillig vor Gericht! Die Leute dort sind ihm viel zu neugierig und wollen immer viel mehr von seinen Subsistenzmitteln und seinem Vorleben wissen, als ihm lieb ist.«

      »Nun ... dann ist's ja gut!« Thea blieb vor dem Haustor stehen und sah fröhlich zu dem blauen Himmel hinauf ... »Heute scheint auch die Sonne. Heute ist überhaupt alles anders!«

      »Weil wir den Heinlein los sind! Der Kerl hat wie ein Alp auf uns gelastet. Jetzt fängt erst das neue Leben an!«

      »Ja. Das ist gewiß schön! Aber wie wird nun das neue Leben aussehen?«

      »Das weiß ich nicht!« sprach er nachdenklich,, und beide schritten mit ernsteren Gesichtern die Linden entlang.

      X.

       Inhaltsverzeichnis

      Die American-Bar war um diese Stunde gesteckt voll. Vorn an den Glasfenstern des schmalen, langen Raumes saßen dicke Gruppen von Trainern, Jockeys und anderen Turfleuten, weiterhin schimmerten die bunten Mützen einiger Kavallerie-Offiziere, die an der Bar mit der allerhand Cobbler und andere, raffinierte »Drinks« mischenden Weiblichkeit schäkerten, die weißröckigen Kellner glitten hin und her, und ganz im Hintergrund, dicht an der eisernen Wendeltreppe, zeichnete sich eine Tafelrunde höchst zweifelhafter Physiognomien – überkorrekt gekleidete Stutzer und verlotterte, spitzbübisch lächelnde Lümpchen, würdevolle alte Herren und hagere, bleiche Gesellen – im Halbdunkel ab, zwischen denen, nur an den wehenden Favoris und der Glatze erkenntlich, der greise Freiherr thronte.

      »Was sind denn das nun wieder für Menschen?« fragte Thea ängstlich ihren Freund.

      »Es scheinen Winkelbuchmacher zu sein! Warten Sie hier außen, Thea! Das ist kein Lokal für Sie. Ich gehe hinein und befördere Papa ans Tageslicht!«

      Beim Nähertreten bemerkte Georg, daß Herr von Hoffäcker sehr grimmig aussah. Die Unterredung mit der Haushälterin schien nicht nach Wunsch verlaufen zu sein.

      Nicht ohne Mühe entfernte er ihn aus dem Kreise der Catilinarier, deren einer, wahrscheinlich um einen »großen Schlag« zu feiern, die ganze Gesellschaft mit allerhand amerikanischem Greuelzeug freihielt, und führte ihn durch das Lokal.

      Unterwegs teilte er ihm das Ereignis mit.

      Der alte Herr schien ganz fassungslos, als sie ins Freie zu Thea traten. Er sprach kein Wort, seine Augen waren feucht, die Wangen dunkel gerötet.

      Georg und Thea tauschten einen betrübten Blick. Kein Zweifel: Herr von Hoffäcker hatte schon wieder stark gefrühstückt!

      »Haben Sie's ihm denn auch ordentlich gegeben, Textor?« fragte er dumpf nach einer Weile.

      »Leider nicht genug!«

      »Oh doch!« unterbrach ihn Thea ... »Schrecklich war's! Mir schaudert, wenn ich daran denke!«

      »So ... hm ...« der alte Herr wandelte schwerfällig mit ihnen die Linden hinunter ... »nun ... dann können wir ja jetzt spazieren gehen!«

      Das konnte man allerdings! Für den Freiherrn war die frische Luft auch jedenfalls gut. Thea schob ihren Arm in seinen, wie um sich von ihm führen zu lassen, und stützte seine zittrigen Schritte.

      Georg ging nebenher. Zuweilen sahen sie einander stumm an. »Wie wird das nun werden?« lasen sie aus ihren Blicken. »Wir beide sind jung und stark! Wir schlagen uns zur Not durchs Dasein. Aber diese Ruine von einem Menschen zwischen uns ... wie sollen wir auch die noch retten?«

      Es war ein schweigsamer Spaziergang durch die sommerlich grünenden, vielfach geschlängelten Tiergartenpfade. Man hatte ja nur über die eine Frage sprechen können: »Wovon werden wir nun weiter leben?« Und gerade auf diese Frage fand man im Tiergarten keine Antwort.

      Denn die Menschen alle, denen sie hier in diesem vornehmen Walde des Westens begegneten, die hatten zu leben! Offiziere von Kriegsakademie und Generalstab, junge und alte Dandies zu Pferd, greise Millionäre in Rollstühlen, die Familie und den Lieblingshund um sich. Schwärme sorglos spielender Kinder, eilfertig den Park durchquerende Geschäftsleute, promenierende Damen, denen im Schritt die Equipage folgte, die Gesellschafterin neben sich ... ach ja ... diese Leute waren satt und würden morgen satt werden und in vier Wochen auch, wogegen sie drei in vier Wochen vielleicht den letzten Taler sich wehmütig als ein Kuriosum von Hand zu Hand reichten, ehe sie ihn – und gewiß auf recht unvernünftige Weise – ausgaben!

      Diese Betrachtungen stimmten sie nieder. In stillschweigendem Einverständnis drehten sie endlich um und wanderten an den prunkvollen Villen der Tiergartenstraße entlang wieder der Mauerstraße zu, die Georg und Thea vor etwa zwei Stunden verlassen.

      Pfui ... wie häßlich und kahl war das alles, wo man eben noch Luxus und Glanz, wenn auch nur von außen, geschaut.

      Aber Thea war nicht gewillt, sich entmutigen zu lassen. »Da hat er gelegen und mit den Beinchen gezappelt ...« sagte sie befriedigt, auf die mit ein paar kleinen Blutspritzern bedeckten Dielen des Redaktionsraumes zeigend ... »ich erzähle dir noch, wie alles kam, Papa! Ich will nur erst Hut und Handschuh ...«

      Sie blieb sprachlos an der Türe ihres Zimmers stehen.

      Das Zimmer war leer! Völlig leer! Nur in der Ecke ihre zwei Kofferchen, die paar Kleider und sonstigen Effekten unordentlich hinein und darüber gelegt, sonst die vier kahlen Wände!

      Sogar die Gardinen fehlten! Und in den Vorderräumen, in die sie fassungslos zurückkehrte, waren die Fenstervorhänge auch weg. Darum waren ihr die Zimmer beim Eintreten so angenehm hell erschienen.

      Auch der große Lehnstuhl und zwei der anderen Stühle waren verschwunden. Außer dem Redaktionstisch, dem Papierkorb und dem Bett des alten Herrn war fast nichts mehr da.

      Und die Küche? Völlig ausgeräumt! Auf der Kochmaschine, deren Feuer erloschen, lagen, eine alte Zeitung als Unterdecke, ihre Einkäufe für das heutige Mittagsmahl. Und kein Glas, kein Teller, nichts mehr zu sehen.

      »Ja ... was ist denn das?« murmelte sie mit tonloser Stimme.

      Frau Kautz, die Schusterfrau von unten, war heraufgekommen.

      »Sie hat sich nich halten lassen!« berichtete sie ... »was nämlich die frühere Haushälterin hier war. Vor 'ner Stunde kam sie angerückt ... mit 'ner Fuhre und zwei Männer dabei ... ihr Onkel ... gloob ich ... und noch eener ... und wie 'ne Furie 'ruff in die Zimmer ... und fort mit dem Zeug! Was ihr gehöre, das nehme sie mit ... sagt' sie ... und das könnt' ihr nicht passen, sagt' sie, hier auf einmal 'rausgeschmissen zu werden ... wegen der Tochter ... und 'nen Gruß ... und sie zöge zu 'nem Doktor in der Brunnenstraße! ...«

      »Das ist 'ne nette Geschichte!« sagte Georg.

      »Ja, lieber Jott!« Das Schusterweib zuckte die Achseln ... »...so übel können Sie das der Frau nicht nehmen! Wenn man nu mal seine schöne eigene Wirtschaft hat ... det paßt nicht jedem, dann einfach 'ne fremde Dame darin wohnen zu lassen ...«

      Sie blickte im Weggehen verstohlen und etwas mißtrauisch nach Thea. Aber die war nicht mehr im Zimmer.

      Hinten in dem kahlen Gemach kauerte sie auf einem ihrer Köfferchen und starrte trostlos


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