Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.beim letzten Glase Sekt ausgedacht, hier zusammen zu arbeiten und zu hausen. Nun war das altes vorbei.
Und sie war daran schuld!
Sie allein! Wegen ihr war die Haushälterin mit Sack und Pack davongezogen und hatte den alten Herrn hilflos zurückgelassen. Wegen ihr hatte es den Streit mit Heinlein gegeben, durch den Georg die eben gewonnene Stellung und ihr Vater sein letztes bißchen Brot verlor.
Und sie hatte es doch so redlich gemeint! Sie war überzeugt gewesen, eine gute Tat zu begehen, als sie das Telegramm ihrer Verwandten unbeantwortet ließ, um mit dem armen, alten Manne drüben Mühsal und Not zu teilen.
Und nun war sie für ihn nichts als ein Bleigewicht, das ihn noch tiefer und tiefer hinabzog.
Heiße Tränen liefen über ihre Wangen. Wo blieb da die Gerechtigkeit der Welt? Hätte sie denn etwa ihrem Vater kaltblütig wieder den Rücken kehren sollen und herzlos in das warme Nest in Posen zurückschlüpfen – mochte aus dem Greise werden, was da wolle?
Nein! Sie verließ ihn nicht!
Sie stand auf und trocknete ihre Tränen. Er sollte sie nicht weinen sehen! Dann zerrte sie ihr Köfferchen über den Flur in das Vorderzimmer, wo es ja jetzt an Sitzgelegenheit mangelte, und zwang sich, während sie die Tür aufklinkte, zu einem sorglosen Lächeln.
XI.
Der Freiherr saß auf dem letzten, übrig gebliebenen Rohrstuhl, Georg rittlings auf der Ecke des Redaktionstisches. Er klappte mechanisch die große Schere auf und zu, während der andere rauchte und stumpf vor sich hinsah.
Herrn von Hoffäckers Gesicht hatte dabei eine unheimliche Röte gewonnen. Er atmete schwer und fuhr sich zuweilen, wie um trübe Gedanken zu verscheuchen, mit der Hand über die Augen.
Thea hatte sich vor ihnen auf das Kofferchen am Boden hingehockt. Es zuckte um ihre Mundwinkel. »Wie hieß doch gleich der alte Herr? ...« fragte sie melancholisch ... »...der auf den Trümmern von Karthago saß? ... So komm' ich mir jetzt auch vor!«
Ihr Vater seufzte nur zur Antwort und sie schaute besorgt aus ihren dunkelglänzenden Augen zu ihm empor.
»Was hast du nur, Papa? ... Du siehst so erhitzt aus!«
Herr von Hoffäcker machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand:
»Ein bißchen Schwindel, liebes Kind! ... Das hab' ich in der letzten Zeit häufig! ... Und in diesen letzten Tagen ist zu viel über mich gekommen! Ich bin ein kranker Mann ... ich kann die Aufregungen und Erschütterungen nicht mehr vertragen!«
Sie war aufgestanden und streichelte seinem Graukopf. »Und ich bin daran schuld, Papa!« klagte sie leise.
Der alte Herr schüttelte das Haupt: »Du meinst es ja so gut, mein Goldkind! Aber es kam eben alles zusammen ... Der gräßliche Auftritt mit der ... der Person ... meiner Haushälterin ... heute vormittag ... du weißt nicht, was sie mir alles gesagt ... und ich mußt' es anhören! Denn es war wahr. Und das Unglück mit dem Heinlein ... und das Pech gestern beim Rennen ... und die ausgeräumte Wohnung ... und die Sorge um die Zukunft ...«
Thea warf, den Lockenkopf zurück. »Nur nicht den Mut verlieren, Papa!« rief sie mit heller Stimme.
»Das alles hat mich auch nicht so getroffen!« Der alte Herr schaute trübe vor sich hin ... »...als daß du hast aus meinem Mund erfahren müssen, wie es um mich steht! ... Schau ... ich bin ja ein elendes Wrack! ... Ich leb' ja nicht mehr lange ... Aber für diese letzte, kurze Spanne Zeit, da war es mein Trost und meine Hoffnung, daß du an mich geglaubt hast! Alle andern Menschen haben mich verachtet und gemieden – du aber wußtest nichts davon! Deine Briefe waren wie sonst. Für dich war ich noch der makellose Edelmann von einst ... Durch dich lebte ich wieder in der Vergangenheit, wenn ich dein liebes krauses Geschreibsel las ... und daß nun auch das in Trümmern ist ... das hat mir den ärgsten Stoß gegeben. Seit vorgestern abend seh' ich immer einen schwarzen Schatten vor den Augen ... viel mehr wie sonst ... und es ist mir so bang zumut ... so bang ...«
Sie beugte sich über ihn und küßte ihn. »Du hättest heute auch nicht so schwere Sachen trinken sollen!« sagte sie ängstlich ... »...ich hab's wohl gesehen! ... und an einem so heißen Tage und wo dir das Blut ohnedies so zu Kopf steigt ...«
»Freilich!« murmelte der Alte ... »...freilich! ... Es hat mir auch gar nicht gut getan. Mein Herz klopft zum Zerspringen ... aber jetzt ist's zu spät! ...«
Da pochte es, und Thea schlüpfte ins Nebenzimmer.
Ein großer, wohlbeleibter Mann mit blondem Vollbart und goldenem Zwicker erschien auf der Schwelle und trat ohne weitere Umstände ein.
»Darf ich Ihnen den Hut vom Kopfe schlagen, Herr Grunäus?« fragte Georg gleichmütig vom Redaktionstisch her ... »...oder ziehen Sie es vor, ihn selbst abzunehmen?«
Der Besucher warf einen boshaften Blick auf den kleinen, sehnigen Sportsman, den er um Haupteslänge überragte, lächelte verächtlich und entledigte sich seiner Kopfbedeckung.
»Ich bin im Auftrag des Herrn Heinlein hier, um Ihnen, Herr von Hoffäcker, vor Zeugen ...« er wies auf den hinter ihm aufgetauchten Herrn von Lenski, ... »...Ihre sofortige Kündigung zu übermitteln. Mit Ihrem Gehalt sind Sie ohnedies ein Vierteljahr im Vorschuß. Sie haben also nichts weiter zu beanspruchen! ... Sie, Herr Textor, waren überhaupt noch nicht engagiert ...«
»Wie geht es denn unserem Freunde Heinlein?« erkundigte sich Georg.
»Brauchen also auch nicht erst an die Luft gesetzt zu werden!« ergänzte Grunäus.
»Was!« Georg glitt vom Tisch herunter ... »was ist das für ein Ausdruck?«
Herr Grunäus sprang eilig zurück und machte den Versuch, seine massige Gestalt hinter dem hageren Buchmacher zu verbergen, der mit finsterem Lächeln in die Hosentasche fuhr. Der Griff eines Dolchmesser blitzte einen Augenblick daraus auf.
Georg sah den zähnefletschenden Desperado und den blondbärtigen Feigling dahinter an und lachte. »Zwei nette Brüder!« wandte er sich zu dem Freiherrn.
Der alte Herr hatte wütend den von Grunäus auf den Tisch gelegten Brief zerknittert.
»Hunde sind es!« stieß er keuchend hervor ... »Bestien sind es! Totschlagen sollt' man sie alle zusammen! Aber nein ... sie laufen frei in Berlin herum und genießen den Schutz der Gesetze ...«
»Gott ... schimpfen Sie doch nicht!« sagte Lenski verdrießlich ... »...geben Sie lieber die Redaktionspapiere heraus!« Und da der andere keine Miene dazu machte, so öffnete er selbst die Schublade und entnahm die anonymen Zettelchen und das sonstige Material des »Paprika«.
Grunäus hatte wieder Mut gewonnen. »Sie werden schon sehen ...« murmelte er, und sein bärtiges Faungesicht verzog sich zu boshaftem Hohn ... »...Sie werden schon sehen, was das heißt, wenn wir jemanden in der Mache haben! Sie auch, mein verehrter Herr Textor! Sie beide bringen wir schon noch um! Das ist wahrhaftig kein Kunststück ...«
»Wie bringen Sie uns denn um?« fragte Georg neugierig.
»Sie werden's ja erleben!« lächelte der blondbärtige Mann zynisch ... »...warum machen Sie sich auch den Heinlein zum Todfeind? Jetzt hetzt er Sie durch ganz Berlin – bis in die Spree hinein ... oder an 'nen dürren Ast im Grunewald! Und hat ganz recht! Wer sich so gegen seine Freunde benimmt, der darf sich nicht wundern ...«
Herr von Hoffäcker faßte mit wütendem Griff Georgs Arm. Sein Gesicht war blaurot gedunsen. »Dies Gezücht!« stöhnte er, von Grimm geschüttelt ... »...dies erbärmliche, scheußliche Gezücht! Das ganze Leben zerstört es einem ... in den Schlamm zieht es einen nieder und saugt das Mark aus den Knochen! Und wenn man dann zertrampelt im Kot liegt, dann höhnen sie einen noch ... Kanaillen!« brüllte er plötzlich los, daß die Männer unwillkürlich zurückfuhren und Thea erschrocken aus dem Nebenzimmer kam ... »Kanaillen