Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.stammelte sie.
»Na ... nur Mut ... Fräulein ... 's ist nicht so schlimm! ... dem Herrn Baron ist ein bißchen schlecht geworden. Er ist bei der Glut zu rasch die vier Treppen hoch gestiegen, um sich ein Zimmer anzusehen ... sagten die Leute in dem Haus ... und da fiel er eben hin ... und blieb auf der Stiege sitzen ... und wir haben ihn auf alle Fälle ins Krankenhaus gebracht ...«
»War er bewußtlos?« fragte Georg.
»Ja ... das schon!«
»Und der Arzt ... haben Sie den nicht gesprochen?«
»Freilich!«
»Und was sagt er?«
Der Schutzmann warf einen mitleidigen Seitenblick auf Thea. »Das ist so eine Sache!« meinte er zögernd ... »...der Doktor sagt, es sei wohl ein Schlaganfall ... aber erschrecken Sie nicht ... der Herr ist ja noch am Leben!«
»Wo?« Thea war wie versteinert vor Entsetzen.
»In der Lützowstraße! Gleich hier um die Ecke finden Sie Droschken!«
»Kommen Sie!« Georg riß Thea mit sich. Sie stürzten die Treppe hinab und langsam folgte ihnen der Schutzmann.
XII.
Wie sie in das Krankenhaus gekommen, das wußten sie kaum. Aber da stiegen sie die Steinstufen hinauf, vorbei an geräuschlos huschenden Schwestern, an Rekonvaleszenten aus dem Volke in gestreiften Leinwandkitteln, und anderen Menschen, die alle so gleichgültig und teilnahmlos aussahen, als sei heute gar kein besonderer Schreckenstag für die Welt.
Und da war der Gang mit den Zimmern der ersten Klasse. In seinem Halbdunkel ein junger Arzt in gedämpftem Gespräch mit ein paar Diakonissen.
»Herr Baron Hoffäcker?« er wandte sich freundlich, aber sehr ernst zu Georg ... »...Die Herrschaften sind Verwandte des Patienten?«
»Ich bin nur ein Freund des Hauses, aber hier ist die Tochter!«
... »O ... die Tochter ...« Ein beinahe unmerklicher Augenwink des Arztes, der Georg einen dumpfen Verdacht einflößte – und eine der Schwestern trat unauffällig hinter Thea. Wie um sie zu schützen, stand sie phlegmatisch da.
»Wie geht es meinem Vater?« flüsterte Thea.
»Er war bewußtlos, als man ihn brachte,« erwiderte der Arzt langsam ... »...und er ist es geblieben!«
»Bis jetzt?«
»Bis jetzt!«
»So wird er mich nicht erkennen?«
»Er wird Sie nicht erkennen, mein gnädiges Fräulein ...« Der junge Mann sprach leise, wie zu einer Kranken ... »auch in Zukunft nicht ... Seien Sie stark ... Sie müssen es ja erfahren ...«
Die Schwester trat noch näher und legte sanft ihren Arm um Thea.
»Sie kommen zu spät! Vor einer Viertelstunde war's vorüber!«
Das waren nicht mehr die rötlich gedunsenen Züge des jovialen Industrieritters, die sich da reglos von dem Weiß der Kissen abzeichneten. Der Tod hatte seine starre Majestät darüber gebreitet. Ein Edelmann lag da – das strenge, vornehm geschnittene Gesicht nach oben gewendet, einen herben Zug um den bleichen, von den grauen Bartsträhnen beschatteten Mund, die Hände gottergeben über die Brust gefaltet.
So mochte wohl im Lauf der Jahrhunderte manch ein Hoffäcker am Abend der Schlacht auf grünem Rasen, zwischen Blut und Leichen geruht und aus erloschenen Augen zum Himmel ausgestarrt haben – so mochte noch er selbst, der Kammerherr und Großgrundbesitzer in Rhena, in der Erinnerung seiner einstigen Freunde weiterleben.
Schattengleich gingen diese Gedanken Georg durch den Kopf, wie er so dasaß und unverwandt auf den stillen Mann in dem Bette schaute, vor dem in lautlosem Schluchzen der schlanke Mädchenkörper kniete.
Die Stunden krochen langsam dahin. Von ferne klingelte das Spitalglöckchen zur Andacht, im Gange schollen schleichende Tritte, halblautes Geflüster, ab und zu das Zuschlagen einer Türe, ein warnendes pst ... all die unheimlichen, gedämpften Töne des Krankenhauses.
Von dem durch eine Türe getrennten Nebenraum hörte man zuweilen undeutliches Gemurmel. Dort besuchten Freunde einen leicht erkrankten Referendar. Sie hatten von dem Unglücksfall nebenan gehört und verhielten sich ganz still, während sie ihren Skat spielten, auf den sich der ungeduldige Patient immer schon den ganzen Tag freute. Nur selten klangt ein abgerissenes Wort, das Schnalzen eines Kartenblattes herüber.
Unten auf der Straße läutete die Pferdebahn. Zu Hunderten und zu Tausenden gingen die Menschen vorbei, fühllos lachend und sinnend, daß ein Zorn bei ihrem Anblick den verstörten Sportsman ergriff. Was hatten diese Menschen zu scherzen und zu plaudern? Warum taten sie's, wo doch über ihnen der Tod in schweigender Größe thronte, warum eilten sie und hasteten ihren Geschäften nach, wo doch alle die tausendfach verschlungenen Wege der Millionenstadt sich rettungslos an dem einen dunklen Ziele trafen?
Es dämmerte schon stark. Die Oberschwester des Ganges stand neben Georg.
»Sehen Sie doch, daß Sie das Fräulein jetzt wegbringen ...« raunte sie ... »...wir haben ja noch manches mit dem Toten zu tun ... und das Zimmer muß auch wieder in Ordnung kommen ... es kann ja jeden Augenblick wieder jemand eingeliefert werden ... das reißt bei uns nicht ab ...«
Er hob Thea sanft empor. »Wir wollen jetzt gehen ...« flüsterte er ihr ins Ohr ... »...bis morgen früh, Thea ...«
Sie schüttelte stumm das verweinte Köpfchen. Sie wollte dableiben ... bei dem armen, alten Papa ...
Aber als er sie mit sanfter Hand in die Mitte des Zimmers führte, merkte er, daß sie nur wenig widerstrebte. Sie war wie gebrochen. Willenlos hing sie sich an ihn und ließ sich von ihm, nach einem letzten verzweifelten Schluchzen und Küssen des Verblichenen, hinausführen.
Draußen, im Vorgarten des Spitals, blieb sie stehen und schaute zu den Fenstern hinauf.
»Nun bin ich ganz allein ...« sagte sie leise.
Ihr Freund zog sie an sich
»Nein ... Thea ... nein ...« sprach er und streichelte sanft ihre in seinem Arme ruhende Hand, während sie der Droschke zuschritten, die, von dem Portier besorgt, am Portal wartete ... »...nicht allein ... ganz gewiß nicht ... ich bin bei dir ... und ich bleib' bei dir und verlaß dich nicht ... du warst ja sein einziges Kind ... du hast nie einen Bruder gehabt ... aber jetzt hast du einen! ... einen guten, treuen Bruder, der es von Herzen redlich mit dir meint ... glaubst du's? ... Thea ... dann gib mir die Hand und sag' auch »du« zu mir, damit ich weiß, daß ich dein Bruder sein darf ...«
Sie erwiderte nichts. Aber er sah, wie ihre Hand die seine suchte, wahrend sie vergrämt zu Boden sah, und er fühlte ihren langen, dankbaren Druck ...
Der Kutscher griff, des Befehls gewärtig, an den Hut. Ja ... wohin nun?
Am besten ist es, sagte Georg halblaut ... »ich fahre jetzt mit dir in ein Hotel, vielleicht ins christliche Hospitz ...«
Sie machte eine abwehrende Bewegung. »Nicht allein! ...« flüsterte sie schaudernd ... »...um Gottes willen nicht allein diese Nacht! ... ich fürchte mich!«
»Ja ... aber wie soll man denn sonst ...?« Ein Gedanke erfaßte ihn. »Nach der Mauerstraße 107«, beorderte er den Kutscher, und der Wagen fuhr davon, nach der verwaisten Wohnung des alten Herrn.
»Dort werden wir schon ein Nachtquartier für dich herrichten!« Georg faßte wieder im dämmerigen Innern des Coupés ihre Hand ... »...hinten in deinem leeren Zimmerchen! Und ich bleibe die Nacht über in der Vorderstube und brenne Licht und lese in einem Buch. Dann weißt du, daß ich dir nahe bin, und hast keine Angst ... nicht wahr, Thea? ...«
Sie nickte und sah ihn dankbar aus ihren feuchten Augen an. Eng aneinander